Zwei Hamburger Journalisten gründen ein Wissenschaftsmagazin, das nur digital erscheint. Der Name lässt viel vermuten: „Substanz“

Stuttgart - Der Anfang des Jahres 2013 war keine gute Zeit für Georg Dahm. Nach der Einstellung der „Financial Times Deutschland“ (FTD), bei der Dahm Redakteur gewesen war, im Dezember 2012 war er zur hiesigen Ausgabe des britischen „New Scientist“ gewechselt. Im April 2013 wurde dann bekanntgegeben, dass das Wissenschaftsmagazin nur noch ein einziges Mal erscheinen werde.

 

„In dem Moment wussten wir, dass wir etwas Eigenes auf die Beine stellen müssen“, sagt Denis Dilba. Auch er war damals Redakteur beim „New Scientist“, hatte als freier Journalist auch für die FTD gearbeitet. Gemeinsam beschlossen Dahm und Dilba, die traditionellen Wege der Branche zu verlassen. „Alles schreit im Moment nach neuen, digitalen Formen von Journalismus“, sagt Dahm. „Wir wollen diese Entwicklung mit vorantreiben. Wir wollen nicht hinter Verlagsmauern sitzen und zusehen, wie andere die Zukunft erfinden, während uns sein Manager sagt, für das, was wir wollen, gebe es keine gute Marktstudie.“ Was sie wollen, ist „Substanz“: ein   eigenes Wissenschaftsmagazin, anspruchsvoll, zeitgemäß, gut recherchiert – und ausschließlich digital. Eine kostenlose App, in der einzelne Ausgaben oder Abos gekauft werden können, soll als Trägermedium für das Magazin fungieren. Das Konzept ist ein Novum in Deutschland, wo kostenpflichtige digitale Medien bisher stets Ableger von Printprodukten waren.

Finanzierung per Crowdfunding

Verhältnismäßig neu und bei Gründern zunehmend beliebt ist auch der Weg der Finanzierung, den die Hamburger gewählt haben: Statt wenige große Investoren zu suchen, haben sie sich dafür entschieden, darauf zu setzen, dass zahlreiche Menschen ihr Projekt gern realisiert sehen würden – und deshalb auch bereit sind, die Idee mit Geld zu unterstützen. 30 000 Euro hatten Dahm und Dilba als Ziel ihrer Crowdfunding-Kampagne festgesetzt; bekommen haben sie im Lauf von sechseinhalb Wochen über 35 000. Die fast 600 Unterstützer des Projekts kommen aus ganz Deutschland, die meisten von ihnen haben zwischen 10 und 30 Euro investiert, einige aber auch hohe dreistellige Summen.

Mit wohltätigen Spenden hat Crowdfunding dabei nichts zu tun: Je nach Höhe des gezahlten Betrags bekommen die Unterstützer eines Projekts auch einen Gegenwert. Im Fall von „Substanz“ sind das einzelne Ausgaben, Abos und exklusive Einladungen zur Launch-Party des Magazins. „Wir können uns gut vorstellen, dass das Schule macht. Crowdfunding ist in Deutschland noch so jung, dass im Prinzip jedes erfolgreiche Projekt das Thema voranbringt“, so Dahm.

Ein dauerndes Experiment

Das Geld der Unterstützer gibt den Machern dabei auch Raum, das Potenzial ihres Formats auszuloten: Erklärtes Ziel ist, jede Geschichte auf die bestmögliche Weise zu erzählen, ob im Fließtext, mit interaktiven Grafiken oder in Audio- und Videobeiträgen. „Es ist ein fortlaufendes Experiment, was wir hier machen“, sagt Dahm. Dilba fügt hinzu: „Mal gelingt ein Experiment, mal scheitert es – das gehört dazu.“ Frei nach Samuel Beckett: versuchen, scheitern, noch einmal versuchen, besser scheitern. Die beiden ehemaligen Printredakteure haben sich das inoffizielle Motto der digitalen Start-up-Gemeinde zu eigen gemacht. In weniger Sorgfalt, das stellen sie klar, übersetzt sich die Gelassenheit allerdings nicht: „Wir geben nur ein Produkt heraus, das funktioniert“, so Dilba, „wir wollen die Leser nicht als Beta-Tester benutzen.“

Den Job machen andere: Jetzt, wo ausreichend Geld für die Anschubfinanzierung da ist, geht es richtig an die Arbeit. Aufträge für Geschichten werden vergeben, Prototypen für die App entwickelt und getestet. Die Veröffentlichung der ersten Ausgabe stellen Dahm und Dilba für Ende Juni in Aussicht. Danach soll „Substanz“ wöchentlich erscheinen, finanziert ganz klassisch durch die Einnahmen aus den Verkäufen und Anzeigen.

Qualität statt Quantität

Die hohe Schlagzahl bei der Produktion der einzelnen Ausgaben wird ausgeglichen durch die Zahl der Artikel: Noch ist nicht völlig klar, wie viele Artikel eine Ausgabe enthalten wird, aber der Planung nach werde sich die Zahl auf jeden Fall im unteren einstelligen Bereich bewegen. „Unsere Leser leiden unter Reizüberflutung, unter zu viel Medien“, erklärt Dahm. Statt auf Quantität soll auf Qualität gesetzt werden, auf Geschichten, in die Leser sich vertiefen können und auch müssen. Wissenschaft, das ist die Botschaft, ist oft kompliziert; sie ist aber auch spannend und es wert, richtig erzählt zu werden. „Wir wollen die Luxusschokolade sein, die man sich einmal in der Woche kauft und dann am Sonntagnachmittag mit Genuss isst.“

Vor dem Hintergrund einer Branche in der Dauerkrise wollen sie digital große, aufwendig produzierte Geschichten erzählen und dafür Geld verlangen. Georg Dahm und Denis Dilba haben für ihr Projekt viel Aufmerksamkeit bekommen in den vergangenen Wochen. Sie wissen, dass der Erfolg oder Misserfolg von „Substanz“ genau verfolgt werden wird. „Man muss sich nichts vormachen, wir stehen enorm unter Beobachtung“, so Dahm.

Große Worte mit Augenzwinkern

Auf ihrer Homepage bezeichnen Dilba und Dahm sich als „Medienmogule“, in Anlehnung an die oft fantasievollen, selbst gegebenen Titel von Gründern aus dem Silicon Valley und mit einem Augenzwinkern. Auch wenn er größtenteils ironisch gemeint ist, ein wenig reflektiert der Titel den Anspruch, den sie erheben wollen: „ Wir sehen unsere Rolle darin, ein Produkt zu bauen, das eine wirtschaftliche Basis hat – auch um zu zeigen, dass Qualitätsjournalismus auch im digitalen Zeitalter wirtschaftlich tragfähig sein kann“, sagt Georg Dahm. „Man muss es nur richtig machen.“ Ob „Substanz“ es nun auf Anhieb richtig machen wird oder nicht – für Georg Dahm und Denis Dilba hat 2014 gut angefangen.