Außerhalb Stuttgarts zu leben ist für viele Menschen inzwischen attraktiver. Die Zahl der Pendler wächst. Wir haben mit einer Floristin, einer Hebamme, einem Polizeisprecher und einer Erzieherin darüber gesprochen, warum sie aus Stuttgart weggezogen sind.

Stuttgart - Die Zahl der Menschen, die jeden Tag von außerhalb zur Arbeit nach Stuttgart fahren, steigt immer weiter. Seit dem Jahr 2005 vermeldet das Statistische Amt einen Zuwachs von rund 30 000 dieser Berufspendler. Inzwischen kommen über 60 Prozent der Beschäftigten in der Landeshauptstadt aus dem Umland. Laut einer Statistik der Bundesagentur für Arbeit aus dem Jahr 2017 sind das täglich etwa 240 000 Menschen.

 

Warum nehmen so viele die Nachteile des Pendelns in Kauf? Vier Betroffene erzählen, warum sie für ihre Arbeit täglich den Weg in die Landeshauptstadt zurücklegen und Staus und lange Bahnfahrten nicht scheuen. Gründe, die sie unter anderen angeben: horrende Mietpreise, der angespannte Wohnungsmarkt und die Lebensqualität auf dem Land.

„Die Mieten sind nicht mehr zu bezahlen“

Die Floristin Anja Müller hat 20 Jahre lang in Stuttgart gewohnt, bevor sie nach Leinfelden-Echterdingen umgezogen ist. Die hohen Mietpreise waren einer der Gründe, warum sie und ihr Mann schließlich ins Umland gezogen sind.

„Ich habe 20 Jahre in Stuttgart-Degerloch gewohnt, bis ich vor Kurzem mit meinem Mann nach Leinfelden-Echterdingen rausgezogen bin. Wir wollten aber in der Nähe unseres Sohnes und unserer zwei Enkelkinder sein, sie wohnen in Filderstadt. Man kann sich besser gegenseitig unterstützen, wenn man näher beisammen ist.

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Ich habe gerne in Degerloch gewohnt, aber die Mieten sind in Stuttgart inzwischen nicht mehr zu bezahlen. Der Preis war auf jeden Fall ein Grund, warum wir umgezogen sind. Mit einem Floristengehalt ist das auf Dauer einfach nicht zu finanzieren. Jetzt wohnen wir in einer kleineren und günstigeren Mietwohnung, die haben wir auch mit Bedacht auf das Alter so gewählt. Leinfelden-Echterdingen ist natürlich ländlicher strukturiert, und die Menschen sind dort viel verbindlicher. In der City ist dagegen alles viel anonymer. Für den Weg zur Arbeit fahre ich 15 Kilometer. Wenn es gut läuft, brauche ich dafür 20 Minuten, es kann aber auch bis zu eine Stunde dauern. Als ich noch in Degerloch gewohnt habe, bin ich natürlich genauso im Stau gestanden, dann eben in Möhringen.

Wir hatten damals Glück, zeitnah eine bezahlbare und schöne Wohnung in Leinfelden zu finden, aber das ging nur durch Kontakte. Ohne ist es längst auch auf den Fildern schwierig, eine Wohnung zu finden. Ich denke das Problem gibt es im ganzen Ballungsgebiet Stuttgart, da nehmen sich die Mieten nicht so viel. Aber hier gefällt es mir jetzt richtig gut.“

„Keine andere Stadt schreckt mich mehr ab“

Nachdem die Erzieherin Tina Zekan ihre Arbeitsstelle in Stuttgart-Möhringen angenommen hatte, suchte sie etwa ein halbes Jahr nach einer Wohnung. Eine bezahlbare Bleibe fand sie dennoch nicht. Jetzt nimmt sie jeden Tag eine lange Fahrt auf sich.

„Ich komme aus dem Enzkreis, etwa 40 Kilometer entfernt von hier. Als ich vor vier Jahren im Kinderhaus Pressekiste anfing, habe ich überlegt, nach Stuttgart zu ziehen. Insgesamt habe ich etwa ein halbes Jahr nach einer Wohnung gesucht. Aber es war alles zu teuer, auch die Kautionsvorstellungen. Durch Kollegen habe ich mitbekommen, wie schwer es ist, hier eine Wohnung zu finden. Das ist ja wie ein Lottogewinn. Aber dann habe ich gesehen, wie hektisch es hier ist, wie es im Stadtverkehr zugeht. Wenn ich nach Stuttgart reinfahre, bekomme ich manchmal fast einen Herzkasper. Keine andere Stadt schreckt mich mehr ab beim Autofahren. Ich bin in Zagreb in Kroatien geboren und als Baby nach Deutschland gekommen, direkt in den Enzkreis. Ich habe einige Jahre in Aachen gelebt, mit 21 bin ich dorthin gezogen. Wenn man jung ist, zieht es einen eben in die Großstadt.

Morgens bringe ich meinen Sohn in der Nähe meines Arbeitsplatzes in die Kita. Für die sieben Kilometer von der Kita meines Sohnes zum Pressehaus brauche ich an guten Tagen etwa 20 Minuten. An schlechten Tagen, wenn Stau ist, kann es zwischen 30 Minuten und einer Stunde dauern. Das passiert allerdings nicht so oft, etwa alle drei Wochen. Bis zur Arbeit brauche ich von zu Hause in der Regel etwa eine Stunde und 15 Minuten.

Hier habe ich einen tollen Arbeitgeber, dafür lohnt sich die Fahrt. Dennoch: Ich möchte an meinem jetzigen Wohnort bleiben, weil es da so schön ruhig ist. Ich wohne dort mit meinem Sohn und meinem Partner in einer Vier-Zimmer-Wohnung. Da können die Kinder raus, ohne dass ich Angst haben muss. Man kennt die Nachbarn und sagt sich Hallo. Es ist nicht so anonym wie in Stuttgart.“

„Das wollte ich meinen Kindern nicht zumuten“

Für seinen Job als Pressesprecher bei der Stuttgarter Polizei fährt Stephan Widmann jeden Tag 60 Kilometer mit der Bahn. Früher wohnte er in Degerloch und in Wangen. Als seine Kinder geboren wurden, zog es ihn aufs Land.

„Von meinem Wohnort Fichtenberg zur Arbeit nach Stuttgart sind es 60 Kilometer. Ich fahre mit dem Zug zum Bahnhof in Bad Cannstatt und von dort noch einmal mit der S-Bahn zum Polizeipräsidium. Die reine Fahrtzeit beträgt etwa eine knappe Stunde, dann kommt noch die S-Bahn-Fahrt. Wenn ich Frühdienst habe, gehe ich um 5 Uhr aus dem Haus und bin um 6.15 Uhr hier im Büro. Es kommt schon öfter vor, dass ein Zug ausfällt oder zu spät kommt.

Ich habe mehrere Jahre in Stuttgart gewohnt, aber ich wollte es meinen Kindern nicht zumuten, dort aufzuwachsen. Deswegen nehme ich das alles in Kauf. Damals habe ich in Wangen und in Degerloch gewohnt, das war natürlich auch eine schöne Zeit. Aber da war ich jung und hatte noch keine Kinder. Mit Familie sieht das jetzt anders aus. Mit dem Geld, von dem ich in Fichtenberg in einem Haus wohne, könnte ich mir in Stuttgart vielleicht eine kleine Wohnung leisten. Auf dem Land ist es natürlich viel billiger zu bauen. Ich komme immer gerne nach Hause, da kann ich den Trubel hinter mir lassen und habe auch Abstand von der Arbeit und der Stadt.

Nach meiner Ausbildung hatte ich mich bewusst für Stuttgart entschieden und bin nun seit 1992 hier. Ich habe schon häufiger überlegt, ob ich nicht näher an meinem Heimatort arbeiten möchte, vor allem in den letzten Jahren. Aber hier kenne ich meine Arbeit, ich kenne die Leute und sie kennen mich. Wenn ich wechseln würde, müsste ich irgendwo ganz von Neuem anfangen. Deshalb ist das Thema inzwischen für mich abgehakt.“

„Da würde mein volles Gehalt draufgehen“

Kurz nach ihrer Ausbildung zur Hebamme zog Lisa Wild in ein Wohnheim, direkt am Marienhospital im Stuttgarter Süden. Aber in der Innenstadt fühlte sie sich eingeengt. Und eine größere und bezahlbare Wohnung fand sie nicht.

„Ich komme aus Waldenbuch-Glashütte, das liegt etwa 23 Kilometer von Stuttgart entfernt, im Kreis Böblingen. Ich fahre mit dem Auto zur Arbeit, weil ich als Hebamme im Schichtdienst tätig bin. Mit dem Zug würde ich eineinhalb Stunden brauchen, und nachts würde ich dort gar nicht mehr hinkommen. Deshalb stand es gar nicht zur Debatte, mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren. Der Schichtdienst hat einen großen Vorteil: Ich stecke nicht im Berufsverkehr. Ich fahre ungefähr 20 bis 30 Minuten mit dem Auto. Die Fahrzeit kann ich gut in Kauf nehmen, sonst würde ich das wahrscheinlich nicht machen.

Ich habe schon überlegt, nach Stuttgart zu ziehen. Denn bei meiner Arbeit fühle ich mich wirklich sehr wohl. Aber bei meinen Ansprüchen kann ich mir das nicht leisten. Ich hätte gerne eine Wohnung mit mindestens zwei Zimmern und Balkon. Da würde mein volles Gehalt für die Wohnung draufgehen. Die Preise sind sehr hoch, man findet nichts Bezahlbares.

Nachdem ich meine Ausbildung in Würzburg beendet hatte, bin ich direkt nach Stuttgart gezogen. Ich habe in einem Wohnheim in einem kleinen Zimmerchen gelebt, direkt beim Marienhospital. Das war aber auf Dauer zu beengend, da waren schon zwei Jahre zu lang. Ich hatte nur 20 Quadratmeter. Außerdem brauche ich es, einfach raus in die Natur gehen zu können. Der Wald und die Ruhe haben mir sehr gefehlt. Der viele Verkehr, man findet keinen Parkplatz, auch als Anwohner nicht – aber das sind ja die bekannten Probleme in Stuttgart. Das hat mich persönlich zu stark eingeschränkt.“