Seit 1985 organisiert die Wohnungslosenhilfe ein besonderes Mittagessen. Erneut hat die Kirchengemeinde St. Maria in Ditzingen rund 100 Gäste mit und ohne Wohnung bewirtet. Offenbar hat es allen gemundet.

Ditzingen - Die beiden Männer sind miteinander gekommen. Hansjürgen Fürst, 66, war schon öfter zu Gast beim sogenannten Winteressen in der katholischen Kirchengemeinde St. Maria in Ditzingen. Wilhelm Widmann, 91, ist das erste Mal zu dabei. „Er hat mich überredet“, sagt er lachend und weist auf seinen Begleiter. „Das Essen hier ist immer besonders gut“, sagt Fürst, fast entschuldigend.

 

Wie insgesamt knapp 20 katholische, evangelische und freikirchliche Gemeinden aus Ludwigsburg und Umgebung öffnet St. Maria einmal im Jahr die Türen ihres Gemeindesaals, um Bedürftige zu bewirten. An diesem Januarsonntag scheint die halbe Gemeinde auf den Beinen zu sein, um Getränke auszuschenken oder gefüllte Teller zu den Tischen zu balancieren. „Wir beginnen immer schon am Vortag mit den Vorbereitungen“, berichtet Michael Leihbacher, der Vorsitzende des Festausschusses, der die Aktivitäten koordiniert. Auch dieses Jahr haben die Gemeindemitglieder das Essen selbst zubereitet. Es gibt Rinderbrühe mit Leberknödeln, handgemachte Spätzle, Leipziger Allerlei und Schweinebraten. „Insgesamt fünfundvierzig Kilo Fleisch“, sagt Leihbacher. Ein Ditzinger Bäcker erwärmt den Braten. Zum Nachtisch wartet ein großes Kuchenbüffet – mit selbst Gebackenem, versteht sich. „Wenn alle miteinander es gut haben, essen, trinken und lachen, sind wir zufrieden“, sagt der 54-Jährige. Die Obermessdienerin von St. Maria, Maria Semenaro, hilft beim Ausschenken und Austeilen. „Es ist schön, etwas für die Gemeinschaft zu tun“, findet die junge Frau.

An Vorsorge fürs Alter hat er nicht gedacht

Die Tische im Gemeindesaal sind schnell besetzt. Auch Wilhelm Widmann und Hansjürgen Fürst haben nebeneinander einen Platz ergattert. Vor acht Jahren haben sich die beiden Ludwigsburger beim Mittagstisch einer Gemeinde kennengelernt. Schnell fanden sie heraus: Sie wohnen ganz nah beieinander. Jetzt bringt der Jüngere dem Älteren oft Essen vorbei. Er bekommt es jeden Werktag bei der Wohnungslosenhilfe in Ludwigsburg. Hansjürgen Fürsts Rente ist knapp. Viele Jahre war er selbstständig und hat in Afrika die Logistik für ein Schweizer Unternehmen erledigt – und an Vorsorge für das Alter nicht gedacht.

Seit 1985 gibt es das Winteressen, einmal im Monat zwischen Oktober und April. „Wir koordinieren eigentlich nur noch, die Gemeinden organisieren fast alles selbst“, berichtet Heinrich Knodel von der Wohnungslosenhilfe Ludwigsburg. Zu den Trägern der gemeinnützigen Gesellschaft gehört der Evangelische Kirchenbezirk, das Katholische Dekanat Ludwigsburg, die Caritas und die Stiftung Karlshöhe Ludwigsburg. Das Winteressen ist eine Art Sahnehäubchen auf dem breit gefächerten Angebot, das die Wohnungslosenhilfe mit ihren elf hauptamtlichen Mitarbeitern anbietet. Beratung und Unterstützung, etwa bei der Wohnungssuche oder bei Schwierigkeiten mit den Behörden, gehören dazu. Zwei Aufnahmehäuser bieten Unterschlupf, wenn kurzfristig ein Dach über dem Kopf fehlt. Auch wenn die Zielgruppe in erster Linie alleinstehende Menschen ohne Wohnung sind: „Mittlerweile geht es um die Armutsbevölkerung im weiteren Sinne“, sagt Knodel.

Jeden Werktag ein warmes Mittagessen

So bietet die Wohnungslosenhilfe in ihrer Tagesstätte in der Ludwigsburger Friedrichstraße 23 an jedem Werktag auch ein warmes Mittagessen an – für Menschen mit und ohne Wohnung. Das regelmäßige Angebot sei wichtig, sagt Knodel, um „sozial Desintegrierte zu integrieren“. Man komme in Kontakt und lerne sich kennen. So könne Vertrauen entstehen, und die Beratungsangebote würden eher angenommen – wichtig, damit es gar nicht erst soweit kommt, dass Menschen wohnungslos werden. Oder um ihnen rasch helfen zu können, wieder ein Dach über dem Kopf zu bekommen. Rund 200 Klienten betreut die Wohnungslosenhilfe im Schnitt im Jahr – Tendenz leicht steigend.

Beim Mittagstisch ist jeder willkommen: „Wir machen keine Bedürftigkeitsprüfung.“ Gerade die Mischung sei wichtig: „So kann Normalität entstehen und Raum für Begegnungen.“ Hansjürgen Fürst auf jeden Fall kommt gerne in die Friedrichstraße. Er freut sich, dass er dort essen kann – und Wilhelm Widmann einen Dienst erweist, wenn er ihm eine Portion vorbeibringt. Der ehemalige Lehrer macht es sich dann warm. Zum Festessen im Ditzinger Gemeindezentrum St. Maria wünschen sie sich gegenseitig „Guten Appetit“. Und lächeln einander zu.