Der Musiker und Antiquar Ulrich Drüner aus dem Stuttgarter Osten kennt Leben und Werk des Komponisten wie sonst kaum jemand.

S-Ost - Alles begann vor vielen Jahren auf einem Flohmarkt in Aix-en-Provence. Ulrich Drüner, damals junger Musikstudent, schlenderte zwischen den vielen bunten Ständen umher, blieb mal hier, mal dort stehen, als er sie plötzlich bemerkte. Er blieb stehen und starrte sie an. In diesem winzigen Augenblick auf dem Flohmarkt, war es um ihn geschehen und er wusste: er musste sie haben, diese alten Notenbücher, die da an einem Flohmarktstand auslagen. Originalpartituren aus dem 18. Jahrhundert, das hatte er schon aus dem Augenwinkel erkannt. „Wahrscheinlich wusste der Mann am Stand gar nicht, was er mir da verkauft hatte“, sagt Drüner heute, rund 50 Jahre später. Nach dem Fund auf dem Flohmarkt in Aix-en-Provence fing er an, alte Noten und Partituren zu sammeln – heute führt Ulrich Drüner an der Ameisenbergstraße im Stuttgarter Osten eines der wenigen Musikantiquare Deutschlands. „Ein Drittel der deutschen Musikantiquare gibt es aber hier bei uns in Stuttgart“, sagt Drüner.

 

In Ulrich Drüners Büro sieht es aus, wie in einem Museum. In vollgestopften Regalen stapeln sich alte Notenbücher, an den Wänden hängen Gemälde, Skizzen und Karikaturen berühmter Komponisten. Neben einem großen Schreibtisch liegt ein alter Bratschenkasten auf einem Hocker.

Frustrierte Wissenschaft

Drüner ist nicht nur Antiquar, sondern auch ehemaliger Bratschist des Stuttgarter Kammer- und Staatsorchesters, Musikwissenschaftler und dreifacher Biograf Richard Wagners. Sein neuestes Werk ist erst jüngst erschienen und von Kritikern hochgelobt worden. Darin beschreibt er das Leben Wagners als eine Inszenierung, versucht, als neutraler Beobachter mit dem „Wagner-Mythos“ aufzuräumen. „Ich wollte versuchen, in die Behauptungen Wagners in seiner Autobiografie endlich Klarheit reinzubringen“, erklärt Drüner. Diese frustrieren die Wissenschaft schon seit Jahren. Richard Wagner selbst schrieb einst über seine Biografie, sie solle der Nachwelt „als wahrhafter Anhalt dienen“. „Aber es steht soviel Zeug drin, das gar nicht stimmen kann“, meint Drüner. Allerdings konnte man das nie beweisen.

Zeitgenössische Schriften gesichtet

Nun hat Drüner durch Online-Recherche von Original-Zeitschriften der Wagner-Ära den „Check“ machen können, wie er sagt. Über das Internet konnte er die gesamten zeitgenössischen Schriften von oder über Richard Wagner einsehen und sie mit dessen Behauptungen in seiner Autobiografie abgleichen.

„Da sieht man mal wieder, dass das Internet eine tolle Sache ist“, sagt der Musikwissenschaftler. „Sonst hätte ich mich pro Zeitschrift für etwa 14 Tage in einer Bibliothek einschließen müssen, um diese nach der alten Diagonalmethode durchzuarbeiten. Aber da wird man ja meschugge.“

Ulrich Drüner ist durch sein Antiquariat zum Wagner-Forscher geworden. „Ich habe schnell gemerkt, dass man sich als Orchester-Musiker keine Originalschriften und -noten kaufen kann. Deshalb habe ich angefangen, meine Errungenschaften an Bibliotheken zu verleihen.“ Er sei „Sammler auf Zeit“ gewesen. „Noch heute beschreibt das den Beruf des Antiquars eigentlich ganz gut“, sagt Drüner lächelnd. Um sich aber auch als „Musikantiquar“ bezeichnen und Mitglied im Verband deutscher Antiquare e.V. zu werden, war eine Dissertation nötig.

Zu dieser Zeit, in den 1970er Jahren, war er bereits Bratschist im Staatsorchester Stuttgart, das damals beinahe 60 Opern und Operetten pro Spielzeit im Repertoire hatte. „Das war manchmal mehr Masse als Klasse“, sagt Drüner lachend. „Aber so konnte ich Wagner und seine Opern auf eine Weise kennenlernen, die so heute nicht mehr möglich ist, weil ich seine Opern rauf und runter spielen durfte.“ Damals habe er gemerkt, dass die Oper sein Lebenelixier sei und entwickelte eine Leidenschaft für die wuchtigen Stoffe der Wagner-Opern. Das Thema der Dissertation stand also fest. „Zu dieser Zeit herrschte mal wieder ein Zwist über Wagners Antisemitismus, den man nach dem Zweiten Weltkrieg unter den Teppich gekehrt hatte. Die Germanisten und Literaten stritten sich heftig. Ich wollte, als Wagner-Liebhaber, natürlich beweisen, dass der Komponist kein Antisemit war!“

Brücke zwischen den extremen Wagner-Bildern gebaut

So fing Drüner an zu forschen und musste bald feststellen, dass die Kritiker Richard Wagners richtig lagen. „Anstatt mich trotzdem auf die Verteidigung Wagners einzuschießen, habe ich versucht, als Musiker einen Weg zu finden, mit Wagners Antisemitismus, der in seinen Kompositionen offensichtlich wird, zurecht zu kommen“, erzählt Drüner. Er habe versucht, eine Brücke zwischen den extremen Wagner-Bildern zu bauen, „die beiden Wagners“, den Komponisten und Künstler mit seiner unglaublichen Musikalität, als auch den Bürger mit all seinen Fehlern und teils schrecklichen Ansichten, zu sehen. „Für solch einen komplexen Künstler wie Wagner gibt es meiner Ansicht nach keine einfache Lösung, sonst würde man seine schwierige Person, als auch sein komplexes Werk vereinfachen“, erklärt Drüner.

Sein Lieblingskomponist ist Wagner trotzdem nicht. „Er interessiert mich aus wissenschaftlicher Perspektive, aber neben ihm gibt es noch zwanzig andere Lieblingskomponisten und mindestens so viele Zweitlieblingskomponisten.“ Trotzdem hat auch das für ihn wertvollste Stück seines Antiquariats mit Wagner zu tun: eine originale Karikatur des berühmten Wagner-Porträt-Malers Franz Seraph von Lenbach, die das Ehepaar Cosima und Richard Wagner auf der Rückseite eines nicht ausgefüllten Bayreuther Patronatsscheines zeigt. „Die ist unverkäuflich“, sagt Drüner.