In der Landeshauptstadt gibt es viele Angebote für Wohnsitzlose. Das Kernproblem können sie bisweilen trotzdem nicht lösen. Denn einige der Betroffenen wollen oder können keine Hilfe annehmen.

Stuttgart/Rot - Vor kurzem führte das Vorgehen der Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB) zu Diskussionen: Nachdem sich ein Wohnsitzloser an der Roter Bushaltestelle Schozacher Straße häuslich eingerichtet hatte und Fahrgäste sich dadurch gestört fühlten, montierte man kurzerhand die Sitzbank ab. Problem beseitigt, aber nicht gelöst – zumal die Wartenden seither stehen müssen.

 

Nachgefragt im nahe gelegenen Männerwohnheim an der Böckinger Straße: Wo finden Wohnsitzlose Hilfe, und warum gibt es Menschen, bei denen diese Angebote trotzdem nicht fruchten? Armin Bubser leitet das von der Evangelischen Gesellschaft (eva) getragene Immanuel-Grözinger-Haus, in dem 144 Männer Obdach finden. Ein Teil von ihnen ist nur vorübergehend hier, zieht dann in andere Einrichtungen oder fasst idealerweise selbst wieder Fuß in der Gesellschaft. „Wir versuchen, den Zustand zu halten, wo möglich aber zu verbessern“, sagt Armin Bubser.

„Jeder hat das Recht auf angemessene Unterbringung“

Insgesamt gelten in Stuttgart rund 5000 Menschen als wohnsitzlos oder in prekären Verhältnissen lebend. Wobei die Zahlen ungenau sind. Insbesondere Frauen gelingt es oft lange, ihre unsicheren Lebensumstände zu verschleiern.

Jeder Mensch hat aber das Recht auf angemessene Unterbringung, unterstreicht Markus Vordermeier; er ist Arbeitsanleiter im Wohnheim. Und Stuttgart sei in Sachen Hilfsangebote für Wohnsitzlose eigentlich sogar überdurchschnittlich gut aufgestellt.

Mit dem Obdachlosen, der sich an der Bushaltestelle Schozacher Straße einquartiert hatte, habe man ebenfalls versucht, eine Lösung zu finden, erzählt Bubser. „Es gibt aber ab und zu auch Menschen, bei denen nichts greift.“ Seit die SSB die Bank abmontiert hat, sei der Mann im Umkreis nicht mehr in Erscheinung getreten – was alles Mögliche bedeuten kann: dass er abgewandert oder doch noch in einer Einrichtung untergekommen ist, vielleicht aber auch, dass sich sein Zustand verschlechtert hat. Wobei gerade ein Krankenhausaufenthalt mitunter zu einem Umdenken führt und die Menschen die zuvor abgelehnte Hilfe doch noch annehmen, gibt Vordermeier zu bedenken.

Fürsorgepflicht versus persönliche Entscheidungsfreiheit

Ohnehin seien die Gründe vielschichtig, sich lieber alleine durchzuschlagen: Verbitterung gegenüber der Gesellschaft, die man für das eigene Scheitern verantwortlich macht. Schlechte Erfahrungen in den Unterkünften. Oder das Unvermögen, sich grundlegenden Regeln unterzuordnen. „Manchmal liegt auch eine psychische Erkrankung vor“, sagt der Arbeitsanweiser. In seltenen Fällen können Betroffene auch eingewiesen werden. Hier kollidiere die staatliche Fürsorgepflicht aber mit der persönlichen Entscheidungsfreiheit des Menschen. „Das muss man sorgfältig abwägen.“

Grundsätzlich seien alle Bewohner freiwillig im Immanuel-Grözinger-Haus, und das Miteinander funktioniere in den meisten Fällen. Und gerade die Arbeit im eva-Garten oder die nachbarschaftlichen Kontakte im Café TaS vermittelten den Bewohnern manchmal nach Jahren der Trostlosigkeit wieder Struktur und Sinn. Vor diesem Hintergrund findet Bubser es interessant, dass ein einzelner Wohnsitzloser so viel Aufsehen erregt habe, während das Zusammenleben von vielen anderen weitgehend reibungslos verlaufe und deshalb unbeachtet bleibe.

Im Ernstfall ans Sozialamt wenden

Wo aber wird Betroffenen geholfen? Der vom Sozialamt herausgegebene Stadtplan „Wohnungslos in Stuttgart“ liegt unter anderem auch im Immanuel-Grözinger-Haus aus und listet nahezu alle hiesigen Hilfsangebote auf – einige davon speziell auf Frauen, Familien oder auf Jugendliche und junge Erwachsene zugeschnitten. Über das ebenfalls enthaltene Diagramm „Zugang zu Fachberatung“ findet man die jeweils zuständige Anlaufstelle: Von der Frage „Gerade aus der Haft entlassen?“ ausgehend wird man – je nach Antwort – zur den nächsten Fragen und zum geeigneten Ansprechpartner weitergelotst. Der Plan gibt auch Auskunft über Winter-Notübernachtungen und über Wärmestuben. Denn es ist nur eine Frage der Zeit, bis die ersten eiskalten Nächte zu schwierigen oder sogar lebensbedrohlichen Situationen führen können.