Im Wirecard-Prozess geht es vor allem um die Frage, ob es in Asien je Geschäft gegeben hat. Falls ja, müssten Kreditkartenfirmen das wissen. Visa konnte aber nichts entdecken.

Als Wirecard im Juni 2020 kollabiert ist, waren Treuhandkonten leer, auf denen 1,9 Milliarden Euro hätten liegen sollen. Im laufenden Prozess gegen den Ex-Konzernchef Markus Braun, den auch als Kronzeugen fungierenden Oliver Bellenhaus und Ex-Chefbuchhalter Stefan E. geht es vor allem um die Frage, ob die Milliarden geraubt wurden oder nie existiert haben. Bellenhaus und Staatsanwälte glauben Letzteres belegen zu können. Braun und Stefan E. beharren auf der ersten Version, um sich selbst zu Opfern und nicht Mittätern erklären zu können. Genau wissen müssten es Kreditkartenfirmen. Die haben zwar nicht direkt mit den Konten und dortigen Milliarden zu tun gehabt, aber mit den Geschäften, auf denen sie beruhen. Insofern ist wichtig, was ein Zeuge von der Kreditkartenfirma Visa zu sagen hatte.

 

Visa findet keine Spur von Transaktionen oder Käufern

„Ich konnte die Transaktionen nicht finden, es ist nichts aufgetaucht“, erklärte ein 50-jähriger Mitarbeiter aus dem Visa-Kundendienst, der im Münchner Wirecard-Betrugsprozess als Zeuge geladen war. Damit war er der erste von außerhalb des Konzerns, was ihn zu einem besonders unverdächtigen Zeugen macht. Um zu klären, ob die umstrittenen Geschäfte existiert haben oder frei erfunden waren, wurde ihm aus dem Wirecard-Fundus nach der Pleite mehrere Transaktionsdaten von bargeldlosen Zahlungen zur Verfügung gestellt, die angeblich über Visa-Kreditkarten abgewickelt worden waren.

In einem Zeitfenster von zehn Tagen um das angebliche Transaktionsdatum herum habe er in den Visa-Systemen nach den Käufen gesucht und nicht einen Treffer gelandet, erzählt der extra aus England zum Prozess angereiste Brite. Das sei in Einzelfällen nur möglich, wenn die Bank des Käufers und die des Empfängers identisch sind. Die Sache scheint damit klar.

Aber angezweifelt wird in diesem Fall so gut wie alles. Brauns Verteidiger vermuten, dass die Kreditkartennummern, auf deren Basis der Visa-Mitarbeiter die Transaktionen zu verifizieren versucht hat, nicht korrekt waren. Plausibel begründen oder gar belegen können sie das nicht. Kronzeuge Bellenhaus wiederum fühlt sich darin bestätigt, dass große Teile des angeblich so lukrativen Wirecard-Geschäfts nie existiert haben. Nicht eine Nachfrage an den Visa-Zeugen hatte die Staatsanwaltschaft und fühlt sich ihrer Sache offenkundig sehr sicher.

Um Erkenntnishoheit gerungen wird auch hinsichtlich anderer Zeugenaussagen. Vor dem Visa-Mitarbeiter hatten zwei frühere Beschäftigte aus der Compliance-Abteilung von Wirecard ausgesagt. Dort arbeiten die Mitarbeiter einer Firma, die intern darauf achten sollen, dass Recht und Gesetz beachtet werden. Beide Compliance-Experten hatten ausgesagt, dass ihre Einwände zu fragwürdigen Praktiken ungehört verhallt sind und sie kaltgestellt wurden, wenn Dinge wie die Existenz bestimmter Geschäfte nachgeprüft werden sollten.

Die Verteidiger ziehen alles und jeden in Zweifel

Auch diese für sich sprechenden Aussagen versuchen Brauns Verteidiger zu entkräften. Die Prüfungen der Wirecard-eigenen Compliance-Abteilung seien mangelhaft, wird insistiert. Daten, die belegen könnten, dass die umstrittenen Geschäfte doch existiert haben, wären auf gelöschten Servern gespeichert gewesen, deren Bestände für immer verschwunden sind.

Auch dafür, dass es keinerlei Spuren für Kommunikation mit den Händlern gibt, deren Geschäfte Wirecard angeblich abgewickelt hat, haben Brauns Verteidiger eine Erklärung. Das sei alles über den Messengerdienst Telegram gelaufen. Dortige Chatverläufe können ebenfalls nicht mehr beschafft werden. Alle Daten, die Brauns Unschuld beweisen können, seien vom Kronzeugen Bellenhaus gelöscht worden, um zu verwischen, dass er selbst Kopf einer Betrügerbande gewesen ist, die Wirecard ausgenommen hat, sagen Brauns Anwälte. Sie sind erkennbar in der Defensive.