Die Staatsanwaltschaft Stuttgart ermittelt gegen den Wohnmobilhersteller aus Bad Waldsee wegen Betrugsverdachts. Fahrzeuge könnten der 3,5-Tonnen-Klasse zugeordnet worden sein, obwohl sie schwerer sind.

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Bad Waldsee/Stuttgart - Die Staatsanwälte und Polizeibeamten aus Stuttgart sind am Mittwoch vor der Zentrale des Caravan-Herstellers Hymer in Bad Waldsee (Kreis Ravensburg) aufgefahren. Ihr Ziel: Büros und Fabrikhallen. Die „Schwäbische Zeitung“ zitierte später Anwohner, die gesehen haben wollen, wie unter anderem Material zum Fahrzeugbau beschlagnahmt wurde. Am Donnerstag bestätigte die Staatsanwaltschaft Stuttgart die Razzia. Die Behörde, die oft bei großen Wirtschaftsdelikten übernimmt, führt laut einer Sprecherin ein Ermittlungsverfahren „gegen Mitarbeiter der Erwin Hymer Group SE wegen des Verdachts des Betrugs und der strafbaren Werbung im Zusammenhang mit Gewichtsangaben bei dem Verkauf von Wohnmobilen“. Noch weitere Objekte in Baden-Württemberg seien am Mittwoch mit Hilfe von Spezialisten des Landeskriminalamts durchsucht worden. Mehr Information gibt es nicht.

 

Die Hymer-Gruppe ist 2019 vom US-Hersteller Thor Industries übernommen worden und hat weitere Standorte im Südwesten. Zur Hymer-Gruppe gehören die Reisemobil- und Caravanmarken Bürstner, Dethleffs und Hymer. Eine Firmensprecherin bestätigte am Donnerstag schriftlich, dass das Unternehmen mit dem „Vorwurf von Gewichtsabweichungen bei Wohnmobilen“ konfrontiert sei. Weitergehende Fragen beantwortete Hymer nicht.

Die 3,5-Tonnen-Grenze plagt viele Hersteller

Wenn ein Betrug mit Gewichtsangaben vorliegen sollte, mutmaßen nun Branchenkenner, dann rund um Modelle in der Klasse bis 3,5 Tonnen. Sie machen markenübergreifend bundesweit einen Anteil von rund 80 Prozent aus. Auch ein hoher Anteil der Modellpalette bei Hymer ist exakt an die 3,5-Tonnen-Grenze herangeschnitten. Tatsächlich sind die Autos nochmals mehrere Hundert Kilogramm leichter, denn die maximale Zuladung wird eingerechnet.

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Die Erklärung ist einfach: Diese Wohnmobile dürfen mit jedem Führerschein der Klasse B gefahren werden. Schwerere Fahrzeuge erfordern einen Lkw-Führerschein. Nur alte Führerscheine der abgelösten Klasse 3 berechtigen noch zum Fahren von Fahrzeugen bis 7,5 Tonnen. Die Gesetzeshürde macht es Herstellern schwer, ihre leichteren Wohnmobile mit Luxusausstattung vollzupacken.

Die Gewichtsgrenze sei schon immer ein Grundproblem der Branche, sagt beispielsweise der Caravan-Gutachter Reinhold Audorf aus Fochbek in Schleswig-Holstein. Nutzer auf Urlaubsreise „packen ein ohne Ende, bis das Ding immer überladen ist“. Stoppt die Verkehrspolizei solche überladenen Wohnmobile, ist der Fahrer haftbar. Die Strafen sind deftig. Dass zusätzlich das im Fahrzeugschein eingetragene Leergewicht von Wohnmobilen per Waage überprüft wird, ist höchst unwahrscheinlich.

Die Branche boomt in Coronazeiten

Hat Hymer Fahrzeuge mit falschen Gewichtsangaben beworben und verkauft? Kaum vorstellbar, dass so etwas auf niederer Entscheidungsebene hätte geschehen können. Unbeantwortet ist die Frage, ob zu den Einzelpersonen, gegen die die Staatsanwaltschaft ermittelt, auch Hermann Pfaff gehört. Er ist Geschäftsführer der Hymer Business Development GmbH und zugleich Präsident des Caravan-Industrieverbandes (CIVD). In dieser Funktion vermeldete Pfaff jüngst Rekordzahlen für die Branche: 2021 konnten 130 666 Freizeitfahrzeuge von Deutschland ausgeliefert werden, so viele wie nie zuvor. Der Durchschnittspreis lag bei 77500 Euro. Hätte es nicht Lieferkettenprobleme gegeben, so der Manager aus Bad Waldsee, wäre der Rekord noch deutlicher ausgefallen.

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Unter Pfaffs Führung lobbyiert der Verband längst kräftig in Sachen Führerscheinberechtigung. Im Namen der Mitglieder forderte beispielsweise im vergangenen Oktober der CIVD-Geschäftsführer Daniel Onggowinarso in der Zeitung „Welt am Sonntag“ eine Reform des europäischen Führerscheinrechts. „Wir stellen uns vor, dass der Klasse-B-Führerschein erweitert werden könnte, beispielsweise für Reisemobile bis 4,25 Tonnen.“ Wegen der steigenden Ansprüche an Komfort und Sicherheit, aber auch wegen des vermehrten Einsatzes schwerer Akkupacks für E-Antriebe sei „die 3,5-Tonnen-Grenze nicht mehr zu halten“.

Ermittlungen wohl erst am Anfang

Wie lange die Auswertung der beschlagnahmten Daten und Materialien aus Bad Waldsee dauern wird, dazu gibt die Staatsanwaltschaft keine Prognose. Die Hymer-Sprecherin kündigt an, das Unternehmen werde „im Sinne der vollständigen Klärung mit den Behörden kooperieren“.

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