Auf städtischen Baugebieten sollen deutlich mehr geförderte Wohnungen entstehen, als bisher geplant. Kritiker halten die Strategie der Stadt für eine Notlösung und warnen vor einseitig geprägten Quartieren.

Stuttgart - Der Großteil aller Wohnungen, die künftig auf städtischen Grundstücken entstehen, soll nicht frei finanziert, sondern öffentlich gefördert sein. Nach Informationen dieser Zeitung arbeitet die Verwaltung an einer Vorlage, nach der bis zu 80 Prozent der Wohnungen auf Flächen wie dem Neckarpark, dem Schoch-Areal oder dem Bürgerhospital künftig Sozialwohnungen oder bezuschusste Einheiten sein sollen. Finanzbürgermeister Michael Föll (CDU) spricht dabei von Realpolitik. Experten beurteilen das Vorhaben hingegen als Notlösung und kritisieren die einseitige Ausrichtung der geplanten Quartiere. Zudem soll die erst vor wenigen Jahren eingeführte Konzeptvergabe für Baugebiete deutlich verändert werden.

 

Der Plan der Verwaltung sieht vor, die Quoten für den geförderten Wohnungsbau deutlich anzuheben. 60 Prozent der neu gebauten Wohnungen sollen demnach klassische Sozialmietwohnungen sein. 20 Prozent fallen unter das Fördermodell Mietwohnungen für mittlere Einkommensbezieher oder preiswertes Wohneigentum. „Wenn wir das nicht tun, haben wir keine Chance, die Zielzahlen aus dem Konzept des Oberbürgermeisters zu erreichen“, erklärt Föll. Zum Vergleich: Bei Bauvorhaben auf privaten Grundstücken, werden im Rahmen des Innenentwicklungsmodells SIM 20 Prozent geförderte Wohnungen vorgegeben.

Vor zwei Jahren gab es nur 14 bezugsfertige Sozialwohnungen in Stuttgart

Fritz Kuhn (Grüne) hatte im Dezember 2013 in seinem Papier mit dem Titel „Wohnen in Stuttgart“ erklärt, künftig sollten in der Stadt jährlich 1800 neue Wohnungen gebaut werden – 600 davon öffentlich gefördert, darunter 300 Sozialwohnungen. Bislang ist die Stadt von diesen Ziele aber noch ein gutes Stück entfernt. Im Jahr 2014 konnten lediglich 14 bezugsfertige Sozialwohnungen vermeldet werden, im vergangenen Jahr waren es 62. Dass im vergangenen Jahr Anträge für den Bau von 278 Sozialwohnungen gestellt wurden, wertet die Verwaltung allerdings als Trendwende.

Kritik an den aktuellen Plänen der Stadt kommt interessanter Weise von Experten, die sich stets für mehr bezahlbaren Wohnraum ausgesprochen haben. „Diese hohen Quoten sind für ein Gebiet zu viel“, urteilt etwa Detlef Kurth, Professor für Städtebau an der Technischen Hochschule Stuttgart. Kurth erklärt klar: „Ja, wir brauchen deutlich mehr sozialen Wohnungsbau in Stuttgart.“ Der Wissenschaftler fügt jedoch hinzu: „Ein Anteil von mehr als 30 Prozent aller Wohnungen in einem Quartier ist zu hoch.“ Aus seiner Sicht zeigt sich an dem Vorhaben der Verwaltung deutlich der Mangel an Bauflächen. „Da keine neuen Baugebiete ausgewiesen werden, müssen die Förderquoten in den vorhandenen Gebieten nun so deutlich gesteigert werden“, sagt der Hochschullehrer.

Wohnsoziologe warnt vor zu hohem Anteil an Sozialwohnungen

Ähnlich urteilt der Wohnsoziologe und ehemalige Architekturdekan der Universität Stuttgart, Tilman Harlander. Seine Befürchtung: „Die Widerstände gegen den sozialen Wohnungsbau könnten mit derart hohen Quoten auf den wenigen Baugebieten der Stadt eher geschürt als abgebaut werden.“ Feste Quoten für Sozialwohnungen als Vorgabe für Investoren hält Harlander grundsätzlich für richtig. Doch die Höhe müsse klug gewählt werden, sagt er. „In München wurde teilweise versucht, 60 Prozent geförderte Wohnungen zu bauen. Davon ist man aber wieder abgekommen.“ Es bestehe dann die Gefahr, dass die Quartiere einseitig belegt würden, erklärt Harlander. Aufgrund des Festhaltens an der Innenentwicklung und dem damit verbundenen Verzicht auf neue Baugebiete bleibe der hiesigen Verwaltung nun aber nichts anderes übrig als die Quoten derart zu erhöhen, moniert der Wissenschaftler.

Weitere Kritik an den Plänen der Stadt kommt erwartungsgemäß von der Bauwirtschaft. „Diese hohen Förderquoten sind nichts mehr für klassische Bauträger“, fürchtet Marc Bosch, der Vorstandsvorsitzende des Vereins Immobilienwirtschaft Stuttgart (IWS).

Föll glaubt, dass keine sozialen Brennpunkte entstehen

Die Stadt zumindest hat für die betreffenden Bauvorhaben bereits recht genaue Vorstellungen, welche Art von Unternehmen in Frage kommen könnte. „Wir brauchen Firmen, die sowohl einen relevanten Bestand an Wohnungen in Stuttgart haben und die zudem im Neubau aktiv sein können“, erklärt der Finanzbürgermeister. Der Grund dafür ist, dass die Stadt nicht alle geforderten Sozialwohnungen in einem Gebiet konzentrieren will. „Wir können das Werkzeug der mittelbaren Belegung nutzen“, erklärt Föll. Das bedeutet: Von 60 Prozent Sozialwohnungen wird lediglich die Hälfte im jeweiligen Neubaugebiet entstehen, die andere Hälfte soll vom Bauherrn an anderer Stelle umgewandelt werden. Die weiteren geförderten Wohnungen, also etwa die Wohnungen für mittlere Einkommen, sollen aber im Quartier gebaut werden. Damit wäre pro Neubaugebiet die Hälfte aller Wohnungen sozial gefördert. Dazu sagt Michael Föll: „Wer Bedenken hat, dass aufgrund der höheren Förderquoten ein Quartier zu einem sozialen Brennpunkt verkommt, der liegt falsch.“

Zum Vergleich: Im Wohnkonzept von OB Kuhn war für die städtischen Gebiete mit erhöhtem Anteil geförderter Wohnungen noch eine Größe von 28 Prozent als Beispiel genannt worden. Dazu sagt Föll: „Unsere Ziele sind die selben geblieben. Die Werkzeuge müssen wir aber anpassen.“

Die Konzeptvergabe soll verändert werden

Um potenzielle Bauherren nicht abzuschrecken, will die Stadt im Übrigen die vom Oberbürgermeister mehrfach gelobte Konzeptvergabe modifizieren. Ziel dieses Verfahrens war beim Verkauf städtischer Wohnbaugebiete nicht nach Bestpreis, sondern nach der Qualität des Entwurfs zu entscheiden. Verschiedene Bauherren haben ihr Konzept eingereicht, einer hat den Zuschlag erhalten. Nun soll von vornherein ein Bauherr beauftragt werden. Dieser soll dann verschiedene Entwürfe präsentieren. Damit wolle man weiterhin für Qualität sorgen, den Bauträgern aber gleichzeitig mehr Planungssicherheit geben, so Föll.

Die Vorlage dazu, an welcher der Finanzbürgermeister derzeit arbeitet, soll noch vor der Sommerpause in den Gemeinderat eingebracht werden.