In Ostfildern steht eine mehrfach ausgezeichnete Unterkunft für Flüchtlinge und Obdachlose. Die verantwortlichen Stuttgarter Architekten glauben, dass gute Gebäude bei der Integration helfen können. Klappt das?

Volontäre: Jana Gäng (jkg)

Vielleicht ist es die größte Leistung der beiden Architekten Harald Baumann und Camilo Hernandez, dass ihr Werk so unscheinbar ist. Wer die Kirchheimer Straße in Ostfildern entlang geht, der sieht Einfamilienhäuser, 70er Jahre Bauten mit dunklen Schindeln, sieht kleine Gärten. Dass hier auch Flüchtlinge und ehemals obdachlose Menschen leben, ist nicht sichtbar. Und das ist gewollt.

 

Überall in Deutschland fehlen Wohnungen für Menschen, die aus ihrer Heimat fliehen mussten - das war eine der Klagen der Kommunen auf dem Flüchtlingsgipfel von Bund, Ländern und Kommunen. Die Stuttgarter Architekten Harald Baumann vom Büro 2BA und Camilo Hernandez vom Büro urban 3 glauben, dass Neubauten für Flüchtlinge mehr sein sollten als ein Dach über dem Kopf. Dass ein gutes Gebäude etwas dafür tun kann, dass Nachbarn Flüchtlinge nebenan akzeptieren. Dass die Menschen sich darin wohlfühlen und es pfleglich behandeln. Dass es sie vielleicht sogar dabei unterstützen kann, sich zu integrieren und integriert zu werden.

Die drei Häuser sollten nicht wie eine typische Containerunterkunft aussehen

Nicht wie die typische Flüchtlingsunterkunft sollte der Entwurf von Baumann und Hernandez aussehen. Daran hatte die Stadt Ostfildern zunächst gedacht: Eine Ein-Haus-Lösung als langer Riegel sollte es werden – zunächst geplant für Obdachlose, als 2015 und 2016 mehr Menschen nach Deutschland flüchteten, zogen auch Flüchtlinge ein. Um Kosten zu sparen, sei damals immer wieder diskutiert worden, eine große Unterkunft aus vier zusammenhängenden Containern zu konstruieren, sagt Baumann. Von Baumann und Hernandez wollte der Bauherr, das städtische Tochterunternehmen SEG Ostfildern, die Genehmigungsplanung dafür. „Dieses Gebäude wäre als Fremdkörper in der Nachbarschaft herausgestochen. Jeder hätte gewusst: Hier wohnen die Obdachlosen und die Flüchtlinge. Die Menschen von vornherein so zu stigmatisieren, wollten wir verhindern“, sagt Baumann.

Harald Baumann vom Stuttgarter Büro 2BA Architekten. Foto: 2BA/ Carolin Wengert

Also schlugen sie eine maßgeschneiderte Lösung vor: Drei kleinere Wohneinheiten mit pechschwarzer Fassade, passend zu den Farben der anliegenden Häuser und Kontrastpunkt zu den weißen Fenstern und Türen. Auch die geneigten Pultdächer fügen sich in die Nachbarschaft ein. Unter ihnen ist Platz für jeweils eine Dachgeschosswohnung. Damit bieten drei Einheiten die gleiche Wohnfläche wie die ursprünglich geplanten vier – was nicht nur Kosten sparte, sondern eine große Gartenfläche zuließ. Zum Einzug pflanzten die Architekten einen Kirschbaum, 2015 war das.

Die wertige Architektur befriedete den Widerstand der Nachbarn

Heute trinken die Bewohner im Sommer hier Kaffee, sagt Jörg Berrer, der den Fachbereich Soziales der Stadt Ostfildern leitet. Die drei Gebäude rotieren um die Gartenfläche, schützen sie nach innen und dämpfen nach außen Lärm ab. Manchmal feiern sie im Garten Feste mit den Nachbarn. „Wenn die Gebäude nicht ganz so gruselig aussehen, suchen die Leute aus der Nachbarschaft eher den Kontakt. Das wollen wir, wir versuchen immer Nachbarn zu gewinnen, um zum Beispiel als Mentoren die Kinder bei den Schulaufgaben zu unterstützen“, sagt Berrer.

So reibungslos lief es nicht immer. Nachbarn gibt es zwar am Rande des Wohngebiets nur wenige, trotzdem regte sich laut Berrer Widerstand, als klar war, dass eine neue Unterkunft für Obdachlose gebaut werden würde – höher und mit mehr Platz als die heruntergekommenen Baracken, die zuvor hier standen. Auch über die sei nicht jeder glücklich gewesen, sagt Berrer: „Das war kein schöner Anblick. Es hat geholfen, als jeder sehen konnte, wie wertig die Gebäude aussehen und wie wir sie betreiben. Der Ärger ist seitdem weg.“ Ungewöhnlich sei das, sagt Berrer.

Die Unterkunft ist eine Low-Budget-Lösung

„Festle“ mit den Nachbarn, Kaffee, Kirschbaum – eine rosarote Utopie ist der Bau trotzdem nicht. „Hier leben Menschen zusammen, von denen viele ein Päckchen tragen, das ist nicht einfach“, sagt Berrer. Auch darauf reagiert der Entwurf. Indem jedes Haus drei Etagen hat statt langer Gänge wie in Containerlösungen, in denen die Bewohner im Alltag ständig aufeinandertreffen würden. Die Küchen nutzen nur zwei Bewohner gemeinsam, nicht ein ganzes Haus. Auch das vermeidet laut Berrer Ärger. Den lassen Bewohner seiner Erfahrung nach anderswo auch an den Gebäuden aus. „Wir haben uns deshalb für eine Fassade aus Bitumenwellplatten entschieden. Normales Blech ist anfälliger für Dellen“, sagt Harald Baumann.

Das Material wird oft für Landwirtschaftsgebäude eingesetzt, im Wohnungsbau ist es ungewöhnlich - hat aber einen zweiten Vorteil: Bitumenwellplatten sind günstig. Auch wenn die Gebäude nicht danach aussehen, es sind Low-Budget-Lösungen. 1400 Euro kostete der Bau etwa pro Quadratmeter, insgesamt 1,5 Millionen Euro. An einigen Stellen ist das trotz Architektenkniffe sicht- und hörbar: Die günstige Schalldämmung dämpft kaum die Geräusche aus der Nachbarwohnung, die Einrichtung ist spartanisch. „Wir wollten mit den Kosten zumindest in etwa im Rahmen der Containerlösung bleiben“, sagt Camilo Hernandez.

Camilo Hernandez vom Stuttgarter Büro urban 3. Foto: urban 3

Dass individuelle Lösungen von Architekten teurer sind als Standardbauten, hält er für einen Irrtum. Auch Jörg Berrer sieht das so: „Die Leute hier merken, dass die Unterkunft eine ästhetische Qualität und kleine Einheiten hat; dass sie speziell für sie entworfen wurde. Deswegen gehen sie richtig gut mit ihr um.“ Schäden wie in anderen Unterkünften gebe es keine, so Berrer: „Eine Standard-Einfachstruktur hätten wir inzwischen zwei Mal sanieren müssen. Ein bisschen mehr Geld am Anfang, ein bisschen mehr Kreativität, dann geht es den Leuten besser und die Stadt spart langfristig.“

Lothar Späth sprach von einer Architektur der Abschreckung

Dass Flüchtlingsunterkünfte Wertigkeit ausstrahlen sollen, ist keine selbstverständliche Auffassung. „Die Buschtrommeln werden in Afrika signalisieren: Kommt nicht nach Baden-Württemberg, dort müsst ihr ins Lager“, sagte der ehemaligen baden-württembergische Ministerpräsident Lothar Späth in den Achtzigern einmal über die Idee abschreckender Sammellager. Der Direktor des Deutschen Architekturmuseums in Frankfurt Peter Cachola Schmal warf Städten in einem Interview aus dem Jahr 2016 vor, einige würden sich für Flüchtlingsunterkünfte bewusst Ausstattung wünschen, die „nicht zu gut“ aussehe, um den Neid in der Bevölkerung nicht zu steigern. Für die Integration von Einwanderern seien viele Bauten laut Schmal nicht geeignet.

Wohltuend heben sich die Häuser in der Kirchheimer Straße vom Bild vieler Flüchtlingsunterkünfte ab, hob die Jury eines Architekturpreises hervor. Für ihren Entwurf wurden die Architekten von 2BA und urban 3 ausgezeichnet, stellten auf der renommierten Architektur-Biennale in Venedig aus.

„Aber ob ein Entwurf auch im Alltag überzeugt, zeigt sich erst nach einigen Jahren“, sagt Baumann. Acht Jahre wird in den Gebäuden schon gelebt. Im Treppenhaus macht Baumann ein Foto von einem Tisch auf einem bunten Teppich: „Wir haben die außen liegenden Treppenhäuser bewusst so gestaltet, dass sie von Regen geschützt sind und Balkone ersetzen können.“ Harald Baumann ist zufrieden.