Seit 2004 finanzieren und beraten erfahrene Unternehmer junge Firmen aus der Region, zu denen auch der Dienstleister Autonetzer gehört. Ein Beispiel für die Arbeit der Business Angels.

Das Klischee kennt jeder. Die Vorstellung von den Internetgründern, die irgendwie ziemlich gut drauf sind, eine schwarz umrandete Brille tragen, in schicker Umgebung, bevorzugt eine ausrangierte Kaserne oder eine ehemalige Fabrik, locker vor sich hin werkeln und eines Tages mir nichts, dir nichts mindestens Millionäre sind. Die beiden Männer, die an diesem Vormittag in einem schmucklosen Büroraum an der Stuttgarter Paulinenstraße vor einem Glas Wasser sitzen, sehen ziemlich normal aus, sie tragen auch keine schwarz umrandeten Brillen. Und mit den Millionen ist das so eine Sache.

 

Beide Männer reden nämlich nicht gerne über Geld. Sicher ist aber: der eine Mann hat Erfahrung, der andere hat eine Idee, der eine Mann kann gut Geld organisieren, der andere kann es gut gebrauchen. Der eine Mann ist Carl Mahr, der andere Markus Gößler. Carl Mahr ist Business Angel, einer von gut 40 in der Region Stuttgart. Markus Gößler ist zusammen mit Sebastian Ballweg Gründer und Geschäftsführer der Firma Autonetzer, der deutschlandweit größten Internetplattform für privaten Autoverleih. Ohne die Ratschläge und die finanzielle Unterstützung von Mahr und vier weiteren Business Angels könnten die Mittdreißiger Ballweg und Gößler nicht davon träumen, wovon viele Gründer träumen: vom großen geschäftlichen Erfolg – und vielleicht noch viel mehr davon, wie sich eine Idee, ihre Idee, durchsetzt. „Wir setzen auf dieses Projekt“, sagt Gößler, „und wenn sich das am Markt etabliert, dann ist das eine emotionale Rendite.“ Wer redet da noch vom Geld.

Business Angel – Geschäft und Engel, das Wortpaar will auf den ersten Blick nicht so recht zusammenpassen: die mythischen Geistwesen und das ganz reale Wirtschaftsleben, Glaube und Esoterik hier, Gewinn- und Verlustrechnung dort. Doch der 46-jährige Mahr hält den Begriff, der aus den USA und England mit ihrer ganz anderen und viel optimistischeren Gründerkultur kommt, für zutreffend. „Wir haben wie die Engel zwei Flügel, die die Gründer tragen sollen: das Geld und das persönliche Engagement“, sagt er.

Mahr kennt sich an der Spitze einer Firma aus

Carl Mahr war nicht zeitlebens Business Angel. Bis Ende 2009 ist er geschäftsführender Gesellschafter in einem mittelständischen Familienunternehmen gewesen. Erst seit dem Verkauf des von ihm geführten Geschäftsbereichs engagierte er sich als Business Angel. Mahr kennt sich nicht nur an der Spitze einer Firma aus. Er hat ein Maschinenbau- und MBA-Studium in Stuttgart und Berkeley gemacht, er war einige Jahre in San Francisco und hat dort die amerikanische Start-Up-Kultur kennengelernt. Als Business Angel ist er Mitglied im Vorstand der Stuttgarter Regionalgruppe und hält Beteiligungen an mittlerweile fünf innovativen, jungen Unternehmen, zu denen jetzt auch die Autonetzer gehören. „Dahinter steckt eine tolle Idee“, findet Mahr. So toll, dass er und die vier anderen Business Angels bisher mit 400 000 Euro bei den Autonetzern eingestiegen sind. Jetzt sollen zwei weitere Business Angels und ein institutioneller Investor die finanzielle Basis weiter verbreitern.

Den Anstoß für die Autonetzer gab Sebastian Ballweg. Er arbeitete damals bei Daimler und besaß ein Auto, mit dem er die Probleme hatte, die viele in einer Großstadt wie Stuttgart plagen: Parkplatznot, hohe Kosten, im täglichen Einsatz Bus und Bahnen unterlegen, aber nötig für längere Strecken und größere Einkaufstouren. Warum das Fahrzeug nicht an Nachbarn ausleihen, dachte sich Ballweg und stieß rasch auf Probleme mit der Versicherung. Doch Mitte 2010 entwickelten er und Gößler, der Erfahrung als Unternehmensberater und mit einem Online-Start-Up in China mitbrachte, ein Konzept für privates Carsharing, das zwei Vorteile bietet. Für den Autobesitzer, dass er ab und zu die hohen Fixkosten für sein Fahrzeug durch eine Vermietung reduzieren kann. Für den Mieter, dass er ein Auto für längere Strecken oder größere Einkäufe preisgünstig nutzen kann.

Nach einer erfolgreichen Testphase wurde eine Internetplattform entwickelt und eine spezielle Vollkasko-Versicherung gefunden, die einen umfassenden Schutz bietet. Der Startschuss für eine kleine Erfolgsgeschichte, in der mittlerweile 4500 Fahrzeuge, 35 000 Kunden und zwölf Beschäftigte mitspielen. Hochburg der Autonetzer ist Berlin mit mehr als 300 Autos, in Stuttgart sind 111 Fahrzeuge verfügbar – vom Smart bis zum VW Bus. 15 Prozent landen als Vermittlungsprovision bei Autonetzer, zudem wird dem Mieter eine Buchungsgebühr und der Versicherungsschutz berechnet.

Mit diesem Konzept haben Ballweg und Gößler sich bei den Business Angels beworben, wofür ein einseitiges Formular und, wenn die Idee gefällt, ein 15-minütiges Präsentationsgespräch vorgesehen sind. Danach fällt die Entscheidung. Bei Autonetzer ging der Daumen hoch. „Für mich hat diese Idee, das eigene Auto zu teilen, ein riesiges Potenzial“, sagt Carl Mahr. Viele aktuelle Themen, die zeitgeistige Menschen beschäftigten, fänden sich darin: die bessere Auslastung der Ressourcen, preisgünstige Mobilität, ein transparentes Angebot, internetaffine Abwicklung, ein in der Großstadt und auf dem Land funktionierendes Konzept sowie der Reiz des Teilens – und das vor dem Hintergrund, dass „sich unsere Mobilitätsverhalten ändern wird“, sagt Mahr. Für ihn passen Rahmenbedingungen und Geschäftsmodell zusammen wie Sebastian Vettel und sein Red-Bull-Bolide. Längst gibt es Mitbewerber mit ähnlichen Konzepten, auf dem Verleihmarkt tummeln sich viele: Pioniere wie Stadtmobil bis hin zur Bahn oder dem Daimler-Konzern, der mit Autonetzer bei seinem Car2share-Angebot zusammenarbeitet. Inzwischen wehrt sich der Verband der Autovermieter mit einer Klage gegen die Plattform, was zumindest beweist, dass sie als Konkurrenz ernst genommen wird.

Wachstum kostet Geld

In diesem Umfeld müsse Autonetzer rasch weiter wachsen, sagen Mahr und Gößler. Je mehr Autos sie anbieten, desto erfolgreicher sind sie, je mehr Vermittlungen getätigt werden, desto größer ist der wirtschaftliche Gewinn. Doch dieses Wachstum kostet Geld. „Aus eigener Kraft ist das nicht zu stemmen“, sagt Gößler. In der frühen Phase fänden sich nur schwer Geldgeber, Banken schon gar nicht, die forderten Sicherheiten, die ein Internet-Start-Up nicht bieten könne. „Eine Idee ist kein Grundstück“, sagt er. Ballweg und Gößler haben auch nach dem Einstieg der Business Angels noch die Mehrheit. „Wir tragen ein hohes, aber vermindertes Risiko“, sagt der Firmeninhaber.

Stuttgart - Die Finanzierung gilt unter Experten als eines der größten Probleme für junge Unternehmer. „In Deutschland haben sie es schwerer, an Risikokapital für die Frühphase ihres Unternehmens zu kommen, als in anderen Ländern“, sagt Walter Rogg, der Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung Region Stuttgart, die zusammen mit der Stadt Stuttgart und mehreren Unternehmern 2003 die Business Angels in der Region initiierten. Anfangs waren es zehn, heute zählt der Verein 40 Engel – darunter Helmut Hengstenberg, Spross der Konservendynastie, der ehemalige Ministerpräsident Lothar Späth und Hansjörg Weitbrecht, früherer Chef des Thienemann Verlags. Neben ihrer Erfahrung bringen sie ein „verfügbares Mindestkapital von 250 000 Euro“ mit und sind „bei Totalverlust des investierten Kapitals nicht existenziell gefährdet“. So jedenfalls steht es in den Aufnahmebedingungen der Business-Angels-Region Stuttgart, wo man seit genau zehn Jahren jungen, innovativen Unternehmensgründern mit Rat, Tat sowie Kapital zur Seite steht – und das kleine Jubiläum, und ein bisschen auch sich selbst, vor einigen Wochen mit einem eintägigen Kongress feierte.

Zum Jubiläum lobte der Vorsitzende Andreas Kurtz sein „hochmotiviertes Team, das sich sowohl aus dem traditionsreichen Mittelstand als auch aus der New Economy rekrutiert und nicht nur über die notwendigen finanziellen Mittel, sondern auch über Fachwissen in fast allen Hightechbranchen verfügt“. Heute sind die Business Angels in 30 Firmen aktiv, mitunter auch über ihre von Mitgliedern finanzierte Beteiligungsgesellschaft, wenn höhere Summen nötig sind oder das Risiko gestreut werden soll. Unterstützt werden zum Beispiel die Firma Makatec aus Bondorf, die als weltweit erste Membrantechnologie in der Kältetechnik einsetzt, der Wendlinger Brennstoffzellenspezialist FutureE und weitere Betriebe aus der Bio- und der Kommunikationstechnologie.

Zum Vorzeigeprojekt soll sich auch Autonetzer entwickeln. „Die Chemie stimmt“, sagen Gößler und Mahr, „wir begegnen uns auf Augenhöhe.“ Zwar weiß auch Gößler, was er kann, bei Verhandlungsstrategien aber, räumt er ein, sei Mahrs Rat „unglaublich hilfreich“. Sie haben sich darauf verständigt, wie sich das Unternehmen ungefähr entwickeln sollte, damit die Tausender weiter fließen. „Grundsätzlich gilt: Knappheit setzt Kreativität frei“, sagt Mahr. Man brauche halt beides, meint er und lächelt: Geld und motivierte Gründer.