Bald zehn Jahre ist es jetzt her, dass im Frühherbst 2013 im alten Fellbacher Freibad die letzten Kraulzüge gemacht und der letzte Sprung vom Dreimeter-Turm gewagt wurde. Mit der Eröffnung des neuen, rund 44 Millionen Euro teuren F3 ganz im Westen der Stadt waren die Tage des früheren, idyllisch zwischen hochgewachsenen Bäumen am Fuße des Kappelbergs gelegenen Freibads gezählt. Das Areal, so stand es bereits länger fest, sollte bebaut werden, um den Wohnungsmangel zu bekämpfen. So war dieses Gebiet am Zwickel zwischen Esslinger Straße und Untertürkheimer Straße ebenfalls ein wesentlicher Bestandteil der von Oberbürgermeisterin Gabriele Zull im Jahr 2017 kurz nach ihrem Amtsantritt ausgerufenen Fellbacher Wohnbauoffensive.
Der alte Sprungturm steht immer noch
Das Tempo in der Umsetzung der Wohnbebauung blieb allerdings deutlich hinter den seinerzeit von manchen Lokalpolitikern geäußerten Erwartungen zurück. So ist der seit zehn Jahren ungenutzte Sprungturm beim Blick über den Zaun ebenso noch sichtbar wie die Schwimmbecken und der Wasserpilz, unter dem man sich einst im Sommer berieseln lassen konnte. Und auf der früheren Liegewiese stehen seit vielen Jahren mehrere Containeranlagen für die Unterbringung von Flüchtlingen. Die CDU-Fraktion mahnte schon im April 2016 angesichts der Zwischennutzung für die Unterbringung von Flüchtlingen, dass das eigentliche Ziel, nämlich die Wohnbebauung, nicht aus dem Fokus geraten dürfe.
Nun nimmt die Sache Fahrt auf – handelt es sich doch um eine der größten Quartiersentwicklungen in Fellbach. Wie dieses grüne und innovative 4,2 Hektar große Quartier aussehen könnte, hat das Tübinger Büro Hähnig Gemmeke in Kooperation mit dem Büro Stefan Fromm Landschaftsarchitekten bereits im Jahr 2019 aufgezeigt, als sie aus dem Realisierungswettbewerb als erste Preisträger hervorgingen. Die Überarbeitung des Wettbewerbsergebnisses hin zum städtebaulichem Entwurf inklusive eines „vertiefenden Verkehrskonzepts“ wurde im März 2022 vom Gemeinderat beschlossen.
250 bis 300 Wohnungen sind angedacht
Mindestens 250 Wohneinheiten sind auf dem knapp sechs Fußballfelder großen Areal angedacht, je nach dem letztlich umzusetzenden Konzept sind auch 275 oder 300 Wohnungen denkbar. „Mehr als 750 Menschen werden bis zum Jahr 2025 am Fuße des Kappelbergs eine neue Heimat finden“, hieß es in einem Artikel unserer Zeitung vom April 2019. Das entstehende Wohngebiet soll für Familien-, Senioren- und Einzelhaushalte attraktiv sein – keine leichte Aufgabenstellung bei der momentanen Lage in der Bau- und Wohnungsbranche.
Nun folgt der nächste Schritt mit der Grün- und Gestaltungsplanung, die Baudezernentin Beatrice Soltys und Stadtplaner Christian Plöhn der Presse vorstellten und die in zwei Sitzungen im Juni auch im Stadtparlament diskutiert, analysiert, verfeinert und beschlossen werden soll.
Eine ganz aktuelle Entwicklung: Das Projekt firmiert jetzt offiziell nicht mehr unter dem Namen „ehemaliges Freibad“, sondern wird als „Rohrlandsiedlung“ bezeichnet, analog zum dortigen Gewann mit diesem Namen – wobei kurioserweise die Rohrlandstraße fast 600 Meter nördlich von dem einstigen Freibadgelände liegt.
Stadt verspricht ausgeglichene Baumbilanz
Ein Punkt, der vor einigen Jahren heftige Eruptionen in Teilen der Bevölkerung hervorgerufen hatte, betrifft den Baumbestand. Zeitweilig war gar von einem „Kahlschlag“ die Rede, den die Bauverwaltung durchziehen wolle. Plöhn spricht nun von einer „ausgeglichenen Baumbilanz“. Konkret bedeutet dies, „dass wir 100 Bäume fällen mussten“ – nicht nur, um Platz für Neubauten und Tiefgaragen zu schaffen, sondern auch, weil Trockenphasen, Klimawandel, Sturmschäden und Krankheiten „die Vitalität der Bäume“ beeinträchtigten.
Allerdings: „Es werden in derselben Zahl Bäume nachgepflanzt“ – 100 neue statt 100 alte also. Und: „Circa 70 Baumstandorte werden wir erhalten können“. So soll die einstige Lindenreihe, die viele Freibadgänger noch kennen, in der neuen Straße „Am alten Freibad“ als Gestaltungselement aufgenommen und durch neue Baumstandorte nach Westen fortgeführt werden. Auch mit Blick auf die „Hitze im Sommer“ seien „regelmäßige Schattenbereiche“ durch Bäume unabdingbar, so Plöhn.
Straßen breit genug für Müllfahrzeuge oder Rettungswagen
Grundsätzlich sollen in dem Wohngebiet „ruhige, grüne Rückzugsorte“ geschaffen werden, die Planer peilen ein verkehrsarmes Quartier an, die Anwohner sollen ihre Fahrzeuge in den Tiefgaragen abstellen, für Besucher gibt es Parkplätze in den Randbereichen. Müllfahrzeuge, Rettungs- oder Umzugswagen sollen allerdings schon durchfahren können, auch für Feuerwehreinsätze wurden die erforderlichen Schleppkurven überprüft, heißt es.
Zum Anspruch als neuer grüner Stadteingang im Südwesten Fellbachs beitragen soll das sogenannte Freibadwäldchen am äußeren Zipfel des Wohngebiets, „das allen Freizeitsuchenden auch von außerhalb des Quartiers dienen wird“, sagt Plöhn. „Ein größtmöglicher Erhalt, insbesondere von markanten Großbäumen, ist zwingend erforderlich.“ Zudem werde es eine große Spiel- und Liegewiese geben.
Bezug frühestens 2028 möglich
Und wie ist die Zeitachse? Baudezernentin Soltys verweist auf die vielen Krisen im aktuellen Bausektor, die genaue Planungen erschweren. Die derzeitige Containeranlage für die Flüchtlinge wird zum Jahreswechsel geräumt, 2024 beginnt der Abbruch der Schwimmbecken. Die Vermarktung wird in Angriff genommen, 2026 könnte der Hochbau loslegen. Wenn man all das hochrechnet, dürfte vor 2028 nicht mit einer Fertigstellung des „Rohrlands“ zu rechnen sein.
Besonderheiten und Kuriositäten in der künftigen Rohrlandsiedlung
Urbane Liegewiese
Spannend wird es im nördlichen Zentrum auf dem Quartiersplatz, der den Titel „Liegewiese“ erhält und „zur urbanen Mitte des Neubaugebiets ausgebildet werden“ soll. Wasserspiele sollen ans einstige Freibad erinnern, zudem sind generationenübergreifende Felder unter dem Motto „Bewegen und Spielen“ vorgesehen.
Künstlerischer Sprungturm
Nicht realisieren lässt sich die anfangs geplante Idee, den Sprungturm am alten Standort im neuen Wohngebiet als originelle Erinnerung an früher stehenzulassen. „Eine Weiterverwendung ist technisch beinahe unmöglich, würde als massives Betonelement am neuen Ort unpassend wirken und einen unverhältnismäßigen Kostenaufwand bedeuten“, so das Stadtplanungsamt. Als „Reminiszenz“ an den ehemaligen Turm wird nun ein „identitätsstiftendes Kunstwerk“ errichtet.
Kein Bikini-Atoll
Wer künftig eine außergewöhnliche Adresse haben möchte, wird im „Rohrland“ fündig. Als Folge eines Ideenwettbewerbs heißen die drei neuen Straßen dort in Erinnerung an früher: Am alten Freibad, Am Sprungturm sowie Badweg. Womöglich als zu albern wurden bereits im Vorfeld einige originelle Vorschläge aussortiert, etwa Seepferdchengasse, Wasserrattenweg, Beim Bikini-Atoll, Im Tanga oder Am Meerbusen – hätte sich auf der Visitenkarte wohl auch etwas merkwürdig gemacht.