Ingrid Bitter ist die Chefin eines traditionsreichen Modellbahnladens in Stuttgart. Seit 60 Jahren hat MC Schüler alle Wendungen des Zeitgeistes überstanden. Sie betreibt für ihren Laden inzwischen drei Onlineplattformen und blickt der Zukunft zuversichtlich entgegen.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

Stuttgart - Es ist eine verwinkelte, kleine Welt, die seit 60 Jahren in einer kleinen Nebenstraße in der Nähe des Stuttgarter Tagblattturms zu finden ist – genauso wie sich Außenstehende das Miniuniversum der Bahnfans vorstellen. Am Eingang des „Modellbahn-Centers Schüler“, das alle MC Schüler nennen, sind die Zeitschrift „Die Kleinbahn“ und die Postille der „Verkehrsfreunde Stuttgart e. V.“ versammelt. In den im Erdgeschoss verteilten Vitrinen sind für Kenner vom Maßstab 1:45 angefangen bis zum Miniformat 1:220 wahre Schätze zu entdecken: Schwarze Schönheiten aus der Dampflokzeit, bunte, moderne E-Loks. Aber auch Exoten sind zu finden wie die Modelle japanischer Elektroloks und chinesischer Dieselmaschinen im Maßstab 1:160, also im Fachjargon für die Spur N. Daneben verteilen sich bis hinauf ins Obergeschoss die Regale voller Bäume, Büsche und Accessoires wie das „Pflanzenkübel-Set Gurken und Tomaten“. Beim Tresen steht ein Modell des Feuerwehrhauses von Schwenningen samt löschenden Feuerwehrleuten und brennendem Auto.

 

Vor einigen Wochen hat sich das Filmteam für einen Fernsehkrimi den traditionsreichen Laden als Kulisse ausgesucht – und in die Klischeekiste gegriffen. Ingrid Bitter, die Inhaberin des Familienbetriebs, der im September seinen sechzigsten Geburtstag feiert, erzählt lachend von der gefilmten Szene, in der ein älterer, verklemmter Herr die Verkäuferin bittet, ihm eine diskrete Tüte zu geben – als sei er im Erotikgeschäft: „Sie wissen doch, meine Frau . . .“ Ganz so spießig können Modellbahnbastler aber nicht sein. Unter dem Titel „Die wilden 70er“ gibt es für den H0-Maßstab 1:87 im Onlinekatalog einen Bausatz „Hanf und Mohnanbau mit Hobbygärtnern“ oder für Leute, die es gerne auf andere Weise freakig haben, das Modell eines „Ufos - Fliegende Untertasse, 150 Millimeter Durchmesser, Bausatz mit Lichteffekten.“ Bei den „Badenden am FKK-Strand mit Strandkorb als Bausatz“ wird es dann sogar geradezu frivol.

Wider das Image vom kauzigen Modelleisenbahner

„Ach ja, in der Öffentlichkeit kursiert immer noch das Image vom kauzigen Modelleisenbahner, Mindestalter 65, der sich im Keller vergräbt, um nicht mit seiner Gattin sprechen zu müssen“, sagt Bitter. Doch ihren Laden gäbe es schon lange nicht mehr, wenn ihr Geschäft nur von dieser Klientel leben wollte. Modellbahnläden sind in der Region rar geworden. Auch immer mehr Spielzeugläden geben das komplexe und anspruchsvolle Geschäft mit den Eisenbahn-Miniaturwelten auf. Zuletzt hat der traditionsreiche Stuttgarter Spielwarenhändler Kurtz bei der Verkleinerung seiner Flächen auf die Modellbahnabteilung verzichtet.

Doch Bitter blickt zuversichtlich auf die kommenden Jahre. Der Immobilieneigentümer hat gerade den Mietvertrag für mehrere Jahre verlängert. Die steigenden Ladenmieten in Stuttgart sind nämlich ein großer Risikofaktor für Läden wie MC Schüler. Das Geschäft sei zwar in einer Zone mit Laufkundschaft, die etwa auf dem Weg in ein Sportstudio vorbeikomme, aber man liege andererseits abseits der teuren Königstraße, sagt Bitter.

Seit sechs Jahrzehnten hat sich der Laden immer wieder an den Zeitgeist anpassen müssen. „Weniger Kinder – das ist eine unvermeidliche gesellschaftliche Entwicklung“, sagt die Ladenbesitzerin, die schon als Kind an der Seite ihres Vaters auf rußige Dampfloks geklettert ist. Doch zurzeit ist die Bastelwelt der Modellbahn wieder en vogue: „Heute sehen sie im Laden die Mutter mit Kind, gut situiert, die ihrem sechs- bis zehnjährigen Sprössling etwas zum Anfassen bieten will, damit er von der Elektronik wegkommt, an der er den ganzen Tag hängt.“ Inzwischen tauchen gelegentlich auch wieder Jugendliche zwischen 14 und 20, auf die ihre Modellbahn aus Kindertagen nicht zum alten Eisen gelegt haben, sondern es cool finden, sie ihren Kumpels zu zeigen. „Dann kommen gleich drei oder vier. Einer ist interessiert und die anderen schauen mal herum.“ Modellbahnen sind aber auch für manchen gestressten Manager die Antibildschirm-Medizin: „Die sind so 40 bis 50, die Familie ist gerade etabliert. Die jetten beruflich um die ganze Welt und sagen: Ich brauche etwas zum Abschalten.“ Ja, und die Stammkunden, von denen einer am Tresen nebenbei einmal einen solide vierstelligen Betrag hinblättert, die gibt es auch noch.

Die neue Devise: lieber Kinder als Sammler

Auch die Hersteller haben dazugelernt. Um die Jahrtausendwende hatten die sich mit der Fokussierung auf den scheinbar unerschöpflichen Sammlermarkt verrannt. „Die Spitze der Sammler ist irgendwann bei einem fünfstelligen Jahresbetrag gelandet – und das macht die Familie nicht ewig mit. Mancher Kunde wusste bei mir im Laden gar nicht mehr, ob er eine bestimmte Lok schon gekauft hatte oder nicht“, sagt Bitter. Heute sind die Anbieter erfolgreich, die durch preiswerte Startpackungen wieder Kinder mit dem Modellbahn-Virus infizieren. Bei denen ist die gute alte Dampflok kein Renner. Die meisten Hersteller setzen zum Schrecken der Traditionalisten auf moderne E-Loks in Blau, Grün, Gelb und den bunten Farben der heutigen Privatbahnen: „Damit kommen sie in die Kinderzimmer, denn die modernen Lokomotiven sind das, was die Kinder heute sehen.“

Ohne Onlineportale geht es nicht

Mit unterschiedlichen Onlineportalen nicht nur für das Eisenbahn-Gesamtangebot, sondern auch speziell für Minimodellbahnfiguren sowie Bauteile und Zubehör ist MC Schüler gleich dreifach im Internet präsent. Zwei davon werden in enger Kooperation mit den Herstellern betrieben. „Aber glauben Sie nicht, dass das Versandgeschäft für uns Neuland ist“, sagt Bitter. Das von ihrem Vater 1955 gegründete Geschäft war schon bald eine Anlaufstelle für eisenbahnvernarrte, in Stuttgart und Umgebung stationierte US-Soldaten. Die ließen sich die Modelle aus „good old Germany“ dann auch in die Heimat schicken. Dazu kommen bis heute Touristen und Geschäftsreisende aus aller Welt, die wissen, dass es nichts gibt, was MC Schüler nicht besorgen kann. Im Stuttgarter Laden weiß man eben, dass ein niederländischer Hersteller Reisezugwagen neu im Sortiment hat, die in einem ganz bestimmten Zug durch Deutschland gefahren sind und die noch nie zu bekommen waren: „Da stehen jetzt die Stuttgarter da und sagen: Wir wollen das haben!“ Dank Google sei nun der Laden in Stuttgart sogar leichter zu finden, sagt sie über das Internet, das so vielen anderen Händlern Sorgen macht.

Doch der Modellbahnladen dosiert dort sein Angebot genau. Nicht alles, was im Katalog steht, ist auch im Internet zu beziehen. „Man muss seine Kunden kennen – und man kennt sie besser, wenn sie in den Laden kommen“, sagt Bitter. Eine Modellbahn sei kein Buch, das man sich einfach herunterlade: „Es ist ein Systemspielzeug: Man braucht jemand, der ein Partner ist, der bei Fragen zum Hobby zur Verfügung steht und auch mal Reparaturen macht.“

Die Modellbahnbranche in Deutschland

Krise
– Die Modellbahnbranche in Deutschland hat harte Jahre hinter sich. Eine Weile reihte sich bei traditionsreichen Herstellern eine Insolvenz an die andere: 2005 ging der auf dem deutschen Markt starke österreichische Hersteller Roco pleite. 2006 traf es den Gartenbahnbauer LGB. 2009 folgte Märklin samt Tochter Trix. Anfang August 2015 schlitterte auch die Firma Fleischmann in die Insolvenz.

Neuanfang –
Am Ende ist die Branche nicht. Alle genannten Firmen führen die Geschäfte fort, meist dank neuer Eigentümer und einer Orientierung auf neue Kunden: Kinder statt Sammler. Die Modellbahnhochburg Deutschland ist nur Entwicklungsstandort. Produziert wird global: Die Minifiguren von Preiser kommen sogar aus Mauritius. Vieles stammt aus China, doch aktuell zieht es die Hersteller nach Osteuropa, etwa nach Ungarn oder Rumänien.