Immer mehr Schüler versuchen sich in Schülerfirmen. Dabei sollen sie am praktischen Beispiel lernen, wie die Wirtschaft funktioniert. Kritiker befürchten eine zu starke Ökonomisierung des Unterrichts.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

Nellingen - Ohne Online-Shop geht heute nichts mehr. Und so gibt es auf der Webseite von Concave Design auch einen Knopf, mit dem per Mausklick die Produkte im Warenkorb landen. Der Schüler Simon Uhl hat die Seite mit Profi-Software programmiert – und so sieht der Internetauftritt des neunköpfigen Teams aus 16- bis 17-jährigen Schülern des Otto-Hahn-Gymnasiums in Nellingen so aus wie bei einem richtigen Start-up. Ab 34,99 Euro sind gebrauchte Skateboards zu erwerben, welche die Schüler zu Möbelstücken umgebaut haben. Es gibt Regale und Garderobenbretter – und als Prototyp sogar eine Skateboard- Uhr. Elf Skateboards, die zusätzlich zur wöchentlichen Pflicht-Firmensitzung in aufwendiger Arbeit produziert wurden, sind verkauft. Noch einmal so viele sollen es bis zum Ende des Schuljahres werden. Die Zehn-Euro-Anteilsscheine der 90 Eigner sind inzwischen 13,61 Euro wert. „Das ist ein Plus von fast vierzig Prozent,“ sagt Fabian Geyer, der den Titel eines Finanzvorstands führt, auf der Hauptversammlung in der Aula. Sogar 6,50 Euro „Steuern“ führt die Firma ab – die gehen an das beim Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) angesiedelte Junior-Programm, das Schülerfirmen wie Concave Design betreut.

 

Vor 20 Jahren, im Schuljahr 1994/95, hat die vom IW gestartete Initiative begonnen, Schüler ab Klassenstufe 7 zu Unternehmern zu machen. Inzwischen ist sie in fast allen Bundesländern etabliert. „In Deutschland arbeiten nur wenige Erwerbstätige auf eigene Rechnung. Verglichen mit anderen Industrieländern ist der Gründerelan hierzulande vergleichsweise gering. Ein Grund für den hohen Nachholbedarf wird auch in der unzureichenden Vermittlung von wirtschaftlichem Know-how an Schulen gesehen“, so heißt es in der Programmbeschreibung. Immer noch ist aber in Deutschland umstritten, wie intensiv die Schule ins Wirtschaftsleben einführen soll.

„Keine Ahnung von Steuern, Miete oder Versicherungen“

Im Januar sorgte in diesem Zusammenhang ein Tweet einer 17-jährigen Schülerin aus Köln für eine erregte Debatte im Netz. „Ich bin fast 18 und hab keine Ahnung von Steuern, Miete oder Versicherungen. Aber ich kann ’ne Gedichtanalyse schreiben. In 4 Sprachen,“ hatte sie geklagt – und Zehntausende von Reaktionen ausgelöst, die sich an der Frage abarbeiteten, wie sehr die Schule sich wirtschaftlichen Fragen öffnen soll. Sabine Montua, die im Junior-Programm für Baden-Württemberg zuständig ist, zitiert den Tweet, wenn sie den langsamen Prozess beschreibt, mit dem wirtschaftliche Themen an den Schulen in Deutschland in den vergangenen Jahren immer mehr Raum gefunden haben – auch dank der hartnäckigen und von Sponsorenmitteln begleiteten Lobbyarbeit der Firmen. Baden-Württemberg ist hier der Vorreiter. Im Schuljahr 2016/17 soll laut dem neuen Bildungsplan das Fach Wirtschaft in den 5. und 6. Klassen eingeführt werden. Sukzessive wird es dann von Klassenstufe zu Klassenstufe ausgebaut – bis 2020/2021 die zehnte Klasse an den Sekundarschulen und an den Gymnasien erreicht ist.

Das neue Fach, das ein Anliegen des Landeswirtschaftsministers Nils Schmid (SPD) ist, wird mit der Berufserkundung verknüpft. „Auch das ist Teil der Persönlichkeitsbildung – je früher das stattfindet, umso besser“, sagt eine Sprecherin des Kultusministeriums. Es gehe nicht darum, die Schule wirtschaftsfreundlicher zu machen: „Die Schüler sollen die unterschiedlichen Rollen als mündiger Wirtschaftsbürger und Unternehmer reflektieren.“

Doch die Einführung bedeutet Abstriche bei Fächern wie Gemeinschaftskunde und Geografie, bei denen das Thema Wirtschaft bislang untergebracht war. Die Gesamtstundenzahl des bisherigen Fächerverbundes bleibe aber gleich, heißt es beim Kultusministerium. Die Kritiker sind nicht überzeugt. „Unkritisch und neoliberal“, nannte die Lehrergewerkschaft GEW die geplanten Standards. Skeptisch ist auch der Bielefelder Sozialwissenschaftler Reinhold Hetke. „Schon in den letzten 15 Jahren haben Unterricht und Schule eine beispiellose Ökonomisierung erlebt“, sagt er: „Noch mehr Wirtschaft stärkt eine einseitig ökonomistische Sichtweise.“

Unternehmerisches Denken an Schulen

Die inzwischen allgegenwärtigen Schülerfirmen treiben das unternehmerische Denken schon weit. Die Mitarbeit kann in Baden-Württemberg fürs Abitur als mündliche Leistung angerechnet werden. Das ist attraktiv – auch wenn die Schüler gemerkt haben, dass ein Start-up vor allem eines bedeutet: viel Stress. „Ich habe schon gewusst, dass es viel Arbeit ist. Aber dass es so viel Arbeit ist, dann doch nicht“, sagt Dorothea Straub, die sich bei Concave Design mit ums Marketing kümmert. „Wirtschaft wird von vielen Schülern nicht gewählt, weil es aus ihrer Sicht einfachere Fächer gibt – Gemeinschaftskunde zum Beispiel“, sagt der Vorstandsvorsitzende Lukas Hafner.

Die Firma ist erfolgreich. Es gibt aber auch Schülerteams, die in den roten Zahlen landen – die dann von den Anteilseignern aus der Familie und dem Bekanntenkreis ausgeglichen werden müssen. „Die Firma ist für die Schüler schon ein Sprung ins kalte Wasser,“ sagt die betreuende Wirtschaftslehrerin Verena Nessler. Wer bei Concave Design mitmacht, muss aber vom ökonomischen Denken nicht erst überzeugt werden. „Eine gewisse Leistungsbereitschaft braucht man schon, um voranzukommen“, sagt Finanzchef Fabian Geyer. Doch ein späteres Unternehmerdasein ist für die Schüler angesichts der vielen Extrastunden nicht unbedingt attraktiver geworden.

Vorbilder helfen da eher. Marketingleiterin Marie Müller kann sich eine solche Aufgabe später als Beruf vorstellen. Die Inspiration? „Mein Bruder studiert gerade Wirtschaftsinformatik. Und auch mein Vater hat etwas mit Wirtschaft zu tun“, sagt sie. Dann dreht sie sich um: „Übrigens Papa, was machst du noch einmal genau?“