Wie wäre es mit mehr Geld für den Verkehr, Stichwort Maut?

 

Für Erhalt und Neubau von Straßen aber auch für alle anderen Verkehrswege ist zu wenig Geld da. Deswegen brauchen wir neue Finanzierungsquellen. Und ich bin froh, dass ich als einziger Grüner zu einer Kommission gehöre, die sich im Auftrag der Verkehrsministerkonferenz mit diesen Fragen beschäftigt. Da geht es zunächst darum, das Defizit im Verkehrssektor aufzulisten. Schätzungen gehen von drei bis sechs Milliarden Euro pro Jahr aus. Und dann geht es darum, wie dieses Defizit gedeckt werden kann. Diskutiert wird die Vignette, ein satellitengestütztes und kilometergenaues Abrechnungssystem oder auch eine Erhöhung der Mineralölsteuer. Alles muss geprüft werden. Ich bin da ganz offen.

Wie stehen Sie zur Citymaut?

Die hat in Ballungsräumen bewiesen, dass sie verkehrslenkend wirken kann und zugleich eine Einnahmequelle für den ÖPNV darstellt. Aber ich sage nicht: in allen Städten und im ganzen Land. Aber die Ballungsräume sollen die Möglichkeit erhalten, auf deren Basis eine Citymaut einzuführen. Entscheiden müssen die Städte.

Wie sehen Sie privatfinanzierte Straßen?

Verkehrsprojekte haben einen langen Vorlauf, klar. Aber kann man daraus ableiten, gar nichts mehr zu bauen?

Ich habe nie gesagt, dass wir keine Straßen mehr bauen werden. Es geht um etwas anderes. Wir haben allein im Bereich der Bundesfernstraßen neue Projekte für 900 Millionen Euro im Bau. Vom Bund bekommen wir 250 Millionen Euro pro Jahr, wenn es gutgeht, vielleicht auch weniger. Bis diese Baustellen abgeschlossen sind, vergehen also mindestens vier Jahre, vielleicht werden es aber auch acht. Dazu kommt ein Paket von 20 großen Bauprojekten, die fertig geplant sind. An denen kann ich nicht rütteln, die werden gebaut. Das Volumen dieser Straßenbauprojekte ist deutlich höher als die erwähnten 900 Millionen Euro. Bis alle Maßnahmen des vordringlichen Bedarfs realisiert sind, vergehen Jahrzehnte. Wenn ich das weiß, brauche ich andere Straßen gar nicht weiterplanen. Fazit: lasst uns auf das konzentrieren, was wir in absehbarer Zeit realisieren können.

Also müssen wir die Staus eben hinnehmen?

Moment, im Falle von Staus sehe ich mich als Verkehrsminister in der Pflicht, etwas dagegen zu unternehmen. Auch ich ärgere mich, dass der Großraum Stuttgart ein Stauraum ist. Bei jedem kleinen Unfall bricht der Verkehr zusammen. Viele fordern dann neue Straßen, aber dadurch ändert sich doch auf zwanzig Jahre hinaus nichts. Deswegen will ich den Ursachen für Staus auf den Grund gehen und dafür sorgen, dass das vorhandene Netz intelligenter genutzt wird.

Ist doch klar, zu viele Autos, zu wenige Straßen!

Nein, eben nicht nur. Man kann auch fragen, brauchen wir zu lange, um eine Baustelle aufzubauen, müssen wir bei der Aufnahme von Unfällen wirklich stundenlang die Straße blockieren, muss das Reißverschlusssystem besser verstanden werden, müssen die Systeme früher über Staus informieren und werden passende Umleitungen angeboten? Oder können wir gar kostenlose Shuttlebusse einsetzen, die auf den Standspuren am Stau der Berufspendler vorbeifahren? Um mal die Sprache der Informatiker zu nutzen: wir müssen im Softwarebereich der Straßen - also bei Information und Steuerung des Verkehrs - viel mehr tun als bisher. Der Hardwarebereich ist schwerfällig, teuer und benötigt bis zur Umsetzung viel zu viel Zeit. Wir brauchen kurzfristige Lösungen!

Hermann zur Citymaut

Wie wäre es mit mehr Geld für den Verkehr, Stichwort Maut?

Für Erhalt und Neubau von Straßen aber auch für alle anderen Verkehrswege ist zu wenig Geld da. Deswegen brauchen wir neue Finanzierungsquellen. Und ich bin froh, dass ich als einziger Grüner zu einer Kommission gehöre, die sich im Auftrag der Verkehrsministerkonferenz mit diesen Fragen beschäftigt. Da geht es zunächst darum, das Defizit im Verkehrssektor aufzulisten. Schätzungen gehen von drei bis sechs Milliarden Euro pro Jahr aus. Und dann geht es darum, wie dieses Defizit gedeckt werden kann. Diskutiert wird die Vignette, ein satellitengestütztes und kilometergenaues Abrechnungssystem oder auch eine Erhöhung der Mineralölsteuer. Alles muss geprüft werden. Ich bin da ganz offen.

Wie stehen Sie zur Citymaut?

Die hat in Ballungsräumen bewiesen, dass sie verkehrslenkend wirken kann und zugleich eine Einnahmequelle für den ÖPNV darstellt. Aber ich sage nicht: in allen Städten und im ganzen Land. Aber die Ballungsräume sollen die Möglichkeit erhalten, auf deren Basis eine Citymaut einzuführen. Entscheiden müssen die Städte.

Wie sehen Sie privatfinanzierte Straßen?

Sehr skeptisch. Das rechnet sich für die öffentliche Hand einfach nicht, es wird für den Steuerzahler am Ende teurer. Der Effekt ist allenfalls, dass ein PPP-finanziertes Projekt an der langen Liste der anderen vorbeigeschleust wird. Konkret: seit zehn Jahren wird nach einem privaten Investor für den Albaufstieg auf der A8 gesucht. Es macht aber keiner, und zwar weil sich herumgesprochen hat, dass man richtig viel Geld damit nicht verdienen kann.

Den A-8-Ausbau halten Sie für sinnvoll?

Der ist sogar zwingend! Ich bin aber nicht dafür verantwortlich, dass die CDU in 58 Jahren zentrale Hauptachsen im Land nicht angemessen ausgebaut hat. Da wurde viel Geld im ganzen Land verstreut, die wichtigsten Straßen wurden aber zu lange vernachlässigt. Das gilt für die A8, die A5, A6, A7 und auch die A81 - das sind Hauptachsen, die völlig überlastet sind.

Stichwort Stuttgart 21: Kann das Projekt noch scheitern wegen der vielen Fragen rund um das Fällen der Bäume?

Ich gehe nicht davon aus, dass das Projekt an Baumfällarbeiten scheitert. Dass der Zeitplan aufgrund ungelöster rechtlicher Probleme und wegen Planungsfehlern der Bahn durcheinandergerät, kann ich mir aber schon vorstellen. Dennoch muss und wird die Landesregierung darauf achten, dass es rechtlich einwandfrei zugeht. Da geht es auch um Artenschutz und den Schutz des Grundwassers. Wir haben die Bahn dringend gebeten, nicht mit dem Abriss des Südflügels oder mit anderen vorbereitenden Maßnahmen Fakten zu schaffen, bevor alle anderen Fragen rechtlich abschließend geklärt sind. Dazu gehören für mich auch die jüngsten Baumfällarbeiten am Wagenburgtunnel.

Wann wird Stuttgart 21 eingeweiht?

Ich persönlich glaube, dass es aus technischer und finanzieller Sicht nicht möglich sein wird, dass dieses Projekt zusammen mit der Neubaustrecke vor 2025 fertig gestellt sein wird. Um es klar zu sagen, es wird nicht schneller gehen können, selbst wenn alle Beteiligten alles tun, um so schnell wie möglich fertig zu werden. Das oft genannte Jahr 2019 ist keinesfalls haltbar.

"Veränderungen brauchen Zeit"

Die Finanzierung steht?

Das glaube ich nicht. Der Bund hat das Doppelprojekt nicht wirklich durchfinanziert. Und auch die Bahn hat Engpässe. Zumal es in Baden-Württemberg ja noch eine zweite ähnlich große und teure Baustelle der Bahn gibt: Nämlich den in vielen Bereichen noch umstrittenen Ausbau der Bahnstrecke durch das Rheintal. Ich werde mich in diesem Jahr zeitlich gesehen mindestens so viel mit dem Ausbau dieser Strecke befassen wie mit Stuttgart 21.

Wie setzen Sie im Nahverkehr Akzente?

Zunächst müssen wir im Nahverkehr neue Verträge ausschreiben. Der größte Verkehrsvertrag mit der DB läuft 2016 aus. Davor kann nicht viel geschehen. Denn die DB wird ungern aus einem Vertrag aussteigen, von dem sie weiß, dass sie ein Drittel mehr Geld bekommt als bei marktgerechten Preisen. Hinzu kommt, dass aus dem Topf der sogenannten Regionalisierungsmittel in nächster Zeit insgesamt 285 Millionen Euro für Stuttgart 21 abgezogen werden. Wir müssen also sehr aufpassen, dass es nicht zur Abbestellung von Zügen kommt.

Wäre mehr Geld vom Bund eine Lösung?

Wir brauchen dringend eine Dynamisierung der Regionalisierungsmittel und eine dauerhafte Nachfolgeregelung für das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz. Wenn das nicht in den nächsten zwei Jahren gelingt, werden viele Projekte auf Eis gelegt. Darum beim Bund zu kämpfen ist eine ganz wichtige Aufgabe für mich.

Wollen Sie eine neue Verkehrspolitik umsetzen?

Eindeutig Ja. Wir wollen auch im Haushalt neue Akzente setzen. Die Mittel vom Bund wurden über viele Jahre hinweg zu 60 Prozent in den Straßenbau gesteckt und zu 40 Prozent in den ÖPNV. Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir 40 Prozent in den Straßenbau stecken und 60 Prozent für den Umweltverbund samt Fuß- und Radverkehr ausgeben wollen. Nun muss ich feststellen, dass Geld für den Straßenbau auf Jahre hinaus festgeschrieben ist. Wir brauchen deshalb drei Jahre, um die Umstellung hinzukriegen. Man übernimmt in der Verkehrspolitik ziemlich viele Vorentscheidungen. Diese Erfahrungen mache ich seit Jahren.

Macht Ihnen die Arbeit Spaß?

Nach so vielen Jahren Parlaments- und Oppositionsarbeit, wo man glaubt vieles besser machen zu können, aber das nicht beweisen zu können, hat es einen großen Reiz zu zeigen, dass vieles besser geht. Aber ich habe nie zu denen gehört, die geglaubt haben, wir ändern in zwei Jahren die Welt.

Das heißt, Sie wollen länger als eine Legislaturperiode regieren?

Ja klar. Veränderungen brauchen Zeit. Und schließlich möchte ich die Früchte für das Geleistete schon noch ernten.

Der grüne Politiker

Person:Winfried Hermann (59) ist seit Mai 2011 Minister für Verkehr und Infrastruktur in Baden-Württemberg. Der Gymnasiallehrer wurde in Rottenburg geboren und lebt mittlerweile im Stuttgarter Süden.

Politik: Hermann schloss sich 1982 den Grünen an und gehörte von 1984 bis 1988 dem Landtag von Baden-Württemberg an. Von 1998 bis 2011 war Hermann Mitglied des Deutschen Bundestages und dort zuletzt Vorsitzender des Verkehrsausschusses.