In Frankreich leben immer mehr der Raubtiere, doch das bringt auch viele Probleme mit sich. Insbesondere wenn die Tiere in einen sogenannten Blutrausch geraten.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Paris - Die Wanderer am Kochersberg trauten ihren Augen nicht. Was sie zuerst für einen großen Hund gehalten hatten, entpuppte sich als ausgewachsener Wolf. In den sozialen Netzwerken machten bereits Mitte März mehrere Fotos eines Tieres die Runde, wie es zwischen Saessolsheim und Duntzenheim, etwa 20 Kilometer nordwestlich von Straßburg, über die Felder streunte.

 

Für Thomas Pfeiffer ist die Beobachtung keine Überraschung. Es sei nur eine Frage der Zeit gewesen, bis ein Wolf seinen Weg in die Region finden würde. Pfeiffer ist Mitglied im sogenannten Wolf-Luchs-Netzwerk, das zum Französischen Amt für biologische Vielfalt (OFB) gehört. Auch der Zeitpunkt erstaunt den Fachmann nicht. Im Frühjahr würden die jungen männlichen Wölfe ihre Rudel verlassen und sich auf die Suche nach einem Revier und einer Partnerin machen, erklärt der Autor des Buches „Alsace, le retour du loup“ (Elsass, die Rückkehr des Wolfes).

In Frankreich leben 600 Wölfe

Nach Angaben des OFB streifen fast 600 Wölfe in etwa 80 Rudeln durch die französischen Wälder – Tendenz steigend. Das ist eine frohe Botschaft für viele Umweltschützer, doch mit dem Auftauchen der Tiere sind auch die Probleme vorprogrammiert. Fast wöchentlich machen Meldungen die Runde, dass Schafherden oder Kühe von den Räubern angegriffen werden.

Seit Anfang der neunziger Jahre, als die ersten Wölfe über die süditalienischen Alpen nach Frankreich kamen, könnten die Schafherden nachts nicht mehr unbeaufsichtigt gelassen werden, beklagen sich die Züchter. Inzwischen gehören elektrische Zäune zur Standardausstattung, aber auch der Einsatz von Hirtenhunden hat eine Renaissance erlebt.

Wölfe gehen nachts auf die Jagd

Zu Gesicht bekommt man die Wölfe freilich selten, da sie in der Regel nur nachts auf Jagd gehen. Nach Angaben des OFB fressen die Rudel in den allermeisten Fällen andere Wildtiere und greifen nur in wenigen Fällen Schaf- oder Ziegenherden an. Ein Problem bei solchen Angriffen sei dann aber, dass die Räuber bei ihrer Jagd bisweilen nicht nur ein einziges Tier zum Fressen töten, sondern gleich mehrere Tiere einer Herde umbringen. Fachleute nennen dieses Verhalten „surplus killing“. Das sei kein „Blutrausch“, sondern der normale Reflex eines Raubtieres, das im Grunde so lange nach seiner Beute jage, bis sie sich nicht mehr bewegt.

Natürlich werden die betroffenen Züchter vom Staat nicht alleine gelassen. Nach Angaben des OFB bekommen sie jedes Jahr rund drei Millionen Euro für die durch Wölfe entstandenen Schäden überwiesen. Das sind zehn Prozent des gesamten Etats, der von der Regierung zum Schutz und der Hege der Wölfe ausgegeben wird. Jährlich fallen etwa 12.000 Nutztiere den Angriffen durch die Raubtiere zum Opfer.

Keine Angst vor dem Wolf

Für Aufregung sorgte im vergangenen Frühjahr allerdings eine Meldung aus der kleinen Gemeinde Saint-Paul-de-Varces südlich von Grenoble. Dort hatten Wölfe nachts zwei Schafherden mitten im Dorf angefallen, die in unmittelbarer Nähe zur Schule grasten. „Für uns, die wir weder in den Bergen noch wirklich auf dem Land sind, war es ein Schock“, erklärt David Richard, der Bürgermeister der Stadt. „Wir hätten nie gedacht, dass die Wölfe so nahe an die Häuser kommen würde.“ Mit der steigenden Zahl der Wölfe, müsse man sich von der Idee verabschieden, dass die Raubtiere nur in den entlegenen Regionen Frankreichs heimisch seien, erklären die Experten. Die Tiere würden allerdings die Nähe von Menschen meiden.

Thomas Pfeiffer hält es für unwahrscheinlich, dass der Wolf, der in der Nähe von Straßburg gesichtet wurde, dort auch geblieben ist. Durch das Elsass seien schon immer Wölfe gezogen, sagt er. Die Tiere seien auf dem Weg in die Ardennen, die Vogesen oder auch in den Schwarzwald auf deutscher Seite. Treffe man auf einen Wolf, solle man das Tier einfach in Ruhe lassen, rät der Experte. Die Gefahr angefallen zu werden, liege praktisch bei null. „Wir stehen nicht auf seiner Speisekarte“, versichert Thomas Pfeiffer.