Menschen in vielen Regionen auf der Erde sitzen auf einem geologischen Pulverfass. Jederzeit kann es zu schweren Erdbeben kommen. Allein 2023 wurden 20 schwere Beben gemessen – mit teils katastrophalen Folgen. Der Klimawandel führt zudem zu mehr Erdbeben.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Vorhersehbar sind Erdbeben nicht. Weltweit gibt es täglich an vielen Stellen Beben, vor allem dort, wo Kontinentalplatten aufeinanderstoßen, wie das GeoForschungsZentrums (GFZ) in Potsdam mitteilt. „Wann es wo zu solchen oder gar besonders verheerenden Ereignissen kommt, lässt sich bislang allerdings nicht vorhersagen.“

 

So viel ist inzwischen aber klar: Der Klimawandel führt weltweit zu mehr und teils sogar stärkeren Erdbeben. Das prognostizieren Forscher des GeoForschungsZentrums und der University of Southern California in einer jetzt erschienenen Studie im Fachmagazin „Seismological Research Letters“.

Anstieg des Meeresspiegels erhöht Druck auf Kontinentalplatten

Als Ursache sehen die Forscher den mit dem Klimawandel fortschreitenden weltweiten Anstieg des Meeresspiegels sowie die zunehmende Stärke von extremen Wetterereignissen wie Stürmen. Beides erhöht den mechanischen Druck im Gefüge tektonischer Platten und führt zu Änderungen in den seismischen Zyklen. Die Folge: steigende Erdbebengefahr insbesondere in den Küstenregionen der Welt.

Durch den Klimawandel und die damit verbundene Erwärmung der Atmosphäre schmilzt das Festlandeis, vor allem in der Antarktis und auf Grönland, erläutern die Wissenschaftler in ihrer Studie. In der Folge steige weltweit der Meeresspiegel, wobei sich dieser Prozess ständig beschleunigt. Bei Abschmelzen allen Landeises sagen Experten langfristig einen Anstieg um etwa 70 Meter voraus.

Extremwetterereignisse verstärken geologischen Effekt

Ein höherer Meeresspiegel bedeutet allerdings eine größere Last auf dem Untergrund des Planeten, was zu Drucksteigerungen führt. Das wiederum beeinflusst die Erdbebenzyklen an allen von Meerwasser bedeckten und küstennahen Orten der Welt und führt dort zu einem höheren Erdbebenrisiko. Immer stärker werdende Extremwetterereignisse wie Stürme verstärken diesen geologischen Effekt.

"Bereits Meeresspiegelschwankungen von nur wenigen Dezimetern reichen aus, um Erdbeben auszulösen“, erläutert Marco Bohnhoff, Hauptautor der Studie. „Das können wir aus einer Vielzahl von Beobachtungen ableiten, zum einen von menschengemachten, meist harmlosen kleineren Erdbeben, die bei Wasserinjektionen zur Öl-, Gas-, oder Erdwärmeförderung auftreten, aber auch durch Seismizitätsschwankungen, die unter Stauseen und durch Ebbe und Flut verursacht werden.“

Dicht bevölkerte Küstengebiete besonders betroffen

Die stärkere seismische Gefährdung aufgrund des Klimawandels wird vor allem für die Küstengebiete zur Gefahr, wo rund 40 Prozent der Weltbevölkerung leben. Dort liegen viele kritische Bruchzonen sowie sogenannte Subduktionszonen, bei denen eine Erdplatte unter die die andere taucht.

Problematisch sei, so Bohnhoff weiter, dass es weltweit eine große Anzahl von Störungen gebe, die kurz vor dem Ende ihres seismischen Zyklus‘ stehen. Bei diesen reichten kleine zusätzliche Spannungen, um das Gestein bereits früher zum Versagen zu bringen. „Dies geschieht durch steigende Meeresspiegel oder auch stärkere Stürme. Nach unseren Berechnungen wird das dann insbesondere küstennahe Bereiche und damit auch Städte und Infrastruktur treffen.“

Wie Patricia Martínez-Garzón vom GFZ und Mitautorin der Studie erklärt, könnten Erdbeben auch „Sekundäreffekte“ wie Hangrutschungen und Bodeninstabilitäten wie jüngst in Papua-Neuguinea.

Info: So entstehen Erdbeben

Verschiebungen
Laut GFZ entstehen Erdbeben durch das plötzliche, ruckartige Verschieben von Gesteinsmassen im Untergrund. Dabei wird Energie in Form seismischer Wellen freigesetzt, die sich vorher durch die großräumige kontinuierliche Verschiebung und gleichzeitigem Verhaken der Erdplatten über lange Zeiträume aufgestaut hat. Dieser Ladeprozess schreitet solange fort, bis die Festigkeit des Gesteins überschritten wird und das Gestein an irgendeiner Stelle nachgibt, bricht und rutscht. Danach startet der Ladeprozess von neuem und bildet so einen wiederkehrenden Kreislauf von laden und entladen auf sogenannten tektonischen Störungen. Man nennt dies einen seismischen Zyklus. Je nach den geologischen Randbedingungen kann er Jahre, Jahrzehnte oder Jahrhunderte lang sein.

Platten der Erdkruste
Die äußere Erdkruste besteht aus sieben großen und mehreren kleinen Platten. Diese sind nach den Kontinenten und Weltmeeren benannt. Die größten sind die Pazifische und Antarktische Platte, die Nord- und die Südamerikanische Platte, die Afrikanische, die Eurasische und die Australische Platte. Hinzu kommen einige kleinere Krustenbruchstücke. Die schweren, unter Wasser liegenden heißen Ozeanische Platten, die leichten, oben liegenden nennt man Tektonische oder Kontinentalplatten.

Bewegung von Kontinentalplatten
Die Ursache für die häufigen schweren Beben in Südostasien ist die Bewegung der sogenannten Indischen Platte, eine der Kontinentalplatten, die den indischen Subkontinent trägt. Diese Platte war einst ein Teil des Superkontinents Gondwanaland. Als dieser zerbrach, lösten sich das heutige Indien, Afrika, Australien, Antarktika und Südamerika voneinander und drifteten in verschiedene Richtungen auseinander. Vor 50 Millionen Jahren kollidierte die Indische Platte mit der Eurasischen Platte, die Europa und Asien (bis auf Indien und den äußersten östlichen Teil Russlands) sowie Indonesien, die Philippinen, Teile Japans und Islands trägt.

Spannungen entladen sich in Erdstößen
Bei dem Zusammenstoß tauchte die von Süden kommende Platte teilweise unter die nördliche Platte ab. Andernorts haben sich beide Platten so ineinander verschoben und verkeilt, dass sich die Gebirge des Himalayas auffalteten und das Hochland von Tibet entstand. Und dieser Zusammenstoß setzt sich weiter fort. Noch immer drückt der indische Subkontinent auf die Eurasische Platte, hebt den Himalaya jährlich um einige Millimeter an und lässt die Erde in Asien beben. Wenn diese Platten driften, kollidieren oder sich aneinander vorbei bewegen, entstehen Spannungen. Wird dabei die sogenannte Scherfestigkeit der Gesteine überschritten, können sich diese Spannungen plötzlich entladen. Die Folge: Es kommt zu heftigen Erschütterungen – Erdbeben.