Die Bewohner des „Revier 5“ wollte eigentlich ihr Haus über das Mietshäuser Syndikat erwerben – um dort langfristig günstige Mieten zu sichern. Der Besitzer hat den zehn Bewohnern aber nun zum Jahresende gekündigt.

Psychologie/Partnerschaft: Nina Ayerle (nay)

Stuttgart - Die Stimmung der Bewohner des Hauses in der Böheimstraße 59 ist gedrückt: Sarah (28), Basti (33) und Natascha (29) und sieben andere junge Leute wohnen seit mehreren Jahren in dem Haus mit dem Namen Revier 5. Doch bald nicht mehr. Ende des Jahres müssen alle zehn Bewohner der Hausgemeinschaft ausziehen. Der Verwalter ihres Hauses hat ihnen im Frühsommer die Kündigung geschickt. Dabei verfolgen sie eigentlich schon seit mehreren Jahren den Plan, das Haus selbst zu kaufen, um unabhängig zu sein. Sie haben nur auf die finale Zustimmung des Besitzers der Immobilie gewartet. „Die Zusage für einen Bankkredit hatten wir sogar schon mal“, berichtet Sarah. Das sei vor knapp drei Jahren gewesen. Doch der Besitzer wollte das Haus wohl aus steuerlichen Gründen erst nach zehn Jahren verkaufen – also in 2019.

 

Die Gruppe war von der Kündigung überrascht

Zunächst habe man versucht, sich gegen die Kündigung zu wehren. Mit dem Mieterverein Stuttgart waren sie entsprechend im Gespräch. „Aber unsere Hauptmieterin hat nur einen Untermietvertrag mit dem Verwalter“, sagt Basti, der seit mehr als drei Jahren in dem Haus wohnt. Alle anderen Bewohner seien wiederum Untermieter der Hauptmieterin. „Da haben wir schlechte Karten, wenn wir dagegen vorgehen wollen.“

Das Gebäude in der Böheimstraße 59 war ursprünglich ein Pfarrhaus, dann ein Polizeirevier, schließlich ein Frauenwohnheim. Vor zehn Jahren zog die WG dort ein, einige der ursprünglichen Bewohner leben bis heute dort.

Damals war es nicht schwer, den einstigen Verwalter von der WG-Idee zu überzeugen. Schlicht, weil der denkmalgeschützte Historismusbau von 1904 mit zehn separaten Zimmern und einem Bad je Stockwerk vor allem für gemeinschaftliches Wohnen taugt. In bestem Zustand sei das Gebäude schon damals nicht gewesen, sagen die Bewohner. Inzwischen bröckele die denkmalgeschützte Fassade, hier und da falle mal ein Stein aus der Mauer. Das Haus falle eher in die Kategorie „schwer vermittelbar“.

Das Haus ist in einem schlechten Zustand

Zudem ist das Haus denkmalgeschützt, ein Abriss ist also kaum möglich, eine Sanierung wohl sehr teuer. In der Liste des Landesdenkmalamts Baden-Württemberg werden für den Schutzstatus des Gebäudes architektonische und (handwerklich-)künstlerische Gründe genannt. Hinzu komme seine heimatgeschichtliche Bedeutung als ehemaliges Pfarrhaus, teilt die Untere Denkmalbehörde auf Nachfrage mit. Allerdings kann der Denkmalschutz eines Objektes manchmal aufgehoben werden. „Objekte, die in der Liste enthalten sind, können auch aus der Liste genommen werden. Das passiert zum Beispiel, wenn sie sehr starke Veränderungen erfahren haben“, teilt die Behörde auf Nachfrage mit.

Inzwischen gibt es nun einen Interessenten für das Haus, sagt der Verwalter. Weiter möchte er sich zu dem Haus und der Kündigung nicht äußern, namentlich genannt werden will er ebenfalls nicht. Er selbst sei ja auch nur Mieter gewesen, habe sich im Auftrag des Besitzers um das Objekt gekümmert. Er habe sich aber für die Bewohner eingesetzt, teilt er mit. Der Besitzer war für eine Auskunft zu der Immobilie nicht zu erreichen.

Anfang des Jahres hat die Wohngemeinschaft ihr Kaufinteresse noch einmal bekräftigt, sagt die Bewohnerin Sarah. Aber man habe darauf nie eine Antwort erhalten. Im Frühjahr habe der Besitzer dann zwei Gutachter beauftragt, die den Zustand des Gebäudes überprüfen sollten. Kurz darauf habe ein Architekt vor der Tür gestanden, der als Berater engagiert worden sei. Der teilte ihnen aber auch mit, er könne sich vorstellen, das Haus zu kaufen – für den Preis von einer Million Euro. Mit dem Betrag hätten die Bewohner kaum mithalten können, sagen sie.

Trotzdem fühlen sie sich ausgebootet. „Wir hatten ja schon mal eine mündliche Zusage von dem Besitzer für einen Kauf“, sagt Sarah. Direkt in Kontakt gestanden sind sie mit ihm zwar nie, aber der Verwalter hätte dies so kommuniziert. 750 000 Euro sei der damals ausgemachte Kaufpreis gewesen. „Das hätten wir gerade noch stemmen können“, sagt Sarah.

Die WG hat es schwer, eine Alternative zu finden

Um zu verhindern, dass das Haus auf den freien Markt gelangt, schloss sich die WG dem Mietshäuser Syndikat an. Dabei handelt es sich um eine Beteiligungsgesellschaft für Gemeinschaftswohnprojekte. Zunächst mussten die Stuttgarter einen Verein gründen: Sie nannten ihn Revier 5. Die Bewohner sehen sich nicht nur als Wohngemeinschaft, sondern auch als politisches und kulturelles Projekt. So finden in dem alten Haus Lesungen, Konzerte, Partys und Vorträge statt.

Über das Syndikat wollten die Bewohner das Objekt dem Markt entziehen

Das Mietshäuser Syndikat ist aus der Freiburger Hausbesetzer-Szene entstanden. Es geht darum, Häuser langfristig zu sichern und ihren Charakter als Wohnprojekte zu erhalten, samt Selbstverwaltung und bezahlbarer Mieten. Sollten spätere Bewohner doch auf die Idee kommen, das Haus zu veräußern, kann dies das Mietshäuser Syndikat mit einem Vetorecht verhindern.

Inzwischen gibt es einen anderen Interessenten für die Böheimstraße 59

Doch daraus wird wohl nichts – außer die Bewohner finden ein anderes Objekt. Inzwischen seien sie „mit Hochdruck“ auf der Suche, sagt Sarah. „Wir hätten schon Lust, wieder für uns alle etwas zu finden.“ Das dies in der Stuttgarter Innenstadt schwierig ist, ist ihnen klar. Zwar habe der Verwalter ihnen ein Objekt in einem Stuttgarter Außenbezirk angeboten, aber das kam aus verschiedenen Gründen nicht in Frage. „Wir arbeiten und studieren alle in der Stadt“, ergänzt Sarahs Mitbewohnerin Natascha. „Jetzt lernen wir halt mal wieder den Stuttgarter Wohnungsmarkt kennen“, sagt sie und seufzt. Sarah ergänzt: „Für uns ist das sehr traurig.“