In der Rettungszufahrt zum Fildertunnel wird Gestein gesprengt. Die Folge: Staubwolken im Wohngebiet Kernerviertel. Die Bahn verstärkt die Schutzmaßnahmen, laut Anwohnern gibt es aber keine Besserung.

Stuttgart - Die Bahn hat neuen Ärger mit der S-21-Baustelle in der Stadtmitte am Gebhard-Müller-Platz. Dort gräbt sie neben dem Wagenburgtunnel an einer großen Zugangs- und Rettungszufahrt für ein komplexes Tunnelbauerwerk. In diesem Bereich verzweigen sich die Einfahrt- und Ausfahrtgleise des künftigen Tiefbahnhofs in Richtung Neckartal und Filder. Die im Netzwerk Kernerviertel zusammengeschlossenen Anwohner, die schon dem Lärm von der Baustelle für den neuen Bahnhof ausgesetzt sind, beklagen sich nun auch über eine zunehmende Staubbelastung. Die Bahn betont, dass sich die Staubentwicklung in den erlaubten Grenzen bewege und sie vieles unternehme, um die Emissionen zu reduzieren.

 

Frank Schweizer, der Vorsitzende des Netzwerks Kernerviertel, ist unter die Kameramänner gegangen. Immer wenn die Wetterlage bei Sonne und Gegenlicht die Staubpartikel rund um den Wagenburgtunnel besonders gut sichtbar machen, drückt er auf den Auslöser – und fertig ist ein Video, das zeigt, wie Staubschwaden über den Gebhard-Müller-Platz in Richtung des Wohngebiets Kernerviertel ziehen. „Seit mehreren Monaten belästigen die Staubwolken die Anwohner“, sagt Schweizer. Dieser Umstand und die Tatenlosigkeit der vom Netzwerk eingeschalteten Behörden wie Stadt Stuttgart und Eisenbahn-Bundesamt „ist aus Sicht der betroffenen Anwohner nicht hinnehmbar.“

Bahn verweist auf Gegenmaßnahmen

Dass es generell Staubwolken von der Baustelle gibt, streitet ein Sprecher der S-21-Projektgesellschaft nicht ab. Wenn das Gestein im Tunnel gesprengt werde, entstünden zwangsläufig Staub und Sprengschwaden. Allerdings könne nicht von erhöhten Werten gesprochen werden. Der Grenzwert beim Staub beträgt im Jahresmittel 350 Milligramm pro Quadratmeter und Tag. „An den Messstellen rund um die Baustelle wurden deutlich niedrigere Werte gemessen“, sagt ein S-21-Sprecher (siehe Grafik und Tabelle). So liege die Belastung am Königin-Katharinen-Stift knapp über 100 Milligramm, an der Ecke Urban-/Sängerstraße, also mitten im Wohnviertel, sogar nur bei 75 Milligramm.

Zwar räumt der S-21-Sprecher ein, dass sich diese Werte auf den Zeitraum von Juni 2015 bis Mai 2016 bezögen, aber „die aktuellen Messergebnisse befinden sich in der gleichen Größenordnung“, sagt er. Insofern werde den Vorschriften des Planfeststellungsbeschlusses Rechnung getragen. Zusätzliche Auflagen des Eisenbahn-Bundesamts und der Stadt gebe es nicht.

Bemerkenswert freilich ist nicht nur, dass „der Immissionswert an allen Messpunkten in Baustellennähe S 21 eingehalten ist“, wie der S-21-Immissionschutzbeauftragte Achim Lohmeyer in seinem Bericht herausstellt, sondern auch, dass an dem von der Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz betriebenen Messpunkt am Neckartor der Wert mit 358 Milligramm knapp überschritten wurde – die Feinstaubproblematik an „Deutschland schmutzigster Kreuzung“ lässt grüßen.

Ursache für die Staubentwicklung sind in erster Linie die Sprengungen, bei denen im übrigen auch geringe Mengen von Ammoniak entstehen können – ein Geruch, der laut Schweizer immer wieder auftritt. Der Staub entsteht, wenn das Gestein weggesprengt und durch die Druckwelle aufgewirbelt wird. Normalerweise wird der er mit Wasser gebunden, doch das verbietet sich in diesem Bereich. Denn dort gibt es Anhydrit, und diese Gipskeuperschicht darf nicht in Berührung mit Wasser kommen, da sie sonst aufquillt.

Die Bahn verweist darauf, dass sie ein vom Eisenbahn-Bundesamt im Rahmen der Planfeststellung genehmigtes Staubschutzkonzept habe und dies umsetze. Zudem ergreife sie „zahlreiche Maßnahmen, um die Staubemissionen gering zu halten“. So würde der bei der Bohrung der Sprenglöcher entstehende Staub abgesaugt und diese Luft gefiltert. Außerdem würden die Fahrwege feucht gehalten. Und über Düsen werde im Zwischenlager und an den Stellen, wo das Gestein verladen werde, Wasser verteilt. Auch würde die Lüftung optimiert, damit sich der Staub absetzen könne, und es seien Wassernebelschleier überall dort eingesetzt, wo dies außerhalb des Anhydrits möglich sei. Unter dem Hallendach vor der Rettungszufahrt wurden Ventilatoren installiert, die die Staubwolken weg vom Tunnelmund zu blasen. Ziel sei, „die Emissionen erst möglichst weit entfernt vom Bereich des Tunnels in die Atmosphäre freizusetzen“, so der S-21-Sprecher.

Anwohner kritisieren Tatenlosigkeit

Frank Schweizer streitet nicht ab, dass die Bahn viel versucht – zumal ihm die städtische S-21-Bürgerbeauftragte Alice Kaiser darüber informierte. Allein: Schweizer zweifelt an der Wirksamkeit der Maßnahmen. „Auch nachdem Frau Kaiser in einem Brief die Maßnahmen anführte, strömen Staubwolken aus dem Tunnel“, sagt Schweizer, der dies Mitte August auch erneut dokumentierte. Aber an sonnigen Tagen genügt auch schon ein Blick um festzustellen, dass an der Stelle viel Staub freigesetzt wird. Schweizer jedenfalls wundert sich, dass die installierte Messtechnik die deutlich sichtbaren Staubwolken nicht erfasse. „Die gemessenen Werte stellen die Realität nicht dar“, sagt er, „sie können schon gar nicht zur Beruhigung der betroffenen Bevölkerung dienen.“ Er weist darauf hin, dass die Bahn nicht nur ein Staubschutzkonzept vorlegen müsse, sondern laut Planfeststellungsbeschluss auch verpflichtet sei, „das Konzept bauzeitbegleitend dem Baufortschritt anzupassen und auf seine Wirksamkeit hin zu überwachen“. Die Projektgesellschaft könne sich nicht nur auf das Baurecht pochen und „häufig wichtige Auflagen nicht erfüllen“. Dass das EBA nicht eingreife und sogar von „freiwilligen Leistungen“ der Projektgesellschaft rede, „das ist aus Sicht der betroffenen Anwohner nicht hinnehmbar“.

Zumal die Staubwolken, die die Anwohner schon seit vielen Wochen belästigen, sich nicht verziehen werden wie andere Wolken. „Die Staubbelastung wird noch für einige Monate bestehen bleiben“, teilt der S-21-Sprecher mit.