Vor genau 40 Jahren ist die Einführung der bundesweit einheitlichen Notrufnummern 110 und 112 beschlossen worden. Das Winnender Ehepaar Ute und Siegfried Steiger hat hartnäckig dafür gekämpft.

Rems-Murr : Frank Rodenhausen (fro)

Winnenden - Jenen Anruf am 20. September 1973 wird Siegfried Steiger nie vergessen. Es ist 23 Uhr, am Apparat der damalige Bundespostminister Kurt Ehmke: „Herr Steiger, entschuldigen Sie die späte Störung. Ich bin noch beim Kanzler.“ Ehmke berichtet, dass man zuvor mit den Ministerpräsidenten der Länder zusammengesessen sei. Das Thema: die bundesweite Einführung einer einheitlichen Notrufnummer. „Ich darf Ihnen sagen – Sie werden sich freuen – Ihr Dickschädel hat sich durchgesetzt.“

 

Vier Jahre lang hatten Siegfried Steiger und seine Frau Ute zuvor von Winnenden aus unermüdlich für die flächendeckende Einrichtung der Kurzwahlen 110 und 112 gekämpft. Ein persönlicher Schicksalsschlag hatte das Ehepaar dazu beseelt, das deutsche Rettungssystem zu verbessern: Ihr achtjähriger Sohn Björn starb nach einem Unfall nicht an den Folgen seiner Verletzungen, sondern an einem Schock. Hätte es nicht eine Stunde bis zum Eintreffen eines Krankenwagens gedauert, wäre er möglicherweise noch am Leben.

Die Notrufeinrichtung war keine Erfindung der Steigers. Sie war schon seit 1956 technisch möglich und in einigen wenigen Großstädten bereits geschaltet. Doch jede Initiative, sie auf eine breite Basis zu stellen, scheiterte. „Das Totschlagargument war immer das gleiche“, sagt Siegfried Steiger, „es hieß, das sei unfinanzierbar.“ Die Mühe, die Kosten zu eruieren, habe sich jedoch offenkundig nie jemand gemacht. Siegfried Steiger hakte bei der Oberpostdirektion in Stuttgart nach: Was kostet es, im Regierungsbezirk Nordwürttemberg alle Ortsnetze der Deutschen Post mit der Notrufnummer 110/112 einzurichten? Die Antwort habe er keine Stunde später erhalten: Für den gesamten Regierungsbezirk mit seinen vier Millionen Einwohnern lautete der Betrag 387 000 DM (193 500 Euro). Steiger rechnete hoch: knapp zehn Pfennige pro Person.

Mit diesem Wissen rief er die 17 Landräte und den Oberbürgermeister von Stuttgart an: Für lediglich 20 000 Mark könne er jedem Beteiligten für alle Ortsnetze seines Verantwortungsbereichs die einheitliche Notrufnummer 110 einrichten lassen. Den Zögerlichen versprach er die 112 für die Feuerwehr als kostenlose Dreingabe dazu. Bis auf den Landkreis Backnang, der wegen Überschuldung unter Kuratel stand, sagten alle zu. „Auf diese Weise hatten wir mit 27 000 Mark eigenem Geld für fast vier Millionen Menschen die erste flächendeckende Notrufversorgung geschaffen“, sagt Steiger rückblickend. Zwar bedurfte es noch einiger Zeit und der Hilfe von Hilda Heinemann, der Frau des damaligen Bundespräsidenten, die den Steigers eine Woche nach dem tragischen Unfall ihre Unterstützung zugesagt hatte, doch der Notruf für Nordwürttemberg kam.