Aus Baden und Württemberg wurde erst später das „Musterländle“: Bei der Gründung  waren die Landesteile wirtschaftlich ganz unterschiedlich ausstaffiert.

Baden-Württemberg: Heinz Siebold (sie)

Stuttgart - Nicht die Liebe, sondern die Mitgift ist entscheidend für den dauerhaften Bestand einer Ehe. Sagen manche Paartherapeuten. Zum 50. Hochzeitstag des Südweststaates vor zehn Jahren hat das Stadtarchiv Freiburg seinerzeit einen Sammelband mit dem Titel „Badens Mitgift“ herausgebracht. Die Autoren rühmen den oberrheinischen Humanismus und die Donaueschinger Musiktage; doch das materielle Tafelsilber, die Wirtschaft, kommt lediglich in Gestalt der Weinwirtschaft vor. Zeigte sich da wieder mal der ewige Minderwertigkeitskomplex gegenüber den reichen Verwandten, den man „den Badenern“ nachsagt? Schämen müsste sich niemand, denn sowohl Braut als auch Bräutigam waren vor 60 Jahren gleichermaßen ärmlich ausstaffiert. Der Zweite Weltkrieg mit seinen verheerenden Folgen lag erst sieben Jahre zurück. Drei Viertel der industriellen Anlagen in Stuttgart waren im Mai 1945 unbrauchbar, ganze Städte eher mehr als weniger zerstört. Vor der Länderhochzeit haben sich die Siegermächte nicht gerade als treu sorgende Brautväter aufgeführt, sie hatten andere Probleme.

 

Vor allem die Franzosen ließen ihre Zone in Südbaden und Südwürttemberg kräftig zur Ader, für die Ausbeutung unter der deutschen Besatzung holte Frankreich als Ausgleich nicht nur Holz aus dem Schwarzwald, sondern auch massenhaft Maschinen aus den Fabriken. Die USA hingegen stoppten in Nordbaden und Württemberg angesichts der aufziehenden Ost-West-Konfrontation bald die Demontagen und begannen 1948 mit dem Marshallplan, die Westzonen wirtschaftlich wieder aufzustellen.

Die Weichen wurden im 19. Jahrhundert gestellt

Ein Blick in die Geschichte hilft eben immer, wenn man Unterschiede erklären will. Man muss ja nicht bei den Römern anfangen, auch wenn die bereits die Mineralquellen am Oberrhein entdeckt und den Weinbau kultiviert haben. Auch nicht im Mittelalter, obwohl der Reichtum mancher Städte wie Freiburg ohne Erz und Silber nicht möglich gewesen wäre. Die wichtigsten Weichen für den prosperierenden Industriestandort wurden jedoch Mitte des 19. Jahrhunderts gestellt.

Das „Musterländle“ war dabei zunächst eher Baden und nicht Württemberg. Das Großherzogtum am Oberrhein lag beim Übergang von der Manufaktur zur Fabrik sogar oft eine Nasenspitze vorn. Etwa bei der Textilindustrie: die erste deutsche mechanische Baumwollspinnerei entstand 1809 in St. Blasien im Schwarzwald. Ein Schweizer Mechaniker hatte die legendäre „Mule Jenny“ nachgebaut. Erst 1810 gelang es dem württembergischen Kaufmann Carl Bockshammer eine Spinnmaschine aus England nach Stuttgart zu entführen.

Die Textilindustrie kam bald auch in Heidenheim und Stuttgart, in Karlsruhe – und im Wiesental auf volle Touren. Das Schwarzwaldtal zwischen Lörrach und Todtnau war neben dem Ruhrgebiet eine der ersten großen Industrieregionen. 1850 liefen in Baden 110, in Württemberg 52 Textilfabriken. Die Nähe zur Schweiz war von Vorteil, viele Investoren Südbadens stammten aus der Eidgenossenschaft.

Der Maschinenbau als Keimzelle des Wohlstands

Der Textilindustrie folgte zwangsläufig und auf dem Fuße der Maschinenbau, auch dieser startete in St. Blasien, gleichzeitig wuchsen Handwerksbetriebe wie Boehringer in Göppingen oder Voith in Heidenheim aus ihren Kinderschuhen heraus und wurden, genauso wie Keßler in Karlsruhe oder Lanz in Mannheim, die Keimzellen späterer Weltmarktführer. Schon 1861 registrierte Baden 33 und Württemberg 38 Maschinenfabriken. Schaut man nicht nur auf historische Daten, sondern auch auf die Geografie, wird schnell klar, wo die Industrie sich entwickeln konnte: Die Wasserläufe Rhein und Neckar sind die Hauptschlagadern, nicht nur wegen des Verkehrs, sondern auch der elektrischen und mechanischen Energie wegen. Wo die Ströme sich vereinigen, in Mannheim, stünde „die Fabrik“, klingt es stolz im „Badnerlied“. Die Fracht kommt zum größten Teil aber den „Neckar ra“, aus dem Ballungszentrum weit um Stuttgart herum, aus Heilbronn, Plochingen, Göppingen – daher, wo „oi Fabrikle am andere“ steht, wie der Trumpf-Chef Berthold Leibinger aus Ditzingen gern erfreut zum Besten gibt.

Geografie ist wichtig, aber nicht alles

Eine Fabrik an der anderen konnte am südlichen Oberrhein und im Schwarzwald schon aus verkehrstechnischen Gründen nicht stehen: Weder auf der Straße, noch auf der Schiene gibt es südlich von Karlsruhe eine schnelle und belastbare West-Ost-Magistrale, der Weg von Paris nach Budapest führt nicht über Freiburg. Transit verläuft hauptsächlich in Nord-Süd-Richtung und hat erst wieder am Rheinknie bei Basel und am Hochrhein einen industriellen Knoten geschnürt, der sich neuerdings aber lockert, denn die Chemie- und Pharmaindustrie wandert gerade nach Asien aus. Dorthin, wo die Textilindustrie schon längst gelandet ist. Und die Uhrenindustrie, die schon 1857 im badischen Schwarzwald 700 000 und im württembergischen Teil 45 000 Chronometer produziert hat. Immerhin zeigte sich, dass Strukturwandel möglich ist, feinmechanisches Knowhow und fleißiges Facharbeitertum haben in den Tälern „Fabrikle“ für Autoteile, darunter Marktführer, entstehen lassen. Im Südzipfel wieder oft dank starker Schweizer Franken. Geografie ist wichtig, aber nicht alles. Es hätte nach der Gründerzeit im 20. Jahrhundert eigentlich alles schön werden können, die Wettbewerbe genialer Tüftler und Pioniere wie Daimler oder Benz wären vielleicht anders ausgegangen, aber preußisch-imperiale Großmannssucht hat Baden zweimal ausgebremst: Schon der Erste Weltkrieg und vor allem seine Folgen nach dem Friedensvertrag von Versailles 1919 brachten den Oberrhein ins Hintertreffen. Das Elsass wurde wieder französisch und längs der Grenze durfte nichts mehr produziert werden, was militärisch und waffentechnisch verwendbar war. Dies reduzierte den Maschinenbau auf wenige Ausnahmen. Die demilitarisierte Zone bremste Badens industrielle Entwicklung praktisch bis zum erneuten Kriegsausbruch 1939 und mit Fernwirkung bis in die heutige Zeit.

Am Ende steht die wirtschaftliche Einheit in großer Vielfalt

Wenn es vor 60 Jahren vielleicht auch keine Liebesheirat war, zu bereuen braucht diese Eheschließung niemand mehr. Denn aus den unterschiedlichen Mitgiften entwickelte sich, im Ergebnis zum gegenseitigen Vorteil, eine von gleichen Traditionen getragene politische und wirtschaftliche Einheit in großer Vielfalt, vorzugsweise mittelständisch geprägt, widerstandsfähig und selbstbewusst. Eine Ehe, in der an Scheidung keiner auch nur denkt.