Heute wird die Metapher oft für große Veränderungen verwendet, dabei wird damit in der Physik nur der winzige Sprung eines Elektrons bezeichnet. Doch vor hundert Jahren stand der Begriff zunächst für etwas, was die Wissenschaftler gar nicht verstanden.
Stuttgart - Wenn ein Filmregisseur eine neue digitale Kamera ausprobiert, zwei große Verlage fusionieren und russische Politiker eine außerparlamentarische Opposition bilden wollen, scheint das auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun zu haben. Und doch gleichen sich die Geschehnisse in einem Punkt: Sie alle drei sind „Quantensprünge“ – so war es jedenfalls im Laufe des vergangenen Jahres in der StZ zu lesen. Der „Quantensprung“ ist eine beliebte Metapher, wenn auch eine umstrittene, denn der metaphorische Gebrauch wird nicht der eigentlichen Bedeutung des Begriffs gerecht: Während man in der Physik sehr kleine, unstetige Übergange eines Elektrons von einer Bahn auf eine andere als „Quantensprung“ bezeichnet, meint die Alltagsmetapher große, einschneidende Entwicklungen.
Folgt man dem Rhetoriker Heinrich Lausberg (1912 bis 1992), sollten sich allerdings gerade Atomisten mit der Metaphernkritik zurückhalten. Der hat einmal angemerkt, dass die Rede vom „Atomkern“ ein Missbrauch des Ausdrucks „Obstkern“ sei. Auch die Quanten haben das Springen sicherlich nicht erfunden. Sieht man daher von der Frage ab, inwiefern der Alltagsgebrauch zulässig ist, kann man festhalten: Der „Quantensprung“ ist eine sprachliche Erfolgsstory.
Die Vorstellung einer sprunghaften Natur provozierte
Geprägt wurde der Ausdruck im Umfeld des Bohr’schen Atommodells, das nun 100 Jahre alt wird. In den drei Aufsätzen, in denen Niels Bohr 1913 sein Atommodell skizzierte, findet sich das Wort „Quantensprung“ noch nicht. Stattdessen ist von „passings“, also von Übergängen, die Rede. Erst 1923, in einem Vortrag in Göttingen spricht Bohr von springenden Quanten. Anders als in manchen heutigen Lexika verzeichnet, ist das allerdings nicht der Ursprung des Sprachbilds. Denn schon drei Jahre zuvor hat Bohrs Kollege Marx Born die Springmetaphorik verwendet. In seinem Buch „Der Aufbau der Materie“ schreibt er: „Bei jedem Sprunge von einer Bahn von größerer Energie zu einer von kleinerer soll eine monochromatische (einfarbige) Strahlung emittiert werden . . . Wenn nun das Elektron von einer Bahn in eine andere überspringt, so wird dabei entweder Energie verbraucht oder abgegeben.“
Die Metaphorik machte schnell Karriere. Schon 1924 wurde der „Quantensprung“ in ein Physikwörterbuch aufgenommen. Dort ist zu lesen: „Die Bezeichnung rührt daher, daß man ursprünglich meinte, der Quantenübergang müsse plötzlich, ruckweise vor sich gehen, obgleich für diese Annahme keine andere Stütze vorhanden war, als unsere gänzliche Unkenntnis von den Gesetzmäßigkeiten dieses Vorganges überhaupt.“ Das Wort stand also zunächst für ein Rätsel. Die Metapher diente nicht nur dazu, etwas griffig zu formulieren, sondern war im wissenschaftlichen Wissen Platzhalter des Nichtwissens.
Dieser Rätselcharakter wurde damals auch schon unmittelbar durch das Wort transportiert. Eine Prämisse der klassischen Naturwissenschaft war, dass die Natur keine Sprünge macht (auf Latein: natura non facit saltus). Dementsprechend musste die Umschreibung eines Naturvorgangs als sprunghaft provozieren.