Nach der Sondersitzung ist vor der Sondersitzung: Die Aufklärung des Falls Wirecard hat erst begonnen. Bisher gibt es in der Opposition noch keine einheitliche Linie, ob es einen Untersuchungsausschuss geben soll.

Berlin - Im Betrugsskandal um den Dax-Konzern Wirecard versucht die Opposition den Druck auf die Bundesregierung hoch zu halten. Der FDP-Obmann im Finanzausschuss, Florian Toncar, sagte am Donnerstag, Finanzminister Olaf Scholz (SPD) habe in der Sondersitzung am Mittwoch die entscheidende politische Frage nicht beantworten können – warum die Finanzaufsicht Bafin nicht hinter die Unregelmäßigkeiten bei Wirecard gekommen sei. Die Grünen-Finanzpolitikerin Lisa Paus sagte, die Sitzung sei für Scholz sowie Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) ganz sicher nicht der „große Befreiungsschlag“ gewesen: „Wir stehen immer noch am Anfang der Aufklärung.“

 

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Auf die Frage, wer die politische Verantwortung für das Desaster trage, habe es nur großes Schweigen gegeben, sagte Paus. Eine weitere Sondersitzung des Finanzausschusses noch vor dem Ende der parlamentarischen Sommerpause Anfang September gilt als wahrscheinlich. Auch Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble sprach sich für eine umfassende Aufarbeitung des Skandals aus.

Wann hat die Regierung von den Unregelmäßigkeiten gewusst?

Ob ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss eingesetzt werden soll, ist noch unklar. Linke und FDP sind dafür, auch weil das Gremium Akteneinsicht hätte. Toncar sagte, es bestehe ansonsten die Gefahr, dass das Finanzministerium bei der Weitergabe von Informationen „Richter in eigener Sache“ sei. Das Ministerium hat die Aufsicht über die Bafin.

Die Grünen wollen zunächst weitere Informationen der Regierung abwarten und dann bewerten, ob ein Untersuchungsausschuss geboten ist. Für die Einsetzung muss im Bundestag ein Viertel der Abgeordneten stimmen. FDP, Grüne und Linke würden zusammen das Quorum erreichen. Für einen U-Ausschuss sprach sich auch die AfD aus. Der Zeitplan wäre allerdings eng. Das Gremium könnte die Arbeit möglicherweise erst im November aufnehmen - und das Ende der Legislaturperiode im Herbst 2021 naht.

Der inzwischen insolvente Zahlungsdienstleister Wirecard hatte im Juni Luftbuchungen von 1,9 Milliarden Euro eingeräumt. Zentrale Fragen sind, wann genau die Regierung von Unregelmäßigkeiten wusste und ob sie zu wenig dagegen unternommen hat.

Scholz hatte in seiner Befragung im Finanzausschuss laut Teilnehmern die Schuld vor allem auf Wirtschaftsprüfer geschoben, die Jahresabschlüsse von Wirecard jahrelang nicht beanstandet hätten. Vorwürfe, die Bafin habe zu wenig unternommen, wies er zurück. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) machte deutlich, er sehe keine Fehler bei der Aufsicht über die Wirtschaftsprüfer.

An Untersuchungsausschuss führt kein Weg vorbei

Scholz hatte erneut seinen Reformwillen betont. Ein von ihm vorgelegter Aktionsplan sieht mehr Befugnisse für die Bafin vor sowie Reformen bei der Wirtschaftsprüfung. Der Plan ist aber innerhalb der Bundesregierung noch nicht abgestimmt.

Die Grünen-Finanzpolitikerin Paus sagte, in einer weiteren Sondersitzung des Finanzausschusses sollten auch Vertreter des Bundeskanzleramts befragt werden. Ein Untersuchungsausschuss werde dann unvermeidlich, wenn sich die Regierung weiter nur häppchenweise oder ausweichend an der Aufklärung beteilige.

FDP-Fraktionsvize Christian Dürr sagte der dpa: „An einem Untersuchungsausschuss zum Wirecard-Skandal führt eigentlich kein Weg mehr vorbei. Ich erwarte, dass nicht nur die Minister Scholz und Altmaier als Zeugen geladen werden, sondern auch die Bundeskanzlerin.“ Angela Merkel (CDU) dürfe sich nicht aus der Affäre ziehen. „Sie muss erklären, wieso sie auf ihrer China-Reise im vergangenen Herbst noch Werbung für Wirecard gemacht hat, während ihr Finanzminister schon seit Anfang 2019 von den Ermittlungen wusste.“

Bundestagspräsident Schäuble sagte der „Wirtschaftswoche“: „Es ist eine Aufgabe des Parlaments, neben den Strafverfolgungsbehörden und der Bafin den Fall aufzuklären. Das größte Interesse daran muss übrigens die Regierung selbst haben.“ Zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses erklärte Schäuble, darüber entscheide nicht er, sondern der Bundestag. Allerdings zeige die Erfahrung, dass Untersuchungsausschüsse „immer wieder Dinge ans Licht befördern, die sonst nicht bekannt geworden wären“.