Der Lungenarzt Dieter Köhler und 100 Mitstreiter haben die Grenzwerte für Luftverschmutzung kürzlich infrage gestellt. Nun muss der Lungenarzt seine Zahlen teilweise revidieren.

Wissen/Gesundheit: Werner Ludwig (lud)

Stuttgart - Wenn Dieter Köhler die Grenzwerte für Stickstoffdioxid und Feinstaub infrage stellt, zieht er gerne Vergleiche zu den Gesundheitsgefahren des Rauchens. Denn auch Zigarettenrauch enthält die genannten Schadstoffe. Wären diese so gefährlich wie von den meisten Umweltmedizinern angenommen, müssten die meisten Raucher schon nach wenigen Monaten tot umfallen, argumentiert der Lungenarzt. Weil das offenkundig nicht passiert, folgert Köhler, dass die gesundheitlichen Wirkungen von NO2 und Feinstaub massiv überschätzt werden.

 

Diese Position vertrat er vor gut drei Wochen auch in einer Stellungnahme, die von mehr als hundert weiteren Lungenärzten sowie einem Dieselmotor-Experten und einem Verkehrwissenschaftler unterzeichnet wurde. Darin werden die Grenzwerte als „wissenschaftlich nicht begründet“ kritisiert. Dieselfahrverbote wie in Stuttgart seien deshalb völlig überflüssig. Für diese Position gilt er bei vielen Teilnehmern der wöchentlichen Dieseldemo rund um die Privatperson Ioannis Sakkaros als Held.

Taz wirft Fehler bei Vergleichsrechnungen auf

Nun wirft die „tageszeitung“ („taz“) Köhler vor, dass ihm bei seinen Vergleichsrechnungen mehrere Fehler unterlaufen sind. Das Blatt verweist auf einen Artikel im „Deutschen Ärzteblatt“, in dem der Mediziner 2018 zitiert wurde. Köhler rechnet dort vor, dass ein Raucher, der täglich 20 Zigaretten raucht, jeden Tag eine Million Mikrogramm (millionstel Gramm) NO2 inhaliert. Einige Sätze davor hatte Köhler allerdings gesagt, dass der Rauch einer Zigarette 500 Mikrogramm NO2 enthalte. Daraus ergäben sich für eine 20er-Packung lediglich 10 000 Mikrogramm und nicht eine Million Mikrogramm. Zudem bemerkt die Zeitung unter Berufung auf Köhler selbst, dass nur ein Teil der Stickoxide im Zigarettenrauch auf das Reizgas NO2 entfällt. In einer Mail habe Köhler diesen Anteil lediglich auf zehn bis 50 Prozent beziffert. Will heißen: Die effektive NO2-Belastung von Rauchern ist gar nicht so hoch, wie Köhlers ursprüngliche Rechnung vermuten lässt.

Köhler und seine Mitstreiter hatten folgenden Vergleich gezogen: Wer täglich 20 Zigaretten rauche, nehme in wenigen Monaten die gleiche Menge an Feinstaub und NO2 auf wie ein Nichtraucher, der 80 Jahre lang der Schadstoffbelastung in der Außenluft ausgesetzt sei. Unter Berücksichtigung der eingangs erwähnten Rechenfehler der Zeitung sei deren Schlussfolgerung, dass die über die Außenluft eingeatmete NO2-Menge derjenigen entspricht, die ein Raucher in sechs bis 32 Jahren aufnimmt.

Auch in puncto Feinstaub werden Köhler fehlerhafte Annahmen vorgeworfen. Der Mediziner räumt ein, dass er die im Rauch einer Zigarette enthaltene Feinstaubmenge zu hoch angesetzt hatte. In einer revidierten Berechnung hat er diesen Wert nun halbiert. Trotzdem kommt Köhler zu dem Schluss, dass ein Raucher bei 20 Zigaretten pro Tag bereits nach 1,5 Monaten „mehr Feinstaub eingeatmet hat als ein kontinuierlich an der Neckartormessstelle atmender Nichtraucher in einem 80-jährigen Leben“. Als Reaktion teilte Köhler am Donnerstag mit: „Insgesamt ändern diese kleinen Korrekturen natürlich nichts an der Gesamtaussage, dass die sogenannten Hunderttausende von Toten durch Feinstaub und NO2 sowie die daraus verursachten Krankheiten in Europa nicht plausibel sind.“

Zweifel fügen sich in Kritik aus der Wissenschaft

Die Zweifel an Dieter Köhlers Berechnungen fügen sich in die Kritik aus der Wissenschaft, die dem Lungenarzt und seinen Mitstreitern immer lauter entgegenschlägt. So verweisen Umweltmediziner auf Tausende von Studien, in denen die negativen Folgen von Stickoxiden und Feinstaub klar belegt worden seien. Für Feinstaub, der als deutlich gesundheitsschädlicher gilt, fordern sie sogar noch strengere Grenzwerte.

Ein weiterer Vorwurf gegen den Lungenarzt Köhler und die Unterzeichner seines Papiers lautet, dass man die langfristige Belastung durch Schadstoffe in der Außenluft nicht mit der nur zeitweisen Aufnahme beim Rauchen vergleichen könne. Daraus, dass die hohen Schadstoffkonzentrationen im Zigarettenrauch ungesund seien, könne man nicht ableiten, dass die deutlich niedrigeren Konzentrationen in der Außenluft unschädlich seien, heißt es etwa beim Helmholtz- Zentrum München, das an etlichen Studien zur Wirkung von Luftschadstoffen beteiligt war. „Deshalb macht es keinen Unterschied, ob Herr Köhler jetzt so oder so gerechnet hat“, sagt ein Helmholtz-Forscher.

Auch innerhalb der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie, der Köhler einst selbst vorstand, erhalten die Grenzwertkritiker keine große Unterstützung. Von den rund 3800 Mitgliedern der größten Vereinigung von Lungenärzten haben nach neueren Zahlen nur rund 130 Köhlers Stellungnahme unterschrieben.