Heute vor einem Jahr besiegte die deutsche Mannschaft in Rio Argentinien. Die Fußball-Weltmeister müssen nun niemandem mehr etwas beweisen. Der Erfolg kann aber auch zur Last werden, wie das Beispiel Mario Götze eindrucksvoll zeigt.

Stuttgart - Beim Länderspiel neulich in Faro, als Lukas Podolski wie üblich auf der Ersatzbank saß, hat der Kölner hinterher wieder die altbekannten Fragen gehört. Warum er nur Reservist sei, warum er so selten zum Einsatz komme, das müsse doch wahnsinnig nerven. Podolski lachte unter seiner Schirmmütze hervor. Was wollt ihr von mir, sagte er sinngemäß, „ich bin Weltmeister geworden, ich stand mit meinem Sohn Louis auf dem Rasen des Maracanã-Stadions. Das nimmt mir keiner mehr, egal, was jetzt noch passiert.“

 

Podolski (30) war auch im WM-Finale in Rio vor genau einem Jahr nur Ersatzspieler, als die deutsche Nationalelf die Auswahl Argentiniens mit 1:0 besiegte. Dennoch wird auch sein Name bis an sein Lebensende und darüber hinaus mit dieser Sternstunde des deutschen Sports verbunden bleiben. Unsterblich haben sich die Weltmeister am 13. Juli 2014 gemacht, sie sind lebende Legenden, die in Zukunft niemandem mehr etwas beweisen müssen.

Das gilt für die 2006er-Sommermärchen-Generation um Podolski, Bastian Schweinsteiger (30), Philipp Lahm (31) und Per Mertesacker (30), die jahrelang vergeblich einem Titel hinterhergerannt war und im Verdacht gestanden hatte, im entscheidenden Moment immer den Kürzeren zu ziehen. Und das gilt für den Bundestrainer Joachim Löw. Als gewiefter Taktiker hatte er gegolten, aber auch als Coach, der keine Titel gewinnen kann. In Luft haben sich alle Zweifel aufgelöst – Löw wird Weltmeistertrainer bleiben, auch wenn sein Team bei der nächsten EM kein einziges Tor schießt. Am Gipfel der Unabhängigkeit ist er in Rio angekommen – und macht seither fast nur noch das, worauf er Lust hat.

Dem Höhepunkt folgt der Rücktritt

Nicht grundlegend anders verfahren einige seiner wichtigsten Spieler. Lahm und Mertesacker haben nach dem WM-Sieg (ebenso wie der 37-jährige Miroslav Klose) ihren Rücktritt aus dem DFB-Team erklärt, obwohl sie weitere Turniere spielen könnten. Doch weil sie wissen, dass der Höhepunkt hinter ihnen liegt, wollen sie mehr Zeit für ihre Familien haben. Podolski wiederum lässt sich von der neuen Saison an bei Galatasaray Istanbul feiern, auch wenn der Wechsel in die Türkei seine Chancen auf eine EM-Teilnahme nicht erhöhen dürfte. Und Schweinsteiger geht von den Bayern zu Manchester United (siehe „Ein seltsam emotionsloser Abschied“). Als blutender Held des WM-Finales dürfte ihm die Verehrung der Engländer gewiss sein, auch wenn er mal einen Fehlpass spielt.

Ein klein wenig anders liegen die Dinge ausgerechnet bei jenem Mann, der alle in den Legendenstatus gehievt hat; also bei Mario Götze, dem Schützen des 1:0 gegen Argentinien. Flanke André Schürrle, Brustannahme und direkter Abschluss Götze – es war ein genialer Treffer, der seither im Fernsehen tausendfach wiederholt wird. Dass das Leben als Held der Nation jedoch auch kompliziert sein kann, das haben schon Götzes Vorgänger Helmut Rahn, Gerd Müller und Andreas Brehme gemerkt, die Deutschland 1954, 1974 und 1990 zum WM-Titel geschossen hatten und anschließend teils aus der Spur geraten waren.

Schwankungen gehören dazu

Zu früh ist es, sich auch um Götze ernsthafte Sorgen zu machen. Schwankungen gehören dazu, wenn man erst 23 ist, vom Bundestrainer als „Wunderkind“ bezeichnet wird und riesige Erwartungen zu erfüllen hat. Ein paar Rätsel gibt Götze dennoch auf. Bei den Bayern wirkte er zuletzt seltsam gehemmt, bisweilen fast teilnahmslos und saß meist auf der Bank. Er wolle eigentlich nur Spaß haben, sagte er in einem „11 Freunde“-Interview, das sei aber nicht so einfach: „Man muss sich in dieser Branche ein wahnsinnig dickes Fell zulegen.“

Beim FC Bayern werden sie zunehmend ungeduldig. Es werde Zeit, „dass er langsam erwachsen wird“, sagte Franz Beckenbauer, und der Vereinsboss Karl-Heinz Rummenigge erklärte streng: „Wir sind alle hilfsbereit, aber am Ende des Tages ist es auch der Spieler, der die Verantwortung für sich selbst übernehmen muss.“ Mario Götze will sich anstrengen – doch wenn es nicht klappt, bleibt auch ihm ein Trost: Den WM-Titel von Rio nimmt ihm keiner mehr.