Verschwörungstheoretiker in den USA vermuten hinter den verheerenden Hurrikans der letzten Wochen einen perfiden Plan der Demokraten kurz vor der US-Wahl. Wissenschaftler erklären, warum dies kompletter Unfug ist und warum Menschen gegen starke Stürme so machtlos sind.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Nur wenige Tage, nachdem der Hurrikan „Helene“ weite Gebiete im Südosten der USA verwüstet und Hunderte das Leben gekostet hat, steuert bereits der Wirbelsturm „Milton“ mit voller Wucht auf Florida zu. Schon sprießen hier und da Verschwörungstheorien, die US-Regierung lenke die Wirbelstürme auf republikanische Wähler.

 
Hurrikan „Milton“. Foto: dpa-Infografik

Menschen überschätzen ihre Fähigkeiten maßlos

Abgesehen davon, dass solche Vorstellungen dem gesunden Menschenverstand widersprechen, zeigt die Wettergeschichte, dass Hurrikans bestimmte Gebiete vergleichsweise häufig treffen. Vor allem aber überschätzen sie die Fähigkeiten des Menschen, das Wetter in seinem Sinne zu gestalten maßlos.

„Wenn Meteorologen die Hurrikans aufhalten könnten, würden wir die Hurrikans aufhalten“, sagt die Atmosphären- und Umweltwissenschaftlerin Kristen Corbosiero von der University of Albany.

Hier ein Blick darauf, was der Mensch in Bezug auf das Wetter tun kann und was nicht:

Clearwater Beach: Rettungsmannschaften bei der Bergung von durch den Hurrikan Helene beschädigtem Hausrat vor dem möglichen Auftreffen des Hurrikans „Milton“. Foto: AP/Chris O'Meara/dpa

Hurrikans als Kraftpaket

Ein ausgewachsener Hurrikan setzt alle 20 Minuten so viel Wärmeenergie frei wie eine Atombombe mit der Sprengkraft von zehn Megatonnen TNT. Das sei mehr als die gesamte Energie, die die Menschheit zu einem bestimmten Zeitpunkt verbrauche, erklärt der Leiter der Tropenanalyse im US-Hurrikanzentrum, Chris Landsea.

Der Klimawandel sorgt dafür, das Hurrikans noch mehr Zerstörungskraft tanken können. Er erwärmt die Ozeane und Wissenschaftler haben herausgefunden, dass Hurrikans über wärmerem Wasser mehr Energie aufnehmen und in der aufgewärmten Atmosphäre mehr Wasser als Regen fallen kann.

Clearwater Beach: Rettungsmannschaften bei der Bergung von durch den Hurrikan Helene beschädigtem Hausrat vor dem möglichen Auftreffen des Hurrikans Milton. Foto: AP/Chris O'Meara/dpa
Am stärksten von Wetterkatastrophen betroffene Weltregionen. Foto: dpa-Infografik

„Die Energiemenge, die ein Hurrikan erzeugt, ist Wahnsinn“, betont der Hurrikanforscher Phil Klotzbach von der Colorado State University. „Es ist der Gipfel menschlicher Arroganz, wenn man glaubt, die Macht zu haben, diese Energie zu lenken.“ Das das hat die Menschen nicht davon abgehalten, es zu versuchen oder zumindest darüber nachzudenken.

Gescheiterte Kontrollversuche

Jim Fleming vom Colby College hat historische Versuche untersucht, das Wetter zu beeinflussen, und ist der Auffassung, dass die Menschen nicht annähernd über die Mittel verfügen, um dieses Ziel zu erreichen.

So habe das Unternehmen General Electric 1947 in Zusammenarbeit mit dem US-Militär versucht, Hurrikans durch den Abwurf von Trockeneis zu schwächen. Das habe nicht funktioniert.

Rutherford Grafschaft: Trümmer und viel Holz treiben in dem von Hurrikan Helene verursachten Hochwasser in Rutherford County, North Carolina. Foto: AP/Tariq Bokhari/dpa

In den 1960er, 1970er und 1980er Jahren verfolgte die US-Regierung mit dem Projekt „Stormfury“ die Idee, Chemikalien in einen Hurrikan einzubringen, um die Rand am Wand des Auges, wo der Sturm am stärksten tobt, durch eine mit größerem Durchmesser zu ersetzen. Dadurch sollte der Hurrikan großflächiger, aber insgesamt schwächer werden. Die Tests verliefen ergebnislos.

Auch mit kühlenden Eisbergen und wasserabsorbierenden Substanzen war den Hurrikans nicht beizukommen. Sogar der Vorschlag, Hurrikans mit einer Atombombe zu bändigen, komme seit Jahrzehnten immer wieder, erläutert Corbosiero. Aber selbst die wäre zu schwach.

Wetter- und Naturkatastrophen seit 1970. Foto: dpa-Infografik

Neue Ansätze durch den Klimawandel

Moderne Geoingenieure zielen nicht mehr auf einzelne Wetterereignisse ab, sondern auf den Klimawandel, den sie zumindest verlangsamen wollen. Eine der vielversprechendsten Ideen sieht vor, Aerosolpartikel in den oberen Schichten der Atmosphäre zu verteilen. Dort sollen sie einen kleinen Teil des Sonnenlichts ins All zurücklenken und den Planeten so etwas abkühlen.

Chris Field von der Universität Stanford sieht Hinweise darauf, dass Geoengineering auch helfen könnte, die schlimmsten Gefahren durch Wirbelstürme zu mildern, selbst wenn dies noch Jahrzehnte entfernt sei.

Menschen räumen die Trümmer auf, die der Hurrikan „Helene“ in Tennessee hinterlassen hat. Foto: AP/Jeff Roberson/dpa

Gefährliches Herumbasteln an der Erdatmosphäre

Doch selbst Befürworter dieses Ansatzes räumen Risiken und Schwierigkeiten ein. Einige Wissenschaftler warnen, das Herumbasteln an der Erdatmosphäre im Kampf gegen den Klimawandel werde wahrscheinlich neue Probleme nach sich ziehen.

Die größte Vereinigung von Wissenschaftlern, die sich mit Klimafragen befassen, die American Geophysical Union, hat vor zwei Jahren angekündigt, einen ethischen Rahmen für Klima-Interventionen zu schaffen. Doch der Klimawissenschaftler Michael Mann von der University of Pennsylvania fürchtet, schon die bloße Diskussion über solche Richtlinien erhöhe die Wahrscheinlichkeit, dass solche Eingriffe tatsächlich stattfinden, was schädliche Nebenwirkungen haben könnte.

Was ist Geoengineering?

Field sagt, Geoengineering sei nur Teil der besten Lösung, nämlich den Klimawandel durch eine Verringerung der Treibhausgasemissionen zu stoppen. „Was auch immer wir sonst noch tun, das muss das Kernstück der Aktivitäten sein.“

Zur Info: Geo-Engineering umfasst Verfahren, bei denen mit Hilfe technischer Mittel in geochemische oder biogeochemische Kreisläufe der Erde eingegriffen wird. Ziel ist es, die globale Klimaerwärmung, den Abbau der CO2-Konzentration in der Atmosphäre und die Versauerung der Meere zu stoppen.

Dieses von der National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) am 26. September 2024 zur Verfügung gestellte Bild des GOES-16 GeoColor-Satelliten zeigt den Hurrikan „Helene“ im Golf von Mexiko, der sich auf Florida zubewegt. Foto: National Oceanic and Atmospheric/Uncredited/dpa

Warum Wirbelstürme immer stärker werden

Die Stärke tropischer Wirbelstürme in den vergangenen Jahren sprengt nach Ansicht von anderen Forschern die derzeit übliche Hurrikan-Windskala. Bislang reicht diese bis zur Kategorie 5, die Wirbelstürme mit Windgeschwindigkeiten ab 70 Metern pro Sekunde umfasst.

In den vergangenen Jahren hätten jedoch mehrere tropische Wirbelstürme eine Windstärke von über 86 Metern pro Sekunde gehabt, schreibt ein Wissenschaftlerteam in den „Proceedings“ der US-nationalen Akademie der Wissenschaften („PNAS“). Das entspricht über 309,6 Kilometern pro Stunde.

Dieses von der National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) via AP zur Verfügung gestellte Bild des GOES-16 GeoColor-Satelliten vom 8. Oktober 2024 zeigt den Hurrikan Milton im Golf von Mexiko, vor der Küste der mexikanischen Halbinsel. Foto: National Oceanic and Atmospheric/Uncredited/dpa

Forscher: Neue Sturm-Kategorie 6 nötig

Eine Analyse von Daten aus den Jahren 1980 bis 2021 ergab demnach, dass fünf Stürme in die neue hypothetische Kategorie 6 eingestuft worden wären. Alle diese Stürme seien in den letzten neun Jahren der Datenreihe aufgetreten, schreiben Michael Wehner vom Lawrence Berkeley National Laboratory in Berkeley und James Kossin von der University of Wisconsin–Madison.

Ein Grund für die Steigerung sei der Klimawandel und der damit einhergehende Anstieg der Meerestemperaturen. Dieser liefere zusätzliche Wärmeenergie für die Hurrikans, die somit stärker werden könnten.

Tampa: Arnie Bellini begutachtet die von Hurrikan Helene verursachten Schäden auf einer Straße in Clearwater Beach. Foto: AP/Chris O'Meara/dpa

Extreme Stürme kein Einzelfall mehr

Ältere Klimamodellierungen ergaben nach Auskunft der Forscher, dass das Risiko von Wirbelstürmen der hypothetischen Kategorie 6 in der Region der Philippinen um 50 Prozent steigt, wenn die globale Erwärmung 2 Grad über dem vorindustriellen Niveau liegt. Im Golf von Mexiko verdopple sich die Zahl dann sogar.

In der Vergangenheit sei bereits vorgeschlagen worden, dass der besonders zerstörerische Tropenwirbelsturm „Haiyan“ in eine Kategorie 6 aufgenommen werden sollte, erläutert das Team. „Aber ‚Haiyan‘ scheint kein Einzelfall zu sein.“

Die Forscher plädieren für eine Änderung der derzeit üblichen Saffir-Simpson-Hurrikan-Windskala, mit einer Kategorie 5 für Spitzenwindgeschwindigkeiten von 70 bis 86 Metern pro Sekunde und einer zusätzlichen Kategorie 6 darüber.

Info: Hurrikan-Messskala

Messskala
Die Saffir-Simpson-Hurrikan-Wind-Messskala wurde in den frühen 1970er-Jahren in den USA eingeführt. Seit 2010 werden die Winde in zehn Metern Höhe gemessen. Während Wirbelstürme sehr langsam ziehen, sind ihre rotierenden Winde sehr schnell.

Klassifizierung
Nach Angaben des Deutschen Wetterdienstes (DWD) in Offenbach dient die Saffir-Simpson- Hurrikanskala Klassifizierung von Hurrikanen. Die beiden Meteorologen Herbert Saffir und Bob Simpson hatten sie im Jahr 1969 beim U.S. National Hurrikan Center eingeführt. Die Skala ist in fünf Kategorien eingeteilt und gibt Auskunft über:

  • Windgeschwindigkeit
  • Luftdruck
  • Anstieg Wasserspiegel

Kategorien

  • Tropische Depression: 46-62 km/h
  • Tropischer Sturm: 63-118 km/h
  • Kategorie 1 (schwach): 119-153km/h
  • Kategorie 2 (mäßig): 154-177 km/h
  • Kategorie 3 (stark): 178-208 km/h
  • Kategorie 4 (sehr stark): 209-251 km/h
  • Kategorie 5 (verwüstend): mehr als 251km/h

Mögliche Schäden

  • Kategorie 1: Schäden an Bäumen, Wohnwagen, mögliche Überschwemmungen von Küstenstraßen und leichte Schäden an Hafenanlagen.
  • Kategorie 2: Bäume knicken um, stärkere Schäden an Wohnwagen, Beschädigungen an Dächern, Fenstern und Türen von Gebäuden
  • Kategorie 3: Strukturelle Schäden an kleineren Gebäuden, große Bäume werden umgeknickt, Überflutungen in Küstennähe.
  • Kategorie 4: Starke Schäden an Wänden und Dächern von größeren Gebäuden, alle Bäume und Sträucher werden umgeweht, Küstengebiete, die niedriger als 3 Meter über dem Meeresspiegel liegen, werden überflutet.
  • Kategorie 5: Häuser und Brücken werden zerstört, kleine Gebäude vollständig um- oder weggeweht, Schiffe werden Hunderte von Metern an Land geworfen. Küstengebiete niedriger als 5 Meter über dem Meeresspiegel sind bis 16 Kilometer landeinwärts überschwemmt (mit AP/AFP/dpa-Agenturmaterial).