Vor 20 Jahren, am 12. Juli 1998, holte sich Frankreich mit einem 3:0 gegen Brasilien den Weltmeistertitel. Jetzt steht die „Grande Nation“ wieder in einem WM-Finale. Die gebürtige Stuttgarterin Annette Schäfer, die in Paris lebt, erinnert sich – und schaut nach vorn.

Freizeit und Unterhaltung: Theresa Schäfer (the)

Stuttgart/Paris - 12. Juli 1998, WM-Finale in Paris. Im Stade de France steht die Mannschaft des Gastgeberlands Frankreich dem Rekordweltmeister Brasilien gegenüber. Vor dem Hôtel de Ville, dem Rathaus im Herzen der französischen Hauptstadt, verfolgt eine Stuttgarterin mit tausenden anderen die Partie, aus der die „Grande Nation“ als Siegerin und Weltmeisterin hervorgehen wird: Heute, 20 Jahre später, lebt Annette Schäfer mit ihrem französischen Mann und zwei Töchtern in Paris – und Frankreich steht erneut im Finale einer Fußball-Weltmeisterschaft.

 
Welche Erinnerungen haben Sie an 1998?
Annette Schäfer: Vor dem Hôtel de Ville herrschte eine unglaubliche Stimmung. „Et un, et deux, et trois – zéro“ schallte über den Platz, Frankreich hatte 3:0 gegen Brasilien gewonnen. Man konnte den Nationalstolz und die kollektive Euphorie der Franzosen förmlich spüren. Weltmeister bei einer WM im eigenen Land – das war schon etwas Besonderes. Wir liefen in dieser Nacht kilometerweit durch Paris, bis zu den Champs-Élysées. Zum Schluss musste ich meine Schuhe ausziehen, weil meine Füße so schmerzten (lacht). Eine schöne Erinnerung.
Jetzt steht Frankreich wieder in einem WM-Finale. Wie ist die Stimmung heute?
Man muss bedenken: Die Durchschnitts-Franzosen sind nicht so große Fußballenthusiasten wie wir Deutschen. Die Vorrunde haben also die meisten nur mit freundlichem Interesse verfolgt. Im Achtelfinale, als es gegen Argentinien so haarig wurde, schwappte die Begeisterung dann über. Wir wohnen im 12. Arrondissement, das ist nicht gerade im Zentrum von Paris, aber alle Bars waren seither zu jedem Frankreich-Spiel gerappelt voll und anschließend gab es Hupkonzerte und Autokorsos durchs Viertel.
Waren Sie enttäuscht, dass Deutschland schon nach der Vorrunde die Heimreise antreten musste?
Vor allem überrascht. „La Mannschaft“ wurde auch hier total gehypt. Alle dachten, Deutschland ist fast nicht zu schlagen. Ich war aber ganz froh, dass es so kein Aufeinandertreffen von Deutschland und Frankreich geben konnte – da bin ich dann immer so gespalten, wem ich die Daumen drücken soll (lacht).
Wo schauen Sie am Sonntag das Finale gegen Kroatien?
Wir wären gerne wieder vor das Hôtel de Ville zum Public Viewing gegangen – schon rein aus Nostalgie. Allerdings haben wir eine Terminkollision und sind am Sonntag gar nicht in Paris. Wir werden uns also in Blois ganz unspektakulär mit unseren Töchtern eine Kneipe suchen und dort gucken.
Ihr Tipp?
Puh, ich bin wirklich keine Expertin. Es wird sicher nicht einfach, die Kroaten haben Biss. Ich tippe 2:1 für Frankreich.
Wie wichtig wäre ein WM-Sieg für Frankreich?
Sehr wichtig. Der Macron-Schwung, der das Land nach dem Wahlsieg im vergangenen Jahr erfasst hatte, ist merklich abgeflaut. Viele Menschen sind desillusioniert – auch, weil nicht alle Reformen Macrons unumstritten sind. Ich glaube, der Weltmeistertitel würde der französischen Psyche gut tun und sicher auch die Wirtschaft beflügeln.

Annette Schäfer ist in Stuttgart geboren und aufgewachsen und lebt seit 18 Jahren in Paris. Sie arbeitet als Deutschlehrerin, ist verheiratet und hat zwei Töchter.