Nach Schätzungen könnten aufgrund des demografischen Wandels bis zum Jahr 2015 im Land rund 300 000 barrierefreie Wohnungen fehlen.  

Stuttgart - Fast jeder zweite Deutsche hat sich schon einmal mit dem Thema 'Wohnen im Alter' beschäftigt. Ganz wichtig dabei: die Barrierefreiheit. Also Wohnungen, in denen zum Beispiel keine Treppen zu überwinden sind, die Türbreiten in der Wohnung und die Bewegungsfläche im Bad ausreichend groß sind und eine bodengleiche Dusche vorhanden ist. Doch barrierefreie Wohnungen sind im Land Mangelware, wie eine aktuelle Studie von ZEW (Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung) und der Universität Mannheim im Auftrag der L-Bank ergeben hat.

 

Die Untersuchung stützt sich dabei auf die Befragung von 73 Wohnungsunternehmen in Baden-Württemberg. Danach lebt bei acht Prozent der Mieter eines Wohnungsbauunternehmens oder einer Genossenschaft mindestens eine Person im Haushalt, die älter als 80 Jahre ist. Bezogen auf den Gesamtbestand von 103 000 Wohneinheiten der befragten Unternehmen ermittelten die Forscher einen theoretischen barrierefreien Wohnungsbedarf von 8000 Einheiten. Dem stünden derzeit aber nur rund die Hälfte, nämlich 4000 Einheiten, zur Verfügung, so ein Ergebnis der Studie. Gehe man ferner davon aus, dass in jeder dritten Wohnung mindestens ein Bewohner über 65 Jahre alt ist, werde der Bedarf an barrierefreien Wohnungen in den nächsten Jahrzehnten noch deutlich steigen. Das wird auch beim Verband der baden-württembergischen Wohnungsbauunternehmen vbw so gesehen.

Zwei Drittel der Mitglieder sind Wohnbaugenossenschaften

Dem Verband gehören rund 300 Wohnungsbauunternehmen im Land an. Rund ein Drittel davon sind kommunale Wohnungsgesellschaften, zwei Drittel der Mitglieder sind Wohnbaugenossenschaften. Zusammen verwalten sie aktuell 419 740 Wohnungen, von denen 6,2 Prozent barrierefrei oder zumindest barrierearm sind, heißt es beim vbw. Von barrierefrei spricht man, wenn ein behinderter Mensch ohne besondere Erschwernisse und ohne fremde Hilfe eine Wohnung betreten und sich darin bewegen kann. Eine barrierearme Wohnung hat hingegen noch kleinere Hindernisse. Auch der vbw beschäftigt sich schon länger mit dem Thema 'Wohnen im Alter'. Unterm Strich werden nach Ansicht des Verbandes bis zum Jahr 2015 allein in Baden-Württemberg auf dem gesamten Wohnungsmarkt rund 300 000 barrierefreie beziehungsweise barrierearme Wohnungen benötigt. 'Das ist nicht nur für unsere Mitgliedsunternehmen eine große Herausforderung', sagt vbw-Verbandsdirektorin Sigrid Feßler und fordert, die im Jahr 2012 gestrichenen Bundesmittel für das KfW-Förderprogramm 'Altersgerecht umbauen' so schnell wie möglich wieder im Bundeshaushalt bereitzustellen.

Allerdings müssten auch die Kommunen im Land sich auf die demografischen Veränderungen der Gesellschaft einstellen, in dem sie quartiersbezogene Demografiekonzepte entwickeln, fördern und gemeinsam mit den Beteiligten Lösungen für eine barrierearme Ausgestaltung der Infrastruktur suchen; dazu gehören auch weitere infrastrukturelle Rahmenbedingungen im Quartier wie zum Beispiel die medizinische Versorgung und Sozial- und Pflegedienste, so Feßler. Aufgrund der demografischen Entwicklung wollen 80 Prozent der vom ZEW befragten Unternehmen in den nächsten Jahren ihren Bestand an barrierefreien Wohnungen um im Schnitt elf Prozent erhöhen. Dabei werden die Mehrkosten, die für barrierefreie Neubauten je Wohneinheit aufgebracht werden müssen, von den Befragten im Durchschnitt auf 12 500 Euro geschätzt.

Ulrich Wecker, Geschäftsführer des Stuttgarter Haus- und Grundbesitzervereins, hält die genannten Kosten für den barrierefreien Umbau einer Wohnung allerdings für viel zu niedrig, betont aber auch, dass für seinen Verein das barrierefreie Wohnen eines der wichtigen Zukunftsthemen sei. Die meisten der im Schnitt 65 Jahre alten Mitglieder von Haus & Grund würden in der eigenen Wohnung, oftmals auch im eigenen Haus, leben und dort alt werden wollen. 'Für sie stellt sich die Frage, wie sie ihren Lebensabend möglichst komfortabel in den eigenen vier Wänden verbringen können', so Ulrich Wecker. Der Verein bietet seit einigen Jahren in Kooperation mit der Evangelischen Heimstiftung den Mitgliedern einen kostenlosen Beratungsservice an, bei dem man sich über Umbaumaßnahmen und Fördermittel informieren kann. Allerdings würden nur wenige Mitglieder das Angebot nutzen. Aber nicht nur Eigennützer müssten das Thema im Auge behalten.

Wie kann man der künftigen Entwicklung gerecht werden?

Gerade wer Wohnraum vermietet, sollte den demografischen Wandel im Blick haben. 'Wir appellieren daher an unsere 19 500 Mitglieder, die dem Stuttgarter Markt 70 000 Wohnungen zur Verfügung stellen, sich zu überlegen, wie man der künftigen Entwicklung gerecht werden und die wachsende Nachfrage nach entsprechendem Wohnraum bedienen kann, betont Wecker. Auch beim Mieterverein Stuttgart sieht man die Notwendigkeit altersgerechter Wohnungen. 'In der Zukunft werden die wenigsten Menschen in einem Seniorenheim leben', glaubt Geschäftsführerin Angelika Brautmeier und sieht die Wohnungswirtschaft in der Pflicht, entsprechende Wohnungen bereitzustellen. Allerdings stellt auch der Mieterverein fest, dass Beratungsangebote zu diesem Thema bislang nur zögerlich von ihren Mitgliedern wahrgenommen würden.

Bei der Stuttgarter Wohnungs- und Städtebaugesellschaft - mit 18 000 Wohnungen größter Vermieter in der Landeshauptstadt - versucht man, den Mietern möglichst lange ein selbstbestimmtes Leben in den eigenen vier Wänden zu ermöglichen, so der technische Geschäftsführer des Wohnungsunternehmens, Helmuth Caesar. Zu den bestehenden barrierefreien oder -armen Wohnungen würden jedes Jahr derzeit rund 200 neue in der Regel barrierefreie Neubauwohnungen realisiert, die auch über nachrüstbare Aufzüge, ausreichend breite Türen, niedrige Duschtassen und ein schwellenloses Wohnumfeld verfügten. Außerdem werde bei Modernisierungen geklärt, inwieweit im Einzelfall durch technische Maßnahmen Hilfestellungen gegeben werden könnten, erläutert Helmuth Caesar. Die SWSG bietet zudem neben den baulichen und technischen Ausführungen auch wahlweise haushaltsnahe Dienstleistungen wie Menüservice, häusliche Pflege, Hausnotruf oder Hilfe im Haushalt an. Das Unternehmen sieht darin ein wichtiges Zusatzangebot für nachhaltiges, altenfreundliches Wohnen.