Weist die Region zu wenig Flächen für den Wohnungsbau aus? Nutzen die Kommunen die ausgewiesenen Flächen nicht? Der Streit, wie mehr Wohnraum in der Region Stuttgart geschaffen werden kann, wird schärfer.

Stuttgart - Nicht nur in der Stadt Stuttgart, sondern in der gesamten Region fehlen Wohnungen. Wenn der Neubau auf dem Niveau der vergangenen Jahre bleibe, dann würden bis zum Jahr 2020 etwa 40 000 neue Wohnungen gebaut, benötigt würden aber mehr als 100 000: diese Zahlen sind auf dem Regionalparteitag der SPD in dieser Woche in Esslingen genannt worden. Doch selbst wenn der Bau bezahlbarer Wohnungen stärker gefördert würde, wie von der SPD verlangt, gibt es für neue Häuser genügend Flächen? Das ist ein Thema für die Regionalpolitik, weil der Verband Region Stuttgart über seinen Regionalplan die Flächen ausweist, die für Wohnungsbau genutzt werden. Für die konkrete Umsetzung sind dann die Kommunen zuständig. Wo klemmt es also?

 

Mittlerweile mehren sich die Stimmen, dass die Region mehr Flächen für den Wohnungsbau freigibt – auch die SPD argumentiert in diese Richtung. Der Regionalplan müsse „bedarfsgerecht“ weiterentwickelt werden, heißt es in einem auf dem Regionalparteitag einstimmig angenommen Antrag.

Zuwanderung in die Region steigt

Unbestritten ist, dass die Zuwanderung in die Region seit dem Tiefstand 2009 kontinuierlich steigt, zuletzt kamen unterm Strich 20 000 Leute mehr in die Region als abwanderten – und sie kommen zu 80 Prozent aus dem Ausland. „Diese Zuwanderung ist konjunkturbedingt“, sagt Thomas Kiwitt, der Planungsdirektor der Region. Die zuziehenden Menschen verfügten aber nur über ein geringes Startkapital, sie bräuchten also bezahlbaren Wohnraum. In der Region gebe es aber eine Siedlungsstruktur, die den Bau größerer Wohneinheiten nicht fördere. „Zwei Drittel der Kommunen in der Region haben weniger als 10 000 Einwohner“, sagt Kiwitt, „dort ist verdichteter Wohnungsbau ungewöhnlich“. Soll heißen: Statt größerer Wohneinheiten werden Einfamilien- und Reihenhaussiedlung am Ortsrand favorisiert. „Preiswerten Wohnraum gibt es aber nur, wenn wir mehr auf die Fläche packen“, sagt Kiwitt.

Mit dem Regionalplan versuche der Verband Region Stuttgart, regionsweit Kriterien für den Wohnungsbau zu setzen. „Für das Baurecht und die Erschließung sind aber die Gemeinden zuständig“, sagt Kiwitt. Dazu gehöre der Vorrang der Innenentwicklung, also dass Baulücken in bestehenden Siedlungen bebaut werden. Kommunen wird ein dreiprozentiger Bevölkerungszuwachs zugestanden, wenn sie an Bahnverkehrsachsen sind es 4,5 Prozent. „Das sind Richtwerte, es zählt immer der Einzelfall“, sagt Kiwitt.

Zudem schreibt die Region in den 41 Schwerpunkten für Wohnungsbau vor, dass mindestens 90 Einwohner pro Hektar untergebracht werden, in kleineren Gemeinden sinkt der Wert auf 50 bis 55. In den Wohnungsbauschwerpunkten seien heute 480 Hektar nicht bebaut, 350 könnten kurzfristig genutzt werden. Das entspreche 35 000 Einwohner – einer Stadt so groß wie Kornwestheim. Und nähme man die Areale hinzu, die als Flächenreserven in den Kommunen vorhanden seien, wäre Wohnraum für 110 000 Menschen, mehr als die Einwohnerzahl Ludwigsburgs, zu schaffen, sagt Kiwitt, der „keinen Anlass für Alarmismus“ sieht, aber eine „unzureichende Aktivierung“ der Flächen durch Gemeinden.

SPD fordert mehr Spielräume für die Kommunen

Diese Argumentation verfing bei den Sozialdemokraten nicht, die sich wenige Monate vor der Landtagswahl als „Schutzmacht für Wohnungssuchende“ verstehehen, wie Peter Hofelich, der Staatssekretär im Finanz- und Wirtschaftsministerium sagte. Man wisse zwar um die beschränkten Möglichkeiten der Region, doch der Regionalplan müsse dem Neubaubedarf angepasst werden. Die SPD fordert von den Gemeinden, Flächen für Wohnungen auszuweisen und „höhere Dichtewerte“ umzusetzen. Für Hofelich muss die Region beispielsweise die Möglichkeiten schaffen, „dass andere Gemeinden in die Bresche springen“ – also mehr bauen als laut Regionalplan möglich ist. Neben der Eigenentwicklung, das heißt einer moderaten Zunahme der Bevölkerung, müsse eine Gemeinde auch weitere Potenziale nutzen können. Da passt es ins Bild, dass die SPD im Land vom Infrastrukturminister Winfried Hermann (Grüne) fordert, das Ziel aufzugeben, nicht mehr Flächen zu bebauen als durch Rückbau frei werden. „Diese Nettonull beim Flächenwachstum ist ein Auslaufmodell“, assistierte Sascha Binder, Landtagsabgeordneter aus dem Kreis Geislingen, der zudem forderte, nicht nur den engeren Kreis rund um Stuttgart ins Visier für mehr Wohnungsbau zu nehmen, sondern auch die ländlichen Bereiche der Region – etwa auf der Schwäbischen Alb. „Sonst fallen diese Gebiete regionsintern noch weiter zurück.“

Auch in der Regionalversammlung ist das Thema Wohnungsbau angekommen, selbst wenn dies kaum wahrgenommen wird. Alle Fraktionen fordern einen regionalen Wohnungsbaugipfel, in dem nicht nur über die strittige Flächenausweisung, sondern auch über Möglichkeiten dichterer Bebauung gesprochen wird. Dabei signalisieren CDU und Freie Wähler bereits, dass sie die Regeln des Regionalplans lockern wollen. Auch die SPD schwenkt nun auf diesen Kurs ein. „Die Region ist zu dynamisch für ungeplante Zufallsstandorte. Es darf keinen Abschied von unseren Prinzipien geben“, betont Kiwitt. Hofelichs Entgegnung: „Es gibt keinen Anlass über Planungsprinzipien zu streiten, neue Spielräume müssen aber möglich sein.“

In einem Beschluss fordert die Regional-SPD von Kommunen, eine Quote von 30 Prozent für geförderte Wohnungen einzuführen und mit eigenen Gesellschaften sozialen Wohnungsbau zu betreiben. In der gesamten Region sollten zudem die Mietpreisbremse und das Zweckentfremdungsverbot eingeführt werden. Eigentümer werden aufgefordert, leer stehende Wohnungen für Flüchtlinge und sozial Benachteiligte zur Verfügung zu stellen.

Auf dem Regionalparteitag wurde m
it 47 von 49 Stimmen der Regionalrat Thomas Leipnitz (Stuttgart) wieder zum Vorsitzenden der Regional-SPD gewählt.