Backpulver ist im Weinbau ein günstiges Mittel zur Schädlingsbekämpfung. Wegen eines neuen Pflanzenschutzmittels dürfen Winzer es nun nicht mehr verwenden – das sorgt für Kritik.
Backpulver ist nicht nur beim Backen eine wichtige Zutat – auch im Weinbau nutzten bislang viele Winzer und Winzerinnen Natriumhydrogencarbonat, wie der Fachbegriff heißt, als preiswertes Pflanzenschutzmittel - etwa zur Bekämpfung der Pilzkrankheit Echter Mehltau auf dem Weinberg.
Als regulär zugelassener, sogenannter „Grundstoff“, der umweltfreundlich, kostengünstig und einfach in der Anwendung ist, durfte Backpulver im Weinbau bisher europaweit angewendet werden. Das ändert sich nun: Denn das Unternehmen „Biofa“ aus Münsingen im Kreis Reutlingen hat die Zulassung für das Pflanzenschutzmittel „Natrisan“ in Deutschland und Österreich bekommen. Der Knackpunkt, der viele Winzerinnen und Winzer mit Unverständnis zurücklässt: Natrisan besteht mit 989 g/kg ebenfalls aus Natriumhydrogencarbonat, also Backpulver.
Das Problem, das daraus folgt: Laut EU-Recht kann Backpulver nicht gleichzeitig Grundstoff und Pflanzenschutzmittel sein. In der Folge wurde die Zulassung für Backpulver als Grundstoff zurückgenommen.
Für Winzerinnen und Winzer bedeutet das: Sie können nicht mehr auf handelsübliches, günstiges Backpulver zurückgreifen, sondern müssen nun das neue Pflanzenschutzmittel verwenden – ein Mittel, das teurer ist, obwohl es selbst zum größten Teil aus Backpulver besteht.
„Für unsere Weinbaubetriebe ist das ganz bitter“
„Für unsere Weinbaubetriebe ist das ganz bitter“, heißt es seitens des Deutschen Weinbauverbands, der auch die Interessen des baden-württembergischen Verbands vertritt. „In einer bereits wirtschaftlich herausfordernden Situation kommen nun erhebliche Mehrkosten auf die Betriebe zu, da nun das deutlich teurere Pflanzenschutzmittel verwendet werden muss.“
Der Ärger der Mitglieder und Betriebe sei sehr gut nachvollziehbar. „Wir können auch nicht nachvollziehen, warum ein Stoff, den wir alle regelmäßig in Lebensmitteln verwenden und der im Supermarkt ohne Einschränkungen erworben werden kann, nun ein streng reglementiertes Pflanzenschutzmittel sein soll“, heißt es.
Auf seinem Instagram-Kanal fordert der Deutsche Weinbauverband, das Pflanzenschutzmittel-Zulassungssystem „dringend auf den Prüfstand“ zu nehmen.
Gleichzeitig verweist der Verband auf die rechtliche Grundlage. „Der europäische Mechanismus sieht vor, dass ein Stoff nicht Grundstoff und Pflanzenschutzmittel gleichzeitig sein kann und das hat auch seine Gründe“, so der Verband.
Bei Winzerinnen und Winzer in der Region Stuttgart sorgt die Zulassung von „Natrisan“ und das damit wegfallende, handelsübliche Backpulver als Pflanzenschutz für Unmut und Kritik. Besonders von der neuen Regelung betroffen sind Weingüter, die auf Bio-Qualität setzen.
So etwa das Bio-Weingut Häußermann, das Albert und Marlene Häußermann in Waiblingen betreiben. Für sie ist das neue Pflanzenschutzmittel ein Problem. „Als Bio-Weingut sind wir auf das Backpulver angewiesen, denn wir wollen keine systemisch-chemischen Mittel nutzen“, so Marlene Häußermann. Dass nun kein handelsübliches Backpulver mehr für den Pflanzenschutz verwendet werden dürfe und man auf das teurere Mittel zurückgreifen müsse, wirke sich im schlimmsten Fall früher oder später auch auf die Wein-Preise aus, sagt sie. „Da müssen wir uns jetzt irgendwie durchkämpfen – das ist frustrierend. Wir fühlen uns wie vor den Kopf gestoßen.“
„Kann ein Lebensmittel Pflanzenschutzmittel sein?“
Auch beim Weingut Heid in Fellbach sorgt das neue Pflanzenschutzmittel für Verärgerung. Winzer Markus Heid stellt sich bei dem Thema die Grundsatzfrage: „Kann ein Lebensmittel ein Pflanzenschutzmittel sein?“. Heid zieht den Vergleich zu anderen Branchen. „Rechtlich gesehen arbeitet dann ja jetzt auch jeder Bäcker mit Pflanzenschutzmittel“, witzelt er.
Letztendlich sollte eine Einstufung von Backpulver als Pflanzenschutzmittel gar nicht möglich sein, da es als Lebensmittel in vielen anderen Bereichen ebenso genutzt werde, findet Heid. „Würde beispielsweise Kartoffelstärke super gegen einen Pilz wirken, würde man doch auch nicht die Kartoffelstärke zum Pflanzenschutzmittel erklären und den Verzehr von Kartoffeln verbieten.“ Sobald ein Mittel zum Pflanzenschutzmittel wird, müssten zudem verschiedene Pflanzenschutzprüfungen durchgeführt werden. Diese kosten ebenfalls Geld und verteuern das Mittel entsprechend, so der Winzer.
Er sieht ein generelles Problem in der Gesetzgebung. „Alles, was zu gut gegen Schädlinge wirkt, wird irgendwann zum Pflanzenschutzmittel“, so Heid. Das sei bereits mit Mitteln wie Fenchel- und Orangenöl passiert und passiere nun mit dem Backpulver. „In dem Moment, in dem ein Produkt zum Pflanzenschutzmittel wird, wird es eben teuer.“
Markus Heid geht durch die Verwendung des neuen Pflanzenschutzmittels von etwa 70 bis 80 Euro Mehrkosten pro Hektar auf seinem Weingut aus. Dass sich in Zukunft etwas an der Gesetzgebung ändern könnte, bezweifelt er.
Auch konventionelle Betriebe betroffen
Nicht nur auf Bio-Weingüter hat das neue Pflanzenschutzmittel Auswirkungen. Die Weinmanufaktur Stuttgart in Untertürkheim ist kein Bio-Betrieb, hat bislang jedoch ebenfalls Natriumhydrogencarbonat, also Backpulver, als Grundstoff beim Pflanzenschutz eingesetzt. „Wir sind ein konventioneller Betrieb, setzen aber auf Hybrid-Pflanzenschutz“, erklärt der Vorsitzende Moritz Warth. „Wir setzen das Beste aus beiden Welten ein – unter anderem bislang eben auch Natriumhydrogencarbonat.“
Künftig werde das neue Pflanzenschutzmittel mit Backpulver eingesetzt – entsprechend teurer werde der Pflanzenschutz. Genaue Zahlen kann der Vorstand bislang nicht nennen, eins sei jedoch klar: „Die Kosten werden um ein Vielfaches steigen“, so Warth. Für die Deklarierung von Backpulver als Pflanzenschutzmittel zeigt er Unverständnis und verweist auf die gleiche Argumentation wie Winzer Markus Heid aus Fellbach: „Plötzlich wird aus einem Grundstoff, den jeder daheim hat, ein Pflanzenschutzmittel.“
Beim Weingut Idler in Weinstadt, wo mit natürlichen Pflanzenschutzmitteln gearbeitet wird, sieht man die Änderungen gelassener. „Natürlich ist es ärgerlich, dass der günstige Grundstoff nun nicht mehr einsetzbar ist“, so Winzer Marcel Idler. „Wir haben allerdings in den letzten Jahren schon das zugelassene Mittel auf Basis von Kaliumbikarbonat verwendet.“ So betrifft die neue Regelung das Weingut nicht.
Ähnlich geht es der Familie Wöhrwag, die seit mehreren Generationen das gleichnamige Weingut in Stuttgart-Untertürkheim betreibt. „Die neue Regelung spielt ja vor allem im Bio-Weinbau bei der Bekämpfung von Echtem Mehltau eine Rolle“, sagt Kellermeister Jakob Bittner. „Bei uns ist es kein großes Thema, denn wir verwenden schon seit längerem das Mittel „Vitisan“ von Biofa – dieses wirkt auf Basis von Kaliumhydrogencarbonat, nicht auf Natriumhydrogencarbonat, also Backpulver.“
Konkurrenz aus anderen Ländern im Vorteil
Der Grund: Das Pflanzenschutzmittel Vitisan bringe im Vergleich zum Backpulver weitere positive Nebeneffekte mit sich: „Erstens bekämpft Vitisan auf Basis von Kaliumhydrogencarbonat den Botrytispilz, durch welchen Edelfäule an Trauben entsteht“, erklärt Jakob Bittner. „Zweitens ist der osmotische Druck beim Einsatz von Kaliumhydrogenkarbonat geringer, wodurch bei heißem Wetter weniger Verbrennungsgefahr an den Blättern besteht.“
Gutheißen kann Jakob Bittner die neue Gesetzgebung trotzdem nicht. Er sieht dasselbe Grundproblem wie die Winzer Markus Heid und Moritz Warth. „Das Backpulver ist einfach günstig, funktioniert gut und wurde hier in der Gegend auch oft eingesetzt. Jetzt darf man das nicht mehr und muss das andere Mittel kaufen – obwohl sich am Grundprodukt ja nichts verändert hat und das neue Pflanzenschutzmittel auch zu 99,89 Prozent aus Natriumhydrogencarbonat, also Backpulver, besteht.“
Die Regelung gelte für Deutschland und Österreich, aber beispielsweise nicht für andere Weinländer wie Frankreich. „In Deutschland muss man jetzt also Pflanzenschutzmittel für vier Euro das Kilo kaufen, während der Nachbar Backpulver aus dem Großmarkt für 49 Cent verwendet“, erklärt Bittner. „Das ist einfach ungerecht.“
Biofa bezieht Stellung – und kritisiert EU-Kommission
Das Unternehmen Biofa reagiert auf die bundesweit heftige Kritik mit einer Stellungnahme auf seiner Homepage, in der es den Vorwurf der Profitgier zurückweist. Biofa verfolge nicht die Absicht, Winzern wirtschaftlich zu schaden, heißt es unter anderem darin.
Wie aus dem Statement zudem hervorgeht, sieht sich das Unternehmen seitens der EU-Kommission selbst ungerecht behandelt. Diese habe Backpulver ursprünglich nur deshalb als Grundstoff zulassen können, weil sie – so stellt es der Hersteller dar – unrechtmäßig auf frühere Studiendaten von Biofa zurückgegriffen habe, ohne das Unternehmen dafür zu bezahlen. Nun habe die Kommission selbst den Hersteller aufgefordert, die Zulassung von Natriumhydrogencarbonat als Pflanzenschutzmittel zu beantragen.
Weinverband wünscht sich gerechte Preisgestaltung
„Man kann einem Unternehmen, das ein Pflanzenschutzmittel entwickelt, auch nicht unbedingt vorwerfen, dass es ein Interesse hat, mit diesem auch Gewinne zu erzielen“, heißt es seitens des Deutschen Weinbauverbands. „Dass dies nun zu Lasten unserer Betriebe erfolgt und der rechtliche Mechanismus ausgenutzt wurde, ist eine bedauerliche Möglichkeit, die das nationale Recht in Verbindung mit dem EU-Recht bietet. Wünschenswert wäre hier natürlich, dass das Unternehmen, das das Pflanzenschutzmittel anbietet, dabei zu einer realitätsnahen Preisgestaltung kommt.“
Viele Winzerinnen und Winzer wünschen sich dennoch, dass Natriumhydrogencarbonat wieder als Grundstoff zugelassen wird. Vorerst wird sich an der Situation allerdings wohl nichts ändern. Denn rechtlich sei die Situation eindeutig, so der Deutsche Weinbauverband. „Nach unserer bisherigen Analyse gibt es für diesen Zwiespalt derzeit leider keine kurzfristige und politische Lösung“, heißt es. Vielmehr bedürfe es einer vertieften rechtlichen Analyse der einzelnen Schritte, um solche Situationen für die Zukunft verhindern zu können.