Ministerpräsident Winfried Kretschmann kündigt überraschend an, dass in Zukunft alle Schulen in Baden-Württemberg Informatik unterrichten werden. Dafür erhält der grüne Regierungschef überschwängliches Lob von führenden Wirtschaftsvertretern.

Stuttgart - Der Daimlerchef Dieter Zetsche und Franz Fehrenbach, der Aufsichtsratsvorsitzende der Robert Bosch GmbH sind mit dem Forum „Wir. Unternehmen.MINT“ sehr zufrieden. Dazu hat Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) wesentlich beigetragen. Der Regierungschef hat beim Mintkongress der Baden-Württemberg Stiftung und der Wissensfabrik überraschend ein neues Konzept zum Informatikunterricht an Schulen angekündigt. In der Vergangenheit war vielfach ein Schulfach Informatik gefordert worden.

 

Kretschmann versprach am Dienstagabend in Stuttgart „alle Schüler an allgemein bildenden Schulen werden eine verbindliche Grundbildung in Informatik bekommen“ und erntete dafür großen Applaus von Wirtschaftsvertretern. Kultusminister Andreas Stoch (SPD) werde das Konzept bald vorstellen, sagte Kretschmann.

Beifall von den Wirtschaftsbossen

Dieter Zetsche honorierte die Ankündigung umgehend. Im Zeitalter der Digitalisierung seien IT-Kenntnisse entscheidend, bekräftigte der Daimlerchef eine entsprechende Äußerung Kretschmanns. Zetsche zeigte sich „sehr erfreut, dass Informatik in den Lehrplan von Baden-Württemberg kommt“. Franz Fehrenbach sprach gar von „exzellenten News bezüglich der Informatik“. Er macht deutliche Schwächen in der Softwareentwicklung aus, und hofft auf neue Kompetenzen.

Das Interesse der Jungen und Mädchen an naturwissenschaftlichen Fächern sinkt. Nur drei bis vier Prozent der Schüler entscheiden sich für Leistungskurse in Chemie oder Physik. Das wirkt sich auch auf die Studienwahl aus und könnte den Fachkräftemangel in den Mint-Berufen verschärfen. Die Baden-Württemberg-Stiftung und die Bildungsinitiative Wissensfabrik wollen frühzeitig das Interesse an technisch-naturwissenschaftlichen Studienfächern wecken. Dazu sollte das Forum im Haus der Wirtschaft beitragen.

Bei der abschließenden Podiumsdiskussion legten sich die Spitzen von Politik und Wirtschaft bei dem Forum mächtig ins Zeug für die Mintberufe und warnten vor dem drohenden Fachkräftemangel. Der könnte durch Zuwanderung behoben werden, aber auch dadurch bei Jungen und vor allem Mädchen die Begeisterung für die Mintfächer Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik zu wecken, betonten alle Podiumsteilnehmer.

Zähe Vorurteile gegenüber technischen Fächern

Zetsche und Kretschmann klagten, dass sich Vorurteile gegenüber den technischen Fächern nachhaltig hielten. Ortwin Renn von der Universität Stuttgart zitierte neueste Untersuchungen, nach denen Mädchen in den technischen Fächern Kreativität und Kommunikation vermissen. Zetsche hielt dagegen: „Autobauen ist ein kreativer Teamsport“ und macht ein „Kommunikationsproblem“ in Bezug auf die technischen Berufe aus.

Kretschmann mahnt ein Umdenken in der Gesellschaft aus, und kritisiert: „in Teilen des deutschen Bildungsbürgertums wird damit kokettiert, dass man in Mathe schlecht sein darf“. Solche Äußerungen führten zu negativen Vorprägungen, warnte der Regierungschef. Als ehemaliger Chemielehrer könne er sich gar nicht erklären, warum Chemie als schwer gelte, das sei „ein unausrottbares Vorurteil“.

Neue Didaktik verlangt

Da wusste Ortwin Renn eine Antwort. Chemie sei langweilig, weil vorne im Klassenzimmer die Tafel mit dem Periodensystem hänge und die Schüler sie auswendig lernen sollten. Er verlangte eine neue Didaktik, „Schüler wollen Neues entdecken“, sagte der Dekan der Uni Stuttgart. Karin Winkler, die Schulleiterin des Stuttgarter Eberhard Ludwigs-Gymnasiums sieht nicht so schwarz. Ein Drittel bis ein Viertel der Absolventen des humanistischen Gymnasiums würden sich für einen naturwissenschaftlich oder technischen Beruf entscheiden, sagte Winkler.

Sie verlangte jedoch eine bessere Ausstattung für die Schulen: „Ohne Schule 4.0 wird der Prozess Industrie 4.0 für Sie furchtbar hart werden“, sagte die Schulleiterin an die Adresse von Politik und Wirtschaft. Sie wartete zudem mit einer neuen Definition der Abkürzung Mint auf: „Motivation, Inspiration, Neigung und Talentförderung“. Das sieht die Pädagogin als das Rezept gegen Fachkräftemangel in den entsprechenden Berufen an.