Der deutsche Western lebt: RTL wagt sich über Weihnachten in drei Teilen an den Winnetou-Mythos – und gewinnt.

Kultur: Ulla Hanselmann (uh)

Stuttgart - Ganz schön mutig von RTL, Winnetou und Old Shatterhand wiederauferstehen zu lassen. Und zwar ernsthaft, nicht als Persiflage, wie Michael „Bully“ Herbig mit seinem „Schuh des Manitu“. Die Leinwandgeschichten von der Freundschaft des edlen Apachenhäuptlings und des sächsischen Landvermessers aus den Sechzigern sind fest im kollektiven Gedächtnis von Generationen verankert. Der Privatsender geht mit dem Dreiteiler „Winnetou – Der Mythos lebt“ auf volles Risiko – aber die Rechnung geht auf.

 

Ein Remake ist es nicht, was der Regisseur Philipp Stölzl („Der Medicus“) und der Autor Jan Berger den deutschen Zuschauern als TV-Event unter den Christbaum legen, sondern eine „Neuerzählung“. „Eine neue Welt“, „Das Geheimnis vom Silbersee“ und „Der letzte Kampf“ heißen die drei Teile, die nur die gröbsten Erzählstränge der Karl-May-Vorlage wie der Kino-Klassiker aufnehmen, um sie zu etwas Neuem zu verflechten.

Der Rat-Pack-Produzent Christian Becker erweist den Harald-Reinl-Filmen aus den Sechzigern dennoch seine Reverenz: Es gibt ein Wiedersehen mit den ikonografischen Schauplätzen in Kroatien; auch Martin Böttchers legendäre Melodien scheinen in Heiko Mailes Filmmusik auf, aber nur ganz dezent, nach dem Prinzip des „Weniger ist mehr“.

Knapp gehaltene Postkartenszenen

Auch die Postkartenszenen – Winnetou und Old Shatterhand reiten Seit’ an Seit’ vor majestätischer Naturkulisse – sind denkbar knapp gehalten. Statt Bilderbuchpathos und Wildwestmärchen wie einst offerieren Regie und Buch eine Version, die in Dramaturgie, Erzählhaltung und Ästhetik an die heutigen Sehgewohnheiten angepasst ist. Ja, die beiden Helden schließen Blutsbrüderschaft, aber erst sehr spät; sie bestehen Abenteuer, liefern sich Schießereien, aber vor allem bringen sie einander ihre Weltanschauung näher, und eine starke Nscho-tschi erweitert das Männer-Duo zum gemischtgeschlechtlichen Trio. In die Romantik mischt sich viel Realismus bei der Darstellung der Lebensumstände der Weißen wie auch der Indianer, denen durch die Expansion der Siedler und deren Rassismus bitterböses Unrecht geschieht.

Die RTL-Filme schlagen in diesem Punkt sehr deutlich den Bogen zur Gegenwart: Bei der Botschaft von Völkerverständigung und Toleranz gegenüber dem Fremden wird an manchen Stellen allzu dick aufgetragen. Der trockene Humor, den Berger den Indianern immer wieder zugesteht, ist da ein wichtiges und überraschendes Korrektiv.

Es gibt auch weniger Gelungenes: Den Actionszenen fehlt der Schliff; manche Dialoge haben schlichtestes Vorabendserien-Niveau; mit der martialischen Aufmachung der Komantschen, die im dritten Teil ins Spiel kommen, dient man sich etwas plump den Freunden zeitgenössischer Fantasy-Serien an. Den Jungen könnte das gefallen. An diesem TV-Lagerfeuer kann sich endlich mal wieder die ganze Familie wärmen.

Die handelnden Personen

Old Shatterhand Im weißen Hemd, mit freundlichem Lächeln und guten Manieren – so tritt Wotan Wilke Möhrings Old Shatterhand auf. Von der breitbrüstigen Erscheinung des Sexidols Lex Barker ist er damit zu Beginn des Dreiteilers meilenweit entfernt. Das wirkt erst mal befremdlich, hat aber auch was für sich: Denn es ist ziemlich fesselnd, wie sich der deutsche Ingenieur aus Sachsen nach und nach zu einem echten Kerl wandelt. Allerdings dauert es gefühlt eine halbe Ewigkeit, bis er endlich in die Büffellederkutte schlüpft, die Nscho-tschi für den Mann ihres Herzens genäht hat. Aber dieser neue Old Shatterhand ist eben kein hemdsärmeliger Westernheld, sondern ein Mann mit Haltung und humanistischer Gesinnung, der jedoch, wenn’s für die richtige Sache ist, kräftig zulangen kann. Möhring bringt hierfür die richtige Mischung aus Kernigkeit und Finesse mit. Seine puritanische Prüderie, die ihm beim Anblick von halbnackten, badenden Indianerinnen die Schamesröte ins Gesicht treibt, legt der „alte Mann mit mächtiger Faust“ dann auch noch ab: Old Shatterhand hat Sex. Schwul, wie vom Schriftsteller Arno Schmidt vermutet, ist er jedenfalls nicht.

Winnetou Kann jemand Pierre Brice beerben? Eine Frage, die man bislang strikt verneinen musste. Mit Nik Xhelilaj dürfte sich das ändern: Der albanische Schauspieler, in seiner Heimat und auch in der Türkei ein Star, ist ein würdiger Nachfolger als Winnetou-Darsteller. Xhelilaj hat das perfekte Gesicht für den edlen Wilden – zumindest kommt er dem Bild sehr nahe, das sich der deutsche Zuschauer von diesem seit Pierre Brice macht. Kämpferischer Krieger, weiser Häuptling, neckender Bruder, nachdenklicher Freund: Dem Albaner nimmt man all diese Facetten ab. Für die Winnetou-Kombi aus Männlichkeit, Würde und Sanftmut bringt er von Natur aus viel mit – den Rest erledigen Maske, seine stets leicht im Wind wehenden Perückenhaare und sein beeindruckender Oberkörper, der die meiste Zeit nackt im Bild ist. Der Schauspieler, der inzwischen in Berlin lebt, sprach zur Zeit der Dreharbeiten nur wenig Deutsch, das lässt seinen indianischen Einschlag in den deutschsprachigen Passagen sehr authentisch wirken.

Nscho-tschi Eine schmückende Schönheit, die von einem fiesen Banditen hingemetzelt wird – das ist kein zeitgemäßer Blick auf Nscho-tschi, Winnetous Schwester und die zentrale Frauenfigur im Winnetou-Kosmos. Die neue Nscho-Tschi ist als Schamanin eine Autorität in der Apachen-Community, sie kürt Old Shatterhand zu ihrem Auserwählten – nicht umgekehrt. Und wenn es in den entscheidenden Kampf geht, reitet sie selbstverständlich mit. Die Mexikanerin Iazua Larios, die in ihrer Heimat ein Filmstar ist, gibt der starken Apachin dennoch ausreichend sanft-sinnliche Züge. Nscho-tschi und Old Shatterhand: ein schönes Paar!

Nebenfiguren Die Nscho-tschi-Darstellerin Marie Versini aus den alten Filmen hat einen Gastauftritt; Mario Adorf, damals der Bösewicht Santer, kommt als dessen Vater wieder. Pierre Brice, der ewige Winnetou, indes winkte ab, als man ihm vorschlug, als alter Schamane oder Winnetous Vater aufzutreten – er starb kurz vor Beginn der Dreharbeiten. An die Stelle von Ralf Wolter als kauziger Sam Hawkens tritt Milan Peschel. Der schusselige Trapper mit dem skalpierten Schopf darf mit der sympathischen Hure Belle (Henny Reents) eine zweite Liebesromanze erleben. Physiognomisch ideal besetzt ist Fahri Yardim – unser Foto – in der Rolle des liebesirren, durchgeknallten Mexikaners El Mas Loco. Enttäuschend dagegen Jürgen Vogel, sein Indianerhasser Rattler ist ein allzu platter Schurke.

Sendetermine RTL zeigt den Winnetou-Dreiteiler als Weihnachts-Event an folgenden Terminen: „Winnetou – Eine neue Welt“ am 25. Dezember; „Winnetou – Das Geheimnis vom Silbersee“ am 27. Dezember; „Winnetou – Der letzte Kampf“ am 29. Dezember, alle Filme jeweils um 20.15 Uhr.