Im Iran dürfen Frauen nicht ins Stadion, bei der WM in Russland schon. Hier machen sie ihrem Ärger Luft. Auch aus Politik und Gesellschaft mehren sich die Stimmen, die für die Rechte der iranischen Frauen eintreten.

Kasan/St. Petersburg - Auch in Kasan werden sie wieder ins Stadion gehen. Ohne angeklebten Bart, bemaltes Gesicht und dicke Wollmütze auf dem Kopf. Am Mittwochabend dürfen Irans Frauen bei der WM eine Freiheit genießen, die sie in ihrer Heimat nicht haben: Fußball live in der Arena sehen. „Es ist so wunderbar“, sagte eine Aktivistin nach dem 1:0-Auftaktsieg gegen Marokko in St. Petersburg: „Fußball ist nicht nur für Männer.“

 

Sara will die 34-Jährige genannt werden, ihren richtigen Namen verschweigt sie aus Angst vor Repressalien daheim im Iran. Sie ist nicht die Einzige, die in Russland die ungewohnte Freiheit nutzt, um gegen das seit fast 40 Jahren geltende Stadionverbot in ihrer Heimat zu protestieren. Im Krestowski-Stadion in St. Petersburg waren mehrere Plakate zu sehen, die ein „Ende des Banns“ und Unterstützung für „iranische Frauen, damit sie Stadien besuchen“, forderten.

Der Weltverband FIFA, der grundsätzlich politische Parolen in den WM-Arenen verbietet, ließ sie zu - weil es „ein sozialer Appell“ sei. Mannschaftskapitän Masoud Shojaei wollte sich am Dienstag nicht zu dem Thema äußern. „Es wäre respektlos gegenüber der WM und den Menschen hier, diese Frage jetzt zu beantworten“, sagte der Griechenland-Legionär in der Pressekonferenz vor dem Spiel: „Hier steht die gesamte Nation auf dem Platz, die gesamte Familie. Solche Themen wollen wir innerhalb der Familie lösen.“

„Als ich den Rasen sah, musste ich weinen“

In Teheran muss Sara zu besonderen Tricks greifen, wenn sie ein Fußballspiel ihres Lieblingsklubs Persepolis sehen will. Sie klebt sich einen Vollbart an, bemalt sich das Gesicht in Vereinsfarben, zieht ein Trikot über, hängt sich eine Fahne um und setzt eine dicke Wollmütze auf. Nur als Mann verkleidet kommt sie mit ihren Freundinnen an den Eingangskontrollen vorbei - ins Stadion, das ausgerechnet „Azadi“, Freiheit, heißt. Stolz postet sie Fotos auf Twitter und Instagram.

„Als ich den grünen Rasen sah, musste ich weinen“, sagt sie der ARD: „Erst wenn man drin ist, weiß man, was man Jahre lang verpasst hat.“ Nach dem Erdbeben im vergangenen Dezember in Teheran habe sie sich gefragt: „Warum sollte ich bei einem Erdbeben sterben, ohne meine Träume zu verwirklichen? Warum sollte ich nicht in ein Stadion gehen dürfen?“ Seit der Islamischen Revolution 1979 ist es Frauen im Iran verboten, Fußballstadien zu betreten.

FIFA-Präsident vermeidet öffentliche Kritik

Offiziell will der einflussreiche Klerus sie damit vor den vulgären Äußerungen und Gesängen der Männer zu schützen. Versuche aus der Politik, ihnen etwa auf „Familientribünen“ den Zugang zu erlauben, wurden abgeschmettert. FIFA-Präsident Gianni Infantino vermied bei seinem Besuch im März in Teheran öffentliche Kritik am Iran, als 35 Frauen festgenommen wurden, die ins Stadion wollten. Er habe das Thema „im privaten Gespräch“ mit Präsident Hassan Rohani angebracht und die Zusage erhalten, dass ein Ende des Verbots geplant sei.

In Russland trifft Sara auf viel Zustimmung, auch von iranischen Männern. Sie ließen sich mit den Protestplakaten fotografieren. Aber auch im Iran gibt es Unterstützung. Ali Daei, 149-maliger Nationalspieler und ehemaliger Bundesligaprofi, sagte der ARD: „Ich hoffe, dass die Frauen eines Tages ins Stadion dürfen. Wir werden mehr Zuschauer haben. Die Frauen werden sich freuen, und die Männer werden versuchen, sich besser zu benehmen.“