Der Zeitpunkt mag Zufall sein. Aber mitten in der NSA-Abhöraffäre kritisiert Washington die deutsche Wirtschaftspolitik scharf. Der Vorwurf ist alt: Deutschlands mache zu wenig für die Binnennachfrage und zu viel für Exporte. Unsinn, sagen auch Ökonomen und Industrie.

Berlin - Der Dauerstreit zwischen Washington und Berlin über die Exportstärke und Wirtschaftspolitik Deutschlands wird schärfer. Das Bundeswirtschaftsministerium wies am Donnerstag in Berlin neue Vorwürfe der USA zurück, die deutschen Handelsüberschüsse und die schwache Binnenkonjunktur förderten die Ungleichgewichte in Europa: „Die Kritik ist nicht nachvollziehbar.“

 

Die Leistungsbilanzüberschüsse seien Ausdruck der starken Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft, hieß es im Wirtschaftsministerium weiter. „Tragende Säule des Wachstums sind die binnenwirtschaftlichen Kräfte.“ Die Investitionen zögen an, der private Konsum steige. Ähnlich äußerte sich die deutsche Industrie.

Das US-Finanzministerium hat in einem aktuellen Bericht die deutsche Wirtschaftspolitik in ungewöhnlich scharfer Form kritisiert. Deutschland habe während der Euro-Staatsschuldenkrise einen hohen Leistungsbilanzüberschuss angehäuft, heißt es im aktuellen Bericht zur internationalen Wirtschafts- und Wechselkurspolitik. 2012 sei das nominale Plus größer gewesen als das von Exportweltmeister China.

In dem Bericht heißt es: „Deutschlands anämisches („blutarmes“ d. Red.) Wachstum der Binnennachfrage und seine Exportabhängigkeit haben ein Ausbalancieren in einer Zeit behindert, in der viele andere Länder der Euro-Zone stark unter Druck standen, die Nachfrage zu bremsen und Importe zurückzufahren.“ Das Ergebnis seien deflationäre Tendenzen im Euroraum sowie für die Weltwirtschaft.

Der deutsche Leistungsbilanzüberschuss sei im ersten Halbjahr 2013 auf mehr als 7 Prozent der Wirtschaftsleistung gestiegen, heißt es weiter. Ein stärkere Inlandskonjunktur in Überschussländern, vor allem in Deutschland, würde dazu beitragen, die Ungleichgewichte in der Euro-Zone dauerhaft abzubauen, mahnt das US-Finanzministerium.

Früher stand vor allem China am Pranger

Ungleichgewichte zwischen den Wirtschaftsregionen sind seit Jahren Streitpunkt. Hauptvorwurf an Deutschland: Die größte Volkswirtschaft der EU saniere sich auf Kosten anderer und tue zu wenig, um die Binnennachfrage über Privatkonsum und Investitionen anzukurbeln. Auch Gewerkschaften kritisierten die schwache Lohnentwicklung vergangener Jahre, die eine stärkere Binnennachfrage behindert habe.

In früheren Berichten des US-Ministeriums stand vor allem China am Pranger, weil es sich mit seiner zum Dollar künstlich niedrig gehaltenen Währung Yuan Exportvorteile verschaffe. Eine weitere Liberalisierung und mehr Transparenz wird auch diesmal angemahnt.

Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenberg Bank, nennt die US-Vorwürfe Unsinn und falsch. Der Handelsüberschuss behindere keine Neuordnung in der Eurozone. Dort sei der deutsche Überschuss von fast 5 Prozent in der Zeit vor der Pleite der US-Bank Lehman auf zwei Prozent gesunken: „Das ist eine wesentliche Anpassung.“ Deutschland sei einfach ein wettbewerbsfähiger Standort, habe vor Jahren Reformen umgesetzt und verfüge heute über einen ausgeglichenen Haushalt.

Beim Industrieverband BDI hieß es: „Die Exportstärke Deutschlands ist das Ergebnis von innovativen Produkten, die in der ganzen Welt beliebt sind und gekauft werden.“ Auch die Industrie in den anderen EU-Staaten profitiere von deutschen Exporterfolgen. So steigen laut BDI die Vorleistungsexporte der EU-Partner um neun Prozent, wenn die gesamten deutschen Ausfuhren um zehn Prozent zulegen.