Der Bundesverband der Diakonie hat ein hohes Defizit und keine Rücklagen mehr. Nun sollen die Kosten sinken.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Die Einladung erfolgte kurzfristig und mitten in den Pfingstferien. In Stuttgart und Berlin wurden die Beschäftigten des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche Deutschlands diese Woche zu außerordentlichen „Mitarbeitendenversammlungen“ einberufen. Man wolle über die „aktuelle wirtschaftliche Lage unseres Werkes“ informieren, schrieben der Diakonie-Präsident Johannes Stockmeier und sein für Finanzen zuständiger Vorstandskollege Jörg A. Kruttschnitt in der Rundmail.

 

Schon zuvor hatte sich an beiden Standorten herumgesprochen, dass die Situation des Diakonie-Bundesverbands alles andere als rosig sei. Seit Jahren gebe es ein strukturelles Defizit zwischen Einnahmen und Ausgaben, hieß es, nun seien die Rücklagen komplett aufgezehrt. Wäre der Verband ein Wirtschaftsunternehmen, stünde er vor der Insolvenz. Sorgenvoll wurde erörtert, wie hart fortan gespart werden müsste und wen das wo treffen könnte.

2011 ein Fehlbetrag von zwei Millionen Euro

Vor der Zahlungsunfähigkeit müssen sich die etwa 400 Mitarbeiter nicht fürchten. Der Bundesverband könne gar nicht insolvent werden, da er keine eigenständige Rechtsperson sei, sondern ein unselbstständiger, abgegrenzter Bereich innerhalb des Diakonischen Werkes, beruhigt eine Sprecherin. Doch ansonsten erwiesen sich die Sorgen als durchaus begründet. Immer mehr öffne sich die Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben, erläuterte die Verbandsführung auch auf StZ-Anfrage. Trotz allgemein steigender Kosten hätten weder der Bund noch die Kirche ihre Zuschüsse erhöht. Die Folge: bei einem Etatvolumen von insgesamt 30 Millionen Euro im Jahr 2011 ergebe sich ein Fehlbetrag von zwei Millionen Euro.

Aus den Rücklagen lässt sich das Defizit fortan nicht mehr decken. Die seien in den vergangenen zehn Jahren tatsächlich aufgebraucht worden, bestätigt die Sprecherin, vor allem durch „außergewöhnliche Belastungen“. Dazu zählten etwa „zwingend notwendige Gebäudesanierungen“ und der Aufbau der Bundesvertretung in Berlin. Die Folge: es gebe „Konsolidierungsbedarf“, also erheblichen Spardruck, wobei die Leistungsfähigkeit des Verbands stets gewährleistet bleiben solle.

Am Umzug nach Berlin wird nicht gerüttelt

Aber wo wird gekürzt? Einsparungen erfolgten „bei den Sachkosten wie auch bei den Personalkosten“, heißt es allgemein. Besonders der Umzug nach Berlin, wo die Diakonie nach der geplanten Fusion mit dem Evangelischen Entwicklungsdienst (EED) künftig unter einem Dach residieren soll, biete dazu Gelegenheit. Einerseits fielen die durch zwei Standorte bedingten hohen Reisekosten fortan weg, andererseits entstünden dadurch Vakanzen, die dann eben offen bleiben. Die Sorgen der nicht mit umziehenden Mitarbeiter, der ausgehandelte Sozialplan könne angetastet werden, zerstreute die Diakonie-Spitze: Die Umsetzung des Planes sei „nicht gefährdet“. Die ebenfalls befürchteten Gehaltskürzungen seien schon wegen der Dienstverträge nicht möglich.

Manche Beschäftigte halten die Verlagerung nach Berlin indes weniger für eine Sparchance als für einen Kostentreiber. Sie sehen sich in ihrer Warnung bestätigt, dass dadurch erheblicher Zusatzaufwand entstehe. Der Neubau in der Hauptstadt, der im Oktober gemeinsam mit dem EED bezogen werden soll, gilt ihnen als „Prestigeprojekt“, das nicht zur Diakonie passe.

Angesichts der Finanznot beim Diakonie-Bundesverband sahen Skeptiker sogar das Zusammengehen mit dem Evangelischen Entwicklungsdienst gefährdet. Im Grundsatz ist dieses zwar entschieden, doch die Gremien müssen es im Lauf des Juni noch offiziell absegnen. Man habe die Lage dort diskutiert, sagt die Sprecherin. Das Ergebnis: „Fusion und Umzug werden wie geplant stattfinden.“ Das neue Werk für Diakonie und Entwicklung werde in Berlin „mit neuer Gewichtung auftreten“, hatte Präsident Stockmeier vorausgesagt.

Doch bei allen Plänen für die Zukunft dürfte auch die Vergangenheit beim Diakonie-Bundesverband noch diskutiert werden. Warum sei man eigentlich sehenden Auges in die Finanzklemme geschlittert, ohne etwas dagegen zu unternehmen, wird gefragt. Nicht allein die aktuelle Führung machen Kritiker dafür verantwortlich, sondern auch die frühere – den einstigen Präsidenten Klaus-Dieter Kottnik und den langjährigen Finanzvorstand Wolfgang Teske. Beide schieden dem Vernehmen nach zu großzügigen Konditionen aus dem Amt, zu denen es in Berlin aus Gründen der „Vertraulichkeit“ keine Auskünfte gibt. Kottnik, der offiziell aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig abtrat, berät heute übrigens die Diakonie in Polen. Kritische Blicke gelten auch dem Aufsichtsgremium mit dem württembergischen Landesbischof Frank O. July an der Spitze: Warum eigentlich habe man von dort aus nicht rechtzeitig gegengesteuert?