Pep Guardiola arbeitete als Fußball-Trainer 2010 in Spanien und 2014 in Deutschland – beide Nationalmannschaften wurden in diesen Jahren Weltmeister. 2018 steht er bei Manchester City unter Vertrag. Ist jetzt England an der Reihe?

Moskau - Als Spieler hat Pep Guardiola nur eine einzige WM bestritten, es war ein eher trostloses Kapitel in seiner Karriere. 1994 war das, mühsam kämpften die Spanier sich durch die Vorrunde, um nach einem 1:2 im Viertelfinale gegen Italien als enttäuschte Verlierer abzureisen. Guardiola wurde in zwei Vorrunden-Partien aufgestellt, wurde in beiden Spielen ausgewechselt, das war’s. Dennoch ist der heutige Trainer von Manchester City eine prägende Figur der WM-Historie, man kann sogar die Ansicht vertreten, dass kein anderer Mensch einen größeren Einfluss auf die drei jüngsten Turniere hatte, ohne auch nur bei einem Spiel persönlich anwesend gewesen zu sein.

 

Als die Spanier 2010 den Titel gewannen, trainierte Guardiola den FC Barcelona, sechs seiner Spieler standen im Finale und die Mannschaft spielte den dominanten Kombinationsfußball, den der Katalane in den Jahren zuvor im Club zur Perfektion vollendet hatte. Vier Jahre später arbeitete er beim FC Bayern, hatte einen prägenden Einfluss auf die Bundesliga, auch für Deutschland standen sechs Pep-Spieler in der Endspiel-Startelf. Bundestrainer Joachim Löw hat die Guardiola-Teams immer als große Inspirationsquelle beschrieben.

Southgate ist begeistert von Guardiola

Nun könnte in England zum dritten Mal in Folge ein Land Weltmeister werden, in dessen nationaler Liga der 47-Jährige zum Zeitpunkt des Triumphes arbeitet. Ähnlich wie Löw 2014 ist auch der englische Trainer Gareth Southgate begeistert von Guardiola und dessen Impulsen.

„Durch die Art und Weise, wie er sein Team spielen lässt, hat er großen Einfluss, dieser Stil ist vollkommen anders als alles, was wir in England zuvor von den Spitzenclubs gesehen hatten“, sagt Southgate. Und dabei geht es nicht nur um Grundfragen wie Guardiolas Philosophie vom Ballbesitzspiel, das die Engländer längst nicht so konsequent adaptiert haben wie die deutschen Weltmeister von 2014. Inspirierend ist vor allem die analytische Herangehensweise, das Paradigma, Fußball als Trainerspiel zu begreifen und die Überzeugung, dass intelligente strategische Ideen, über Sieg und Niederlage entscheiden können.

Fußballgehirn auf gehobenem Niveau

John Stones, der im Zentrum der Dreierkette mit seinen Spieleröffnungen immer wieder den ersten Impuls für den Aufbau der Angriffe gibt, sagt, Guardiola habe sein „Fußballgehirn auf ein anderes Niveau gehoben“. Das Training unter diesem Fußball-Lehrer ist, „als habe sich eine Tür geöffnet, von der ich niemals ahnte, dass es sie überhaupt gibt“, erzählt der 24-Jährige. Das Dreierkettensystem der Engländer bei dieser WM ist eine Kopie der Abwehrformation, mit der Manchester City meist antritt – und die geradezu wissenschaftliche Vorbereitung von Elfmeterschießen, die den Engländern zu ihrem Sieg gegen Kolumbien im Viertelfinale verhalf, ist ebenfalls die Folge eines Umdenkens. Fußball wird in England seit einigen Jahren rationaler betrachtet, und Guardiola ist, ähnlich wie in seinen Bundesligajahren, der König dieser Herangehensweise.

In manchen Momenten kopieren die Engländer sogar den extremen Ballbesitz der Spanier. In der letzten Viertelstunde der Vorrundenpartie gegen Tunesien kamen sie in dieser Kategorie auf 79 Prozent – ein Wert wie ihn sonst nur Spanien, der FC Barcelona oder Guardiola-Teams zusammen kombinieren. Belohnt wurde die Dominanz mit dem Siegtor in der Nachspielzeit. Der prägende Einfluss des Spaniers ist allgegenwärtig wie bei Deutschlands WM-Märchen von 2014 in Brasilien. Für ihn seien Guardiolas Bayern „in puncto Dominanz, Spielstärke, Raumaufteilung vorbildlich“ gewesen, sagte Joachim Löw danach. Und in den Jahren davor hätten ihn „die spanische Nationalelf und der FC Barcelona inspiriert“.

Das Wissen über das Spiel

Zwar deutet diese WM darauf hin, dass der Vorsatz, permanent am Ball zu sein, ein wenig aus der Mode kommt, aber das mindert Guardiolas Einfluss nicht. Der wichtigere Punkt sei seine Art, das Spiel zu denken, sagt Kyle Walker, der neben Stones und Raheem Sterling der dritte englische WM-Stammspieler von Manchester City ist (Fabian Delph sitzt meist auf der Bank). Guardiola habe „die Denkfähigkeit der Spieler erweitert“, berichtet Walker, unter dem Einfluss dieses Trainers habe er angefangen, „zu Hause stundenlang die Spiele zu studieren“, um sich zu verbessern. „Das Wichtigste, was ich von ihm gelernt habe, ist mein Wissen über das Spiel“, sagt der Verteidiger, und Stones ergänzt: „Ich bin unter Pep zu einem deutlich besseren Spieler geworden.“ Gut möglich, dass die beiden sich bald in die lange Reihe jener Spieler einreihen, die sagen können: „Ich bin unter Pep Guardiola Weltmeister geworden“, unter einem Trainer, dessen persönliche WM-Geschichte kaum der Rede wert ist.