Stuttgarts OB Kuhn geht es in der Wohnbaupolitik wie Merkel in der Flüchtlingsfrage: Das Problem ist bekannt, doch keiner will helfen. Der Bau von Sozialwohnungen darf aber nicht allein Stuttgart überlassen werden, meint StZ-Redakteur Jörg Nauke.

Stuttgart - Der SPD-Landtagsfraktionschef Claus Schmiedel hat mit seiner Kritik an OB Fritz Kuhn, er verschleppe die Planung im Rosensteinviertel, zwar daneben gelegen – noch in diesem Frühjahr beginnt die Bürgerbeteiligung für das Projekt, das frühestens in sieben Jahren auf Baustelle gehen kann. Gerade für die Wohnungsbaudebatte im Landtagswahlkampf war die Einlassung aber hilfreich, verweist sie doch auf das städtische Potenzial, das diverse Kandidaten versuchen klein zu reden.

 

Der Gemeinderat gibt, nachdem er wie Bund und Land den geförderten Wohnungsbau sträflich vernachlässigt hat, doch ordentlich Gas: Rund 50 Millionen Euro pro Jahr an Zuschüssen und mittelbaren Zuwendungen aufzuwenden, ist ja in Anbetracht weiterer Herausforderungen – Sanierung und Neubau von Schulen, Kitaausbau, Flüchtlingsunterbringung – nicht nichts. Die Stadt verfolgt zudem eine konsequente Bevorratungspolitik: die großen Flächen Bürger- und Olgahospital sowie der Neckarpark sind in kommunaler Hand.

Zudem bewies der Gemeinderat angesichts der aktuellen Herausforderungen mit dem Einsatz von einer Milliarde Euro und dem Beschluss, den Bahnhof tiefer zu legen, zumindest wohnungspolitisch Weitsicht. Mittelfristig gibt es in der City Platz für bis zu 20 000 Menschen – auch für Asylberechtigte. Die Entscheidung für S 21 und fürs Wohnen hinter dem Bahnhof ist aber auch ein Bekenntnis zum Schutz von Frischluftschneisen und Kaltluftentstehungsgebieten. Schließlich werden bald noch viel mehr Menschen in der City frische Höhenluft zum Atmen brauchen.

Es ist trotz Kessellage nicht so, dass in Stuttgart nicht mehr gebaut werden könnte – es braucht aber einen stärkeren politischen Willen als bisher, die kurz- und mittelfristigen Potenziale zu nutzen, damit bis 2017 die versprochenen 3600 Einheiten entstehen. Stuttgart wird dennoch nie genügend Sozialwohnungen bauen können. Zumindest ein lebenswertes Stuttgart verträgt auch keine signifikant höhere Verdichtung. Der Bau öffentlich geförderter Wohnungen darf deshalb nicht allein der Landeshauptstadt überlassen werden, während sich die Kommunen im Speckgürtel damit begnügen, der gut situierten Mittelschicht die Flächen fürs Reihenhäuschen anzubieten.

OB Kuhn geht es wie der Kanzlerin mit der EU in der Flüchtlingsfrage: Das Problem ist bekannt und könnte gemeinsam gelöst werden, doch niemand will helfen. Kuhn, immerhin stellvertretender Regionalpräsident, muss die diplomatischen Beziehungen deutlich intensivieren.