Als Kind der DDR hat Wolfgang Holtkamp noch vor der Wende in den Vereinigten Staaten studiert. Heute bereist der Wissenschaftler mit seinen Studenten die Welt. Mittlerweile gibt es Kontakte nach Russland, Indien, die USA und Südafrika.

Stuttgart - Ein Wissenschaftler reist zwischen zwei politisch getrennten und komplett gegensätzlichen Planeten hin und her. Das ist Teil der Handlung des Romans „Die Enteigneten“ der amerikanischen Autorin Ursula K. Le Guin aus dem Jahr 1974. Der Wissenschaftler heißt Shevek. „Dieser Typ, das war ich“, sagt Wolfgang Holtkamp mit Blick auf das Jahr 1989 und seine Zeit als DDR-Bürger in den USA. Heute nutzt er die Erfahrungen jener Zeit. Holtkamp ist für die Strategie der Universität Stuttgart in internationalen Angelegenheiten verantwortlich.

 

Holtkamp hat Ende der 80er Jahre in Rostock studiert. Damals gab es an der dortigen Uni Gastwissenschaftler aus den USA und England. „Eine Professorin kam von der Brown University und hat einen Kurs über amerikanische Science-Fiction-Literatur angeboten“, erinnert er sich. „Das war alles fremdartig genug für mich, damit es so richtig interessant wurde.“ Eben jener fremde Einfluss hat das Leben von Holtkamp offenbar entscheidend geprägt. Denn am Ende hat er seine Diplomarbeit und seine Promotion zum Thema Science-Fiction geschrieben und mittels eines Stipendiums an genau dieser Elite-Uni im äußersten Nord-Osten der Vereinigten Staaten studiert – all das noch vor der Wende.

Von den USA in die DDR freiwillig zurückgekehrt

„Ich habe mich gefühlt wie auf einem fremden Planeten“, beschreibt Holtkamp seine erste Reise in die USA. Doch schon acht Monate später musste der Literaturwissenschaftler erneut den Planeten wechseln. „Ich habe mein letztes Wochenende in Manhattan bei einem Freund verbracht“, erinnert er sich. „Der hat immer wieder zu mir gesagt: ,Du darfst nicht zurückgehen’.“ Doch am folgenden Tag sitzt er wieder in einem klapperigen Fahrzeug mit Plastikkarosserie. „Es war einer dieser grauen Tage“, erinnert sich Holtkamp. „Ich wurde vom Flughafen abgeholt und wir waren unterwegs von Ost-Berlin nach Rostock. Es gab keine Autos auf der Straße und ich hatte nur einen Gedanken; ,Du hast einen Riesenfehler gemacht’“, erzählt Holtkamp über seine Rückkehr in die DDR.

Damit nicht bloß der Einzelne, sondern gleich das ganze Kollektiv von der Forschungsreise des Genossen Holtkamp profitieren konnte, musste er einen modernen Computer aus den USA mit nach Ostdeutschland bringen. Also reiste Wolfgang Holtkamp mit brandneuer Westtechnik in Ostberlin ein. „Ich habe unzählige Formulare ausgefüllt“, erinnert er sich und lacht. Doch schon Ende der 1980er hatte moderne Technik ihre Tücken. „Der neue Computer aus den USA hat mit den Druckern aus der DDR nicht funktioniert“, sagt Holtkamp und fügt an: „Also sollte ich zwei Wochen später erneut nach Amerika reisen und einen passenden Drucker besorgen.“

Der Mauerfall stoppt seine Fluchtpläne

In der Zwischenzeit war aus den nagenden Zweifeln an der eigenen Entscheidung Gewissheit geworden. „Was habe ich bloß getan, als ich aus Amerika zurück in die DDR gegangen bin, habe ich mich immer wieder gefragt“, erinnert sich der Literaturwissenschaftler. Darum fasste Holtkamp einen Plan: „Ich hatte nur zwei Wochen, um alles zu regeln“, sagt er. Der Einkaufstrip in die Vereinigten Staaten in Sachen Drucker sollte zur Flucht werden. „Ich wollte definitiv auswandern“, erinnert sich Holtkamp heute.

Doch dann kam alles anders. Die beiden Wochen, in denen der Wissenschaftler seine Zelte in Ostdeutschland endgültig abbrechen wollte, lagen im Herbst 1989. „In diesen zwei Wochen ereignete sich die Wende in Deutschland“, berichtet er.

„Was ich damals gelernt habe, hilft mir heute jeden Tag“, erklärt Holtkamp, der neben seiner Tätigkeit als Stratege für internationale Angelegenheiten weiterhin als Dozent für Amerikanistik an der Uni Stuttgart lehrt. Wer flexibel ist, kann bei ihm beispielsweise den Grundkurs in Literaturwisseschaft belegen. „Ich sage meinen Studenten; ,Sie können sich darauf einstellen, dass ich nicht immer zugegen sein werde’“, so Holtkamp. Dafür müsse in den anderen Zeiten umso intensiver gearbeitet werden. Denn einen Großteil seiner Zeit verbringt der Amerikanist im Ausland – offiziell lautet sein zweiter Titel „Senior Adviser International Affairs“.

Die erste Reise in die USA war ein Augenöffner

Die Zeit in den späten 80ern und die erste Reise in die USA waren eine Art Augenöffner. „Studenten müssen den Blick von außen bekommen“, sagt er. Seit 1995 leitet Holtkamp daher Exkursionen – zunächst lediglich in die USA. Inzwischen führen die Reisen ihn und seine Studenten etwa in die indische Millionenmetropole Mumbai. „Wir haben ein Kursformat, bei dem Studenten verschiedener Hochschulen zunächst online miteinander kommunizieren und arbeiten“, erzählt er. Inzwischen sind fünf Institute an dem Kurs beteiligt – St. Louis in den USA, Stellenbosch in Südafrika, St. Petersburg in Russland, Mumbai in Indien und die Universität Stuttgart. Auf die digitale Zusammenarbeit folgt stets eine Exkursion mit zehn Tagen gemeinsamer Forschung.

Es sei großartig, den Studenten einen Teil dessen weiterzugeben, was er damals erfahren habe. Und: „Es ist erstaunlich, dass überdurchschnittlich viele der Exkursionsteilnehmer später beruflich ins Ausland gehen“, so Holtkamp. „So eine Reise kann offenbar etwas auslösen.“