Nürtingen ist die Keimzelle für ein neues solidarisches Wohnprojekt. Es sollen Begegnungsräume entstehen, dabei aber soll die Privatsphäre gewahrt bleiben. Jeder bringt sich nach seinen Fähigkeiten ein. Weitere Mitstreiter sind willkommen.

Nürtingen - Renate Spiegel hat schon verschiedene Wohnformen kennengelernt. Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre lebte sie in einer für die damalige Zeit typischen Wohngemeinschaft. Anschließend wohnte sie alleine, dann mit ihrer Familie im Eigenheim. Nach der Trennung von ihrem Mann wurde das Haus verkauft, das Renate Spiegel eher als eine Bürde empfunden hatte. Und jetzt will die Frau, die in Nürtingen in einem Singlehaushalt wohnt, gemeinsam mit Gleichgesinnten ein neues gemeinschaftliches Wohnprojekt verwirklichen.

 

Gemeinsam wohnen ist umweltfreundlicher

„Ich habe einen zu großen ökologischen Fußabdruck, das hat mir schon immer Bauchschmerzen bereitet“, sagt Renate Spiegel über ihre Mietwohnung, die ihr im Grunde zu geräumig ist. Das ökologische Gewissen ist aber nicht der einzige Grund, weshalb sich die 60-Jährige nun mit anderen zusammengetan hat, um eine neue Art des selbstbestimmten Wohnens anzustreben.

„Miteinander leben und wohnen. Ein Lebensprojekt mit Gleichgesinnten jeden Alters, das ein Wohnen in eigenen Räumen sowie gemeinschaftliche Begegnungs- und Werkräume bietet – eine Vision, die du teilst?“ Diese Zeitungsannonce hat Renate Spiegel im Januar 2018 veröffentlicht.

Auf eine Annonce meldet sich ein Dutzend Interessierter

Zu einem ersten Gedankenaustausch fand sich rund ein Dutzend Interessierter ein – die meisten Singles, aber auch drei Paare, alle im Alter zwischen 55 und 65 Jahren. Zu den Leitlinien des Wohnprojekts – das immer noch den Arbeitstitel „WoPro“ trägt – gehört ein achtsamer, wertschätzender Umgang miteinander. Es soll individuell genutzten eigenen Wohnraum geben, um Rückzugsorte und Regenerationsmöglichkeiten zu schaffen. Parallel dazu sind gemeinsame Nutz- und Wirtschaftsräume sowie Grünanlagen ein zentraler Bestandteil des Wohnprojekts.

Ein Café soll zu einem besonderen Begegnungsort werden

Für Geräte und Maschinen ist eine gemeinschaftliche Nutzung vorgesehen – das spart Ressourcen. Jeder bringt sich nach seinen individuellen Fähigkeiten ein. Es geht auch darum, dass sich die Bewohner gegenseitig helfen und stützen. „Im Prinzip läuft das auf ein solidarisches Wohnen hinaus“, erläutert Renate Spiegel. Die Entwicklung einer „projektierten Lebensgemeinschaft“ biete die Chance, „aneinander zu wachsen“, ist die Nürtingerin überzeugt, die als Fachlehrerin im sonderpädagogischen Bereich arbeitet. Längerfristig schwebt Renate Spiegel etwa der gemeinschaftliche Betrieb eines Cafés mit künstlerischen und kulturellen Angeboten vor, das sich von anderen Cafés abhebt.

Projekt soll Signalwirkung für die Öffentlichkeit haben

Nachhaltigkeit ist ebenfalls eine tragende Säule im Konzept von „WoPro“. Dem Geist der Internationalen Bauausstellung (IBA) folgend soll eine Form des zukunftsfähigen Wohnens realisiert werden. Von ihrer Initiative erhofft sich die Gruppe um Renate Spiegel auch eine Signalwirkung für die Gesellschaft. Denn Beispiele von gemeinschaftlichen Projekten könnten Kommunen aufzeigen, welche alternativen Wohnformen in einer Zeit von Wohnungsknappheit, Verarmung und hochgesetztem Rentenalter nachhaltig sein können.

Beispiele für alternative Wohnformen gibt es bereits

Bei ihrem Vorhaben findet „WoPro“ Orientierung auch bei bereits fortgeschrittenen Wohnprojekten dieser Art. In Gomadingen (Kreis Reutlingen) etwa gibt es das Mehrgenerationenprojekt am Sternberg. In einem ehemaligen Feriendorf sollen sich dort in einer Gemeinschaft Jung und Alt, Singles und Familien, Alleinerziehende und Hilfsbedürftige nachbarschaftlich unterstützen. Einen Kompass bietet auch die Kontaktbörse der Stuttgarter Plattform für selbst organisiertes gemeinschaftliches Wohnen mit entsprechenden Kursen. Auch die bundesweite Initiative Mietshäuser Syndikat ist mit ihrem Konzept eine Plattform für den Austausch von sozialen Wohnprojekten.

Wo das Projekt verwirklicht wird, ist nicht entscheidend

Zwar sind einige aus der „WoPro“-Gruppe inzwischen abgesprungen, dafür sind andere aber dazugekommen. Renate Spiegel wünscht sich, dass sich noch mehr Interessenten für die Idee begeistern und sich einklinken. In welchem Ort und mit welcher Immobilie das gemeinschaftliche Wohnprojekt verwirklicht wird, ist noch offen. „Wo es uns hin verschlägt, ist nicht entscheidend.“ Wichtig sei, dass sich die Beteiligten des Wohnprojekts am jeweiligen Standort im bürgerschaftlichen Sinne einbringen können.