Wohnen in Deutschland Wie viel Platz braucht der Mensch?

Sein Glück kann man schon auf wenigen Quadratmetern finden. Foto: imago/Cavan Images

Die Wohnfläche pro Kopf ist hierzulande stark gestiegen. Dabei macht viel Raum nicht unbedingt glücklicher – und je mehr Baumaterial verbraucht und Fläche versiegelt wird, desto schlechter fürs Klima. Es gibt Versuche gegenzusteuern.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Thea Bracht (tab)

Stuttgart. - Weniger versiegelte Fläche, mehr Klimaschutz, niedrigere Kosten fürs Bauen und die Instandhaltung: Es gibt zahlreiche Gründe, beim Thema Wohnen den Flächenverbrauch zu überdenken. Aber wie viel Platz benötigt der Einzelne?

 

1960 lebte ein Bundesbürger im Schnitt auf 19,4 Quadratmetern Wohnfläche, 60 Jahre später sind es mehr als 47, wobei Alleinerziehende, Armutsgefährdete und Menschen mit Migrationshintergrund häufig auf engerem Raum leben, während Senioren, Wohneigentümer und Landbewohner tendenziell mehr Fläche zur Verfügung haben. Angesichts der Klimakrise seien die durchschnittlich gut 47 Quadratmeter pro Kopf einfach zu viel, sagen Experten.

Wohnen bedeutet Arbeit

Christine Hannemann von der Uni Stuttgart, die den bundesweit einzigen Lehrstuhl für Wohnsoziologie innehat, formulierte es gegenüber dem „Spiegel“ besonders deutlich: „Ich würde 25 Quadratmeter für angemessen halten.“ Trotzdem würden Einfamilienhäuser durch Baukindergeld, Pendlerpauschale und andere Steuervorteile gefördert wie keine andere Wohnform. Das sei „ökologischer Wahnsinn und auch sozial fragwürdig“. Man dürfe zudem nicht vergessen, wie viel Arbeit Wohnen bedeute. Teils selten genutzte Räume müssen geputzt und geheizt werden.

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Aber wie schwierig es ist, Menschen zum Umdenken und vor allem zum Umziehen zu bewegen, zeigt das Beispiel Marbach: Die Umzugsprämie in Höhe von 2500 Euro für Senioren, die in kleinere Immobilien ziehen und so Platz schaffen für junge Familien, erwies sich als Flop und wurde schnell wieder abgeschafft. In Freiburg ist im Juni eine Wohnungstauschbörse online gegangen, damit vorhandener Wohnraum effizienter genutzt wird. Anreiz dafür, in eine kleinere Immobilie zu ziehen, soll auch hier eine Umzugskostenpauschale in Höhe von 2000 Euro sein. Im Moment gibt es etwa 370 aktive Anzeigen, getauscht wurde bisher nur zweimal, einmal hat die Stadt die Pauschale gezahlt.

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Die Deutschen hängen an ihrem Zuhause, oft ist ein Umzug teuer und die neue Bleibe – egal ob zur Miete oder als Eigentum – angesichts der steigenden Preise ebenfalls. Dabei hängt die Wohnqualität nicht unbedingt von der Quadratmeterzahl ab. Damit Enge nicht krank macht, ist es wichtig, dass der Einzelne ausreichend privaten Rückzugsraum hat und sich in seinem Umfeld wohlfühlt. Moderne Baugenossenschaften zeigen, wie das gehen kann. Ihr Credo: Warum ein großes Esszimmer vorhalten, das nur selten genutzt wird? Die Schweizer Genossenschaft „Mehr als wohnen“ zeigt Alternativen auf: Da können bei Bedarf Räume zugemietet werden, und Besuchern steht ein Gästehaus zur Verfügung. In Hunziker Areal, einem Projekt der Baugenossenschaft in Zürich, beträgt die Wohnfläche pro Person nur 31,7 Quadratmeter pro Person.

Ein weiteres Trendthema, wenn auch eher noch eine Nischenwohnform: Tiny Houses. Der Tiny-House-Verband, gegründet im Oktober 2019, verzeichnet zunehmendes Interesse an den mobilen Minihäuschen mit etwa 15 bis 50 Quadratmetern Grundfläche. Jährlich werden demnach mehr als 500 Tiny Houses gebaut. Die Vorteile: Sie sind im Handumdrehen aufgebaut. Die Kosten sind meist gering – auch im Unterhalt.

Auch kleine Grundstücke sind rar

Obwohl schon kleine Grundstück reichen, gestaltet sich die Suche danach schwierig. Zudem unterliegen Tiny Houses dem normalen Baurecht. In Tübingen hat Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) im Sommer 2020 per Brief bei Eigentümern von Grundstücken dafür geworben, auf Pachtbasis Flächen für die Häuschen bereitzustellen; der eigens gegründete Verein „Mut zur Lücke“ vermittelt zwischen Verpächtern und Pächtern. Anfragen gibt es genug. Nur: „Es ist leider so, dass sich in Tübingen bisher keine Baulückenbesitzer gefunden haben, die bereit wären ein Grundstück für ein Tiny House zu verpachten“, bedauert der Verein.

In Schorndorf (Rems-Murr-Kreis) ist man schon einen Schritt weiter. Dort werden zunächst fünf Bauparzellen mit Kleinst-Domizilen bebaut. Die Nachfrage nach den städtischen Flächen, die für 200 bis 240 Euro Pacht im Monat zu haben sind, war enorm. Allerdings währt der große Traum vom winzigen Eigenheim nicht ewig: Die Stadt verpachtet die Parzellen für etwa zehn Jahre. Wie es danach weitergeht, ist unklar.

„So eine Zwischennutzung wäre nichts für mich“, sagt die Steinheimerin Angelika Bieber vom Verein Tiny Houses Region Stuttgart. Sie sucht einen Platz für immer und möchte eine Tiny-House-Siedlung gründen, in der man sich einige Räume und die Waschmaschine teilt. Für die 62-Jährige ist die Reduktion eine Art Lebensphilosophie. Sie möchte in einer Gemeinschaft leben – und doch eigene vier Wände haben, möglichst in nachhaltiger Bauweise. 150 Kommunen hat der Verein bereits angeschrieben, noch ist kein Platz für ein solches Dorf im Kleinformat gefunden. Zwar können von solchen Initiativen positive Impulse ausgehen – etwa was optimierte Grundrisse und die Verwendung nachhaltiger Baumaterialien anbelangt, sagen Experten. Aber auch das kleinste Haus braucht eben Platz – und darum konkurrieren in einem Ballungsraum wie Stuttgart einfach zu viele.

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