Die Kritik an der Globalisierung und an den Konzernen ist keine Domäne der Linken. Auch bei den Nazis hat Antikapitalismus eine Rolle gespielt. Die Radikalen beider Seiten werben um die Verlierer der Globalisierung – mit konträren Botschaften.

Stuttgart - Die Globalisierung – pfui Deibel! Die Kritik am Trend zur Liberalisierung der weltweiten Wirtschaftsbeziehungen nimmt nicht nur zu; mittlerweile ist daraus eine Projektionsfläche für die Kritik am Kapitalismus schlechthin geworden. Das steht in einem Kontrast zu den offiziellen Zahlen, nach denen die Globalisierung eine beeindruckende Erfolgsgeschichte ist. Die Weltwirtschaft ist von 1980 bis 2015 jedes Jahr im Schnitt um 3,5 Prozent gewachsen. Deutschland profitiert nach Meinung der Fachleute so stark wie kaum ein anderes Land auf der Welt von der Globalisierung.

 

Seit 1990 hat die Zahl derjenigen, die weltweit in extremer Armut leben, von 1,9 auf 0,8 Milliarden Menschen abgenommen. Grund dafür sind die Fortschritte in China und in Indien, aber auch in Afrika. „Nirgends in der Welt und zu keinem historischen Zeitpunkt hat es schnellere Fortschritte bei der Überwindung von Armut gegeben als in Asien seit den 70er Jahren“, schreibt der Globalisierungsexperte Stephan Klasen, der Volkswirtschaftslehre und Entwicklungsökonomik an der Uni Göttingen lehrt. Obwohl damit die Armut nicht besiegt ist, weiterhin täglich mindestens 10 000 Kinder verhungern und mehr Menschen als früher auf der Flucht sind, fällt die Zwischenbilanz der Globalisierung für Klasens eher positiv aus.

Deutschland gehört zu den bemerkenswerten Fällen

Der Wirtschaftswissenschaftler hat untersucht, wer die Gewinner und die Verlierer der Globalisierung sind und nähert sich dabei auch einer Antwort auf die Frage, warum in einem Land wie Deutschland die Kritik so laut ist. Stephan Klasen: „Zwar hat sich die Ungleichheit zwischen den Ländern in Folge der Globalisierung reduziert, die Differenzen innerhalb der Länder – etwa was Reichtum und Armut betrifft – sind aber überall gestiegen.“ Das gilt nach seinen Recherchen ebenso für viele Entwicklungs- und Schwellenländer in Asien und in Afrika wie für Industrieländer. Deutschland gehört für ihn zu den bemerkenswerten Fällen. Die ärmsten 20 Prozent der Bevölkerung verdienen heute genauso wenig wie vor 20 Jahren, wohingegen die Wohlhabenderen ihren Anteil erhöhen konnten. Und in keinem Industrieland der Welt außer den USA ist die Vermögenskonzentration so einseitig wie im Land des Exportweltmeisters, in Deutschland.

Auch die Löhne und Gehälter sind hoch, aber davon profitieren bei weitem nicht alle. Jeden fünften Arbeiter und Angestellten in Deutschland rechnen die Statistiker von Eurostat dem Niedriglohnsektor zu, weil er pro Stunde nicht mehr als 10,50 Euro verdient. In Deutschland ist im Zuge der Agenda-2010-Reformen ein großer Niedriglohnsektor entstanden, der zwar vielen Menschen Arbeit gibt, aber nicht immer zu auskömmlichen Bedingungen und sozial abgesichert. Die Zahl der Leiharbeiter ist massiv gestiegen, neue prekäre Formen wie Mini- und Ein-Euro-Jobber sind entstanden, und der Solo-Selbstständige mit Werkvertrag ist in immer mehr Unternehmen anzutreffen. Das Ergebnis: die Bundesagentur für Arbeit zählt neben den offiziell zweieinhalb Millionen Arbeitslosen noch eine weitere Million Männer und Frauen, die unterbeschäftigt sind; sie arbeiten, aber das Geld reicht nicht. Und im Ruhestand wird es für viele Arbeiter und Angestellten nicht besser. 2015 betrug die monatliche Rente nach Abzug von Kranken- und Pflegeversicherung im Durchschnitt zwischen 800 und 1100 Euro.

Solche Begleiterscheinungen der Globalisierung werden nun in einem denkwürdigen Gleichklang auf der linken Seite des politischen Spektrums ebenso beklagt wie auf der rechten; Anhänger der Linkspartei stehen neben NPD- und AfD-Demonstranten. Dass Linke Kritik üben, wenn die Verlagerung von Jobs ins Ausland mit Globalisierungszwängen begründet wird oder wenn Konzerne sich durch Lobbyismus Vorteile verschaffen, überrascht niemanden. Aber die Rechten? Sie klingen ganz ähnlich, schimpfen auf die EU-Bürokratie, haben erhebliche Zweifel am Euro und sind gegen Freihandelsverträge wie TTIP und Ceta. Für die um Abgrenzung bemühte Linke ist es daher wie ein Geschenk, dass sich das aber kaum im AfD-Parteiprogramm spiegelt. Dessen wirtschaftspolitischer Teil ist noch sehr stark beeinflusst von einigen neoliberalen Ideen der Gründer um den Volkswirtschaftsprofessor Bernd Lucke.

Kapitalismuskritik bei den Rechtsradikalen

Rechte Kapitalismuskritik hat in Deutschland keine Tradition; genauer gesagt: sie ist verschüttet. Das Bild vom Nationalsozialismus ist geprägt von Hitlers Gewaltherrschaft, nicht von der Ideologie. In der Frühphase der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) gab es jedoch eine starke linke Strömung, die es anders als Hitler, der die Nähe zum Kapital suchte (und fand), ernst meinte mit den traditionell linken Vokabeln Sozialismus und Arbeiterpartei. Das schlug sich im wirtschaftspolitischen Teil des Parteiprogramms von 1925 nieder. Die Forderungen reichten von der „Brechung der Zinsknechtschaft“ über die Einziehung der Kriegsgewinne und die Verstaatlichung der Trusts bis zur Kommunalisierung von Großwarenhäusern mit anschließender Vermietung an kleine Gewerbetreibende. Weitere Programmpunkte waren die Gewinnbeteiligung an Großbetrieben, eine Bodenreform mit der Möglichkeit einer entschädigungslosen Enteignung und die Todesstrafe für „Wucherer und Schieber“.

Die Parole von der „Brechung der Zinsknechtschaft“ ging auf den Nazi-Wirtschaftstheoretiker Gottfried Feder zurück, der damit 1919 die Verstaatlichung der Banken und die Abschaffung des Zinses gefordert hatte. Er traf auch die Unterscheidung zwischen einem schaffenden Kapital (Industrie und Handwerk) und einem raffenden Kapital (Handel und Banken). Nach seinem Verständnis bedeutete schaffendes Kapital Arbeit und diente dem Volk, wohingegen raffendes Kapital – eng verknüpft mit den Juden – arbeitsloses Einkommen bedeutete, von dem Einzelne profitierten. Die Frontstellung bestand also nicht wie bei Marx zwischen Kapital und Arbeit, sondern zwischen deutschen Arbeitern und Unternehmern auf der einen und ausländischen (im Zweifel jüdischen) Akteuren, die ein arbeitsloses Einkommen beziehen konnten, auf der anderen Seite.

Die Kapitalismuskritiker verlieren an Einfluss

Gleich nach seiner Entlassung aus der Haft in Landsberg Ende 1924 begann Hitler den Einfluss der Kapitalismuskritiker, zu deren Wortführern die Brüder Otto und Gregor Strasser gehörten, stärker zurückzudrängen, so dass das Parteiprogramm zwar 1925 beschlossen wurde, aber ohne Bedeutung blieb. 1930 trat eine ganze Gruppe mit Otto Strasser an der Spitze aus der Partei aus; Gregor Strasser blieb in der NSDAP. Unter der Überschrift „Die Sozialisten verlassen die NSDAP“ gab die Gruppe dann eine Erklärung zu ihrem Selbstverständnis ab, wonach der Nationalsozialismus „jenes System der Herrschaft des Geldes über die Arbeit bricht“. Gregor Strasser und seine Gefolgsleute distanzierten sich vom bürgerlichen Kapitalismus ebenso wie vom marxistischen Sozialismus; im Kapitalismus fehlte ihnen das Gemeinwohlinteresse, im Sozialismus der Bezug zur Nation.

Hitler näherte sich in der Folgezeit der Wirtschaft immer weiter an, weil er sie für die Aufrüstung in der Vorbereitung des Kriegs brauchte. Antikapitalismus war fortan nur noch gefragt, wenn er sich gegen jüdische Unternehmer richten ließ. Die Kapitalismuskritiker verloren zunehmend an Einfluss, bis Hitler schließlich seine innerparteilichen Widersacher mit Gewalt ganz ausschaltete. Noch verbliebene führende Repräsentanten wie Gregor Strasser und SA-Führer Ernst Röhm wurden Mitte 1934 umgebracht.

Schon lange versuchen Vertreter des rechtsradikalen Spektrums – allen voran die NPD – an die gedanklichen Vorläufer anzuknüpfen. Ziel ist der Schulterschluss mit den Linken, die Bildung einer sogenannten Querfront, die von den Umworbenen freilich abgelehnt wird und nur bei Einzelnen auf Interesse stößt. Schon für den 1. Mai 2004 hat zum Beispiel die NPD mit dem damaligen Parteivorsitzenden Udo Voigt zusammen mit sogenannten freien Nationalisten in Berlin zu einem Marsch der nationalen Einheit aufgerufen. Das Motto: „Volksgemeinschaft statt Globalisierungswahn! Arbeit für Millionen statt Profite für Millionäre!“ Die (damalige) Gegenwart beschrieben die Organisatoren unter anderem mit Globalisierung, Massenarbeitslosigkeit und spätkapitalistischem Zerfall der Sozialsysteme – sowie „Verausländerung“. Zur Wehr hätte sich aus Sicht von NPD & Co. eine Gruppe setzen sollen, in der „sozialrevolutionäre, wertkonservative und volkstreue Deutsche allesamt ihren Platz haben“. Die Rechten sind freilich unter sich geblieben.

Die Verlierer der Globalisierung

Nicht viel anders klingt es heute, wenn es in einem Aufruf heißt: „Antifa, Pegida, Mahnwache, Linke, Rechte, marschiert zusammen. [. . .] Ihr habt jetzt nur eine Bürgerpflicht: Denen da oben eine Grenze aufzuzeigen. Die brauchen einen Dämpfer und müssen mal wieder spüren, dass es Grenzen gibt.“ Jupp Legrand, Geschäftsführer der gewerkschaftlichen Otto-Brenner-Stiftung, hat das im Vorwort zu der Studie „Querfront“ als den Versuch beschrieben, mit einfach gestrickten Positionen ganz klare Fronten zu markieren, um zu einer Rechts-Links-Allianz zu kommen: das Volk gegen die Eliten, die Wahrheit gegen die Lügenpresse, für die Nation und gegen die EU, gegen die USA und für Putins Russland.

Den politischen Schulterschluss zwischen Rechts und Links gibt es zwar nicht, aber viele Menschen erweisen sich als keineswegs immun. So hat die AfD bei den Landtagswahlen 2016 in Berlin und in Mecklenburg-Vorpommern in den Gruppen der Arbeiter und der Arbeitslosen, die früher als sichere Bank für die SPD und die Linkspartei galten, die Mehrheit geholt – bei Bürgern, die sich nicht nur als Verlierer der Globalisierung fühlen, sondern es zumindest teilweise tatsächlich sind.

Von Klassenfragen abgewandt

Der häufig sehr schlecht gemanagte Prozess der Globalisierung lässt viele auf Distanz gehen, überall auf der Welt werden die nationalistischen Töne lauter. Bedroht wird dadurch auch der Nutzen, den die Globalisierung abseits von wirtschaftlichen Erwägungen stiftet. Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel hat die Vorzüge der Globalisierung einmal so beschrieben: „Sie bewertet Menschen nicht nach Hautfarbe, Religion oder Nation. Sie baut keine Mauern und Eisernen Vorhänge. Sie öffnet Grenzen … und erweitert die Freizügigkeit und das Wissen der Menschheit.“

Dass es gegenwärtig aber trotzdem wieder stärker um diese Merkmale geht, ist nach Ansicht des Politikwissenschaftlers Claus Leggewie auch durch ein Versäumnis in der gesellschaftlichen Debatte zu begründen, die sich von Klassenfragen abgewandt und Fragen der kulturellen Identität zugewandt habe – Fragen der Hautfarbe, des Geschlechts, der sexuellen Orientierung und des Glaubens. Leggewie, Leiter des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen, hat in einem Interview daran erinnert, dass in den USA schon in den 90er Jahren vor einem „Identitätszirkus“ im akademisch-amerikanischen Milieu und der damit verbundenen politischen Korrektheit gewarnt wurde. „Das fällt uns jetzt auf die Füße.“ Leggewies Empfehlung lautet deshalb: „Ein bisschen mehr Klassenkampf wäre jetzt gut.“