Gelingt John Steinbecks Drama um zwei Wanderarbeiter an der WLB in Esslingen der Sprung in die Gegenwart? Jürgen Essser hat das Stück inszeniert.

Esslingen - Der Traum vom großen Glück, der hört sich bei Lennie und George sehr bescheiden an: Nur noch sieben oder acht Stunden am Tag arbeiten, ein kleines Stück Land, vielleicht eine Kuh und viele Kaninchen mit weichem Fell besitzen. Und nicht mehr auf fremden Farmen „Kornsäcke buckeln, bis die Eingeweide platzen“. Das ungleiche Paar, der geistig beschränkte Lennie und sein Beschützer George, gehören zu dem großen Heer der Wanderarbeiter, das in der Zeit der Großen Depression in den USA für wenig Geld auf den Farmen schuftet. John Steinbeck hat ihm in seiner Novelle „Von Mäusen und Menschen“ 1937 ein literarisches Denkmal gesetzt.

 

Steinbeck war selbst erst Hilfsarbeiter in der Landwirtschaft und hat später als Reporter in einer mehrteiligen Serie über die Lebensumstände dieser Arbeiter berichtet. „Von Mäusen und Menschen“ ist keine distanzierte Analyse, sondern sehr nach dran an den Figuren. Die Erzählung des späteren Literaturnobelpreisträgers basiert auf Dialogen, wurde mehrmals verfilmt und hat auch auf der Bühne eine lange Aufführungsgeschichte hinter sich.

Jürgen Esser, einer der alten Weggefährten von WLB-Intendant Friedrich Schirmer, hat jetzt an der Württembergischen Landesbühne den Stoff um die Sehnsüchte des kleines Mannes und der Erbarmungslosigkeit der Verhältnisse inszeniert. So naturalistisch wie das Bühnenbild von Elisabeth Pedross, so zeitverhaftet ist auch die Präsentation des Stoffs. Esser macht keinen Versuch, die Erzählung vom Elend der ausgebeuteten Arbeiter in irgendeiner Form an die Gegenwart anzubinden. Der gewitzte George (energiegeladen: Christian A. Koch), der sich so rührend um seinen zurückgebliebenen Freund kümmert, redet fast ohne Unterlass und schon seine Sprache klingt etwas in die Jahre gekommen. „Mach dich schmal, sonst mach ich dir die Hölle heiß“, warnt er das Riesenbaby Lenny, der immer in Gefahr ist, mit seinen immensen Kräften Unheil anzurichten.

Gnadenschuss als wiederkehrendes Motiv

In einem Stakkato von Dialogen nimmt das Unheil seinen Lauf. Steinbeck hat einen Reigen von Vorahnungen und wiederkehrenden Motiven eingebaut, die Erzählung ist kunstvoll komponiert. Der Gnadenschuss ist so ein Motiv, der erst einem alten Hund und später auch einem gehetzten Mensch erteilt wird. Auch auf der Bühne merkt man früh, dass in dem Riesenbaby Lenny (sehr gut: Antonio Lallo) auch ein Monster steckt, das nicht nur Mäuse totstreichelt und dass Lennies Sehnsucht nach etwas Weichem Abgründe innewohnen.

Doch in weiten Teilen der Inszenierung scheint es, als hätte die Regie auf Autopilot geschaltet. Man hätte in dieser Zeit als Zuschauer mit ähnlichem Gewinn auch den Text lesen können. Nur manchmal blitzen Ideen auf, mit denen Esser die Perspektive schärft - etwa wenn der streitsüchtige Sohn des Farmbesitzers und seine Frau wortlos zeigen, dass sie nicht miteinander können und wollen. Allerdings: Die unentschiedene Zeichnung der Frauenfigur ist fast schon ein Ärgernis. Die junge Schwiegertochter des Farmbesitzers ist im Text angelegt als der Motor des Unheils, dass sich zusammenbraut. Sie hat noch nicht einmal einen Namen, diese einzige Frauenfigur im Stück, wird immer nur „das Flittchen“ genannt. Nina Mohr spielt sie in Esslingen und bleibt dabei vage. Sie ist keine Femme Fatale und manchmal klagt sie darüber, dass sie einsam sei. Doch wirklich ausformuliert wird diese Position nicht. So bleibt der ungute Eindruck, die Regie hätte einem „wer mit dem Feuer spielt, kommt halt manchmal dabei um“ wenig zu entgegnen. Ein wenig mehr Auseinandersetzung mit dem Frauenbild der 30er Jahre sollte bei einer Inszenierung 2019 schon drin sein.