Der etwas andere "Einkaufsplan"


Noch sind die Rucksäcke zu leicht. Eva zieht einen Wochenplan aus der Hosentasche. Drei Supermärkte stehen in der Mittwochabendspalte, geordnet nach ihrer Entfernung. Sie ist stolz auf ihren Plan; laufend aktualisiert sie ihn, trägt ein, in welchen Zyklen die Container befüllt, in welchen sie geleert werden, und wann der Filialleiter geht. "Jeder Laden hat seinen eigenen Rhythmus", sagt die 24-Jährige, die tagsüber ein paar Straßen weiter Politik studiert. Heute malt sie ein kleines Minus hinter den ersten Laden. Das heißt, dass es sich nicht gelohnt hat.

Auch hilfsbereite Angestellte sind eingezeichnet. In zwei Märkten hat Eva Helfer, die ihr die besonders guten Abfälle zur Seite legen. Aber es gibt auch die anderen – die Joghurtbecher aufstechen und Milch oder Waschmittel über die Lebensmittel schütten, um sie ungenießbar zu machen. Einmal, als sie noch ohne Taschenlampe unterwegs war, hat sie mit beiden Händen in eine Tonne gefasst, und plötzlich quollen ihr Maden durch die Finger. "Das war schon fies", sagt sie. Aber Handschuhe benutzt sie keine, "man gewöhnt sich dran".

Heute wollen sie nur eine kleine Tour machen. Die Hoffnung ruht auf dem nächsten Supermarkt. Die erste Tonne ist leer, dann kommt Papiermüll, Plastik. Bei der vierten Tonne endlich ein Erfolgserlebnis: Orangennetze. Darunter liegen Mangos, in einer weiteren Tonne Kartoffeln, Brokkoli, ein Strauß Rosen, Dutzende Äpfel. Schnell wachsen zwei Berge zwischen den beiden Studenten. Lukas strahlt, und Eva erinnert sich an ihre erste Tour: "Das war mein Kindertraum – Tonnen von Essen, einfach so zum Mitnehmen." Freudentränen habe sie damals in den Augen gehabt.

Eva und Lukas reizt das Unvorhersehbare


So wie ein knappes Jahr später, als sie zwei bis zum Rand mit Schokolade gefüllte Container entdeckt hat. Eva und ihre Freunde haben Lindt-Schokolade im Wert von 700 Euro mitgenommen. Die Preisschilder waren noch drauf, keine Tafel abgelaufen. Ein paar Tafeln waren wohl warm geworden, hatten helle Stellen bekommen und sahen nicht mehr so aus wie auf einem Werbefoto. Damals habe sie sich wochenlang von Schokolade ernährt.

Das Unvorhersehbare reizt sie. "Beim Containern ist nicht alles verfügbar wie im Laden", sagt Eva. "Beim Containern bist du der passive Part, und das Essen ist aktiv – es bietet sich dir an." Sie sei genügsamer geworden und habe eine Menge über Gemüse gelernt, das sie nie gekauft hätte. Ächzend schultert Lukas seinen 70-Liter-Rucksack. Er hebt ihn vorbildlich aus den Knien und nicht aus dem Rücken. Schon einmal hat er sich am Gemüse verhoben. Die Containertour ist beendet, und der Laden bekommt für heute ein Plus auf Evas Plan.

Auch Kostbarkeiten sind dabei


Zu Hause bahren sie das exhumierte Grünzeug auf dem Küchentisch auf. Darunter auch einige Kostbarkeiten: Kaki, Himbeeren, Pinienkerne. Im Supermarkt hätten sie mit ihrer Ladung zwei Einkaufswagen prall gefüllt. Ein Gast aus Chile, der für ein paar Wochen in der WG wohnt, fragt, ob ein solches Verhalten in Deutschland normal sei. Es ist unklar, ob er jene meint, die den Müll produzieren oder jene, die ihn gerade in der Küche ausbreiten. Schnell hat sich die Kunde vom vollen Küchentisch im Haus herumgesprochen.

Die Containergruppe teilt den Haufen unter sich auf. Eva schält schon mal den Kartoffeln, sie will etwas Leckeres kochen. Lukas sortiert das Containerte von letzter Woche aus: zwei blaugrüne Orangen, vier graue Möhren, eine schwarze Zwiebel. Er packt sie zum Biomüll und trägt ihn hinaus. Der Eimer riecht nach Supermarktcontainer. Als er ihn auf den Kompost schmeißt, flüchtet eine Ratte ins Dunkel. Sie wird wiederkommen und im Müll wühlen.