Müller, Klose, Kroos, Khedira, Schürrle - das sind die deutschen Torschützen beim 7:1 im WM-Halbfinale. Den WM-Gastgebern blieb nur der Ehrentreffer kurz vor Schluss. Der Spielbericht.

Belo Horizonte - Unfassbar! Phänomenal! Weltmeisterlich! Nach der spektakulärsten Fußball-Darbietung in der deutschen WM-Geschichte trennt Joachim Löw und seine noch ungekrönten Helden nur noch ein Schritt vom vierten Titelgewinn.

 

Auf den Tag genau 24 Jahre nach dem letzten WM-Triumph in Italien versetzte die gereifte Generation um den nun alleinigen WM-Rekordschützen Miroslav Klose (16 Tore) mit einem sensationellen 7:1 (5:0) im Halbfinale ganz Brasilien in einen Schockzustand. Im Endspiel am Sonntag im mystischen Maracanã in Rio gegen den Erzrivalen Holland oder Argentinien, das Deutschland 1990 in Rom mit 1:0 besiegen konnte, geht es aber wieder bei Null los.

Höchster Halbfinal-Sieg

Beim zweithöchsten deutschen WM-Sieg und dem bisher klarsten Erfolg in einem WM-Halbfinale überhaupt trafen für die in der ersten Hälfte entfesselten schwarz-rot-goldenen Kicker Thomas Müller (11.), Klose (23.), Toni Kroos per Doppelpack (24./26.), Antreiber Sami Khedira (29.) und der eingewechselte André Schürrle (69./79.). Oscar verkürzte erst in der 90. Minute.

Der 36 Jahre alte Klose überflügelte mit seinem Rekordtor vor 58 141 Zuschauern den Brasilianer Ronaldo (15) als besten WM-Schützen. Und Müller hat nach seinem fünften Turniertor die Chance, wie 2010 WM-Torschützenkönig zu werden - es wäre eine historische Leistung.

Brasilien wird ausgepfiffen

Gegen kollektiv versagende Brasilianer, die die Ausfälle von Superstar Neymar und Kapitän Thiago Silva nicht verkraften konnten und die höchste Niederlage ihrer Länderspiel-Geschichte kassierten, spielte die deutsche Startelf ihre Erfahrung von 681 Länderspielen gnadenlos aus.

„Finale, oho“, skandierten die deutschen Fans, die brasilianischen Spieler wurde für ihre höchste WM-Niederlage von ihren Landsleuten gnadenlos ausgepfiffen. Kroos erwies sich in seinem 50. Länderspiel nicht nur erneut als Meister des ruhenden Balls, sondern auch als eiskalter Vollstrecker. Der Eckball des vor dem Absprung zu Real Madrid stehenden Münchners leitete das sechste deutsche WM-Tor nach einer Standardsituation ein. Der 24-Jährige kurbelte gemeinsam mit Khedira im Mittelfeld unermüdlich an und sorgte mit dem zweiten Tor-Doppelpack im DFB-Trikot früh für klare Verhältnisse.

„Força Neymar“

Bei den Hausherren kam der in Belo Horizonte geborene Bernard für den verletzten Neymar zum Zuge, der trotz seines Fehlens in aller Munde war. Alle Spieler und auch Trainer Luiz Felipe Scolari betraten die Arena mit weißen Schirmmützen mit der Aufschrift „Força Neymar“ („Vorwärts Neymar“). Ersatz-Kapitän David Luiz hatte extra das Trikot mit der Nummer 10 mitgebracht. Schon lange vor dem Anpfiff hallten immer wieder Neymar-Gesänge durchs Stadion, dagegen wurde Joachim Löws Team schon beim Verlesen der Aufstellung ausgepfiffen.

Bei angenehmen Temperaturen knapp über 20 Grad ließ sich die deutsche Mannschaft aber von dieser Atmosphäre und der fast komplett in Gelb getauchten Kulisse nicht einschüchtern. Die erste erfolgversprechende Kombination über Müller und Özil brachte in der 8. Minute Khedira im Strafraum in Schussposition, Kroos blockte den Versuch des Wahl-Spaniers unglücklich mit dem Rücken ab. Drei Minuten später führte wie schon im Viertelfinale gegen Frankreich eine Standardsituation zur Führung.

Das Spiel im Protokoll

Beim ersten deutschen Eckball durch Kroos stand Müller völlig frei und konnte sich bei seinem insgesamt zehnten Tor bei einer WM-Endrunde die Ecke aussuchen. In der Folgezeit wurden den Brasilianern vom DFB-Team immer häufiger ihre spielerischen Grenzen aufgezeigt - auch der für den gesperrten Thiago Silva ins Team gerückte Bayern-Profi Dante konnte das sich nun abzeichnende Debakel nicht verhindern. Eine traumhafte Ballstafette über Kroos und Müller leitete das 2:0 durch Klose ein, der im ersten Versuch noch an Julio Cesar scheiterte, ehe er im Nachsetzen flach in die Ecke traf.

Das 16. Endrunden-Tor des Team-Seniors, mit dem er ausgerechnet in Brasilien Ronaldo als WM-Torschützenkönig überflügelte, leitete eine Gala der deutschen Mannschaft ein, in der den Brasilianern binnen weniger Minuten Hören und Sehen verging. Kroos mit einem Doppelschlag binnen kaum mehr als 60 Sekunden und Khedira jeweils nach traumhaften Kombinationen schossen mit ihren Treffern fast im Minutentakt gegen völlig demoralisierte Gastgeber ein rekordverdächtiges 5:0 heraus.

Fünf Tore in den ersten 29 Minuten waren der DFB-Auswahl nicht einmal gegen San Marino gelungen, wo es am 6. September 2006 im dritten Länderspiel der Ära Löw am Ende 13:0 hieß. Während bei vielen in Gelb gekleideten Fans bittere Tränen der Enttäuschung flossen, waren die deutschen Anhänger schier aus dem Häuschen und sangen: „Einer geht noch, einer geht noch rein“. Auch Ex-Bundestrainer Jürgen Klinsmann war hingerissen und twitterte schon zur Pause begeistert: „GO GERMANY GO !!! WHAT A GAME !!“

Für den an einer Sehnenreizung in der Kniekehle laborierenden Mats Hummels rückte nach der Pause Per Mertesacker in die Abwehrkette, die gegen Brasiliens bis dahin harmlose Offensive auf einmal Chancen zuließ. Doch Manuel Neuer hielt mit Glanztaten gegen Ramires (51.), Oscar (52.) und zweimal Paulinho (53.) seinen Kasten sauber. Löw reagierte an der Seitenlinie ungehalten auf die Nachlässigkeiten.

Erst danach besann sich das Team wieder aufs Fußballspielen und machte schließlich durch Schürrle, der einen Pass von Kapitän Philipp Lahm über die Linie drückte, das halbe Dutzend voll. Zehn Minuten später stand Schürrle erneut frei und machte die historische Pleite der Seleção perfekt.

Das Spiel im Minutenprotokoll gibt es hier.