Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum ist eines der drängendsten Probleme in den Großstädten der Republik. Auch in Stuttgart sinkt die Zahl der Sozialwohnungen während die Mieten weiter steigen.

Lokales: Mathias Bury (ury)

Stuttgart - Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum ist eines der drängendsten Probleme in den Großstädten der Republik. Für Stuttgart hat das Hannoveraner Forschungsinstitut Pestel errechnet, dass knapp 47 000 Haushalte wegen geringer Einkünfte einen Anspruch auf eine Sozialwohnung haben. Dem stehen etwa 22 500 Wohnungen gegenüber, für welche die Stadt entweder ein Belegungsrecht hat oder die als geförderte Sozialwohnungen privaten Baugesellschaften gehören. „Hier klafft eine enorme Lücke“, sagt Pestel-Projektleiter Matthias Günther.

 

Eberhard Brändle, der Leiter des städtischen Wohnungsamtes, warnt nicht erst seit Dienstag vor der weiter sinkenden Zahl von Sozialwohnungen. Er bestätigt die Studie: „In Stuttgart haben etwa 50 000 Haushalte einen Anspruch auf eine Sozialwohnung.“ Bei 300 000 Haushalten in der Stadt entspreche dies einer Quote von knapp 17 Prozent, so Brändle. Exakte statistische Daten gebe es dazu aber nicht. Das Pestel-Institut hat seine Zahlen unter anderem anhand der Bezieher von Hartz IV, Wohngeld und Alterssicherung ermittelt.

Zuspitzung

Dass sich die Lage auf dem Wohnungsmarkt in Großstädten wie Stuttgart weiter zuspitzen wird, steht für Pestel-Projektleiter Günther außer Frage. „Die Jungen drücken in die Städte, die Familien bleiben“, sagt er. „Das eröffnet Spielräume für Mieterhöhungen.“ Mit entsprechenden Folgen für einkommensschwache Familien.

Auf der anderen Seite nimmt der Bestand an Sozialwohnungen seit Jahren kontinuierlich ab. Ende der 80er Jahre sind es in Stuttgart noch mehr als 33 000 gewesen, 2011 dann nur noch 16 500. Und nach den Prognosen werden es in einigen Jahren noch einige Tausend weniger sein. Die Stadt verfügt aber über insgesamt gut 19 000 Belegungsrechte für Wohnungen. Rechnet man dazu noch jene 3500 Sozialwohnungen hinzu, die alleine durch das Land gefördert wurden und von den Gesellschaften selbst mit bedürftigen Mietern belegt werden, kommen insgesamt etwa 22 500 Sozialwohnungen zusammen.

Mehr Sozialwohnungen

Dieser Wert muss freilich relativiert werden. Die sogenannte Fehlbelegung von Sozialwohnungen – damit ist gemeint, dass in ihnen Familien leben, die auf die Vergünstigung keinen Anspruch mehr haben – liegt seit Jahren bei etwa 25 Prozent. Und weil die Wohnungsgesellschaften, die für den Bau der Sozialwohnungen günstige Darlehen von Land oder Stadt erhalten haben, die Belegungsrechte loswerden wollen, zahlen sie die Darlehen vielfach vorzeitig zurück, was dem Markt preiswerten Wohnraum entzieht. Dass also der Wohnungsbau entschieden verstärkt werden müsste, ist eine von vielen Seiten seit Längerem erhobene Forderung. Das Pestel-Institut beziffert den Mangel für Stuttgart mit 8000 Wohnungen, ein Wert, der verglichen etwa mit Frankfurt (mehr als 17 000) noch überschaubar ist. Eberhard Brändle sagt, die 1500 Wohnungsfertigstellungen pro Jahr reichten nicht aus, um die vorhandene Lücke bald zu füllen. Und statt jährlich etwa 100 Sozialwohnungen müssten 300 gebaut werden. Die Stadt sollte deshalb mehr Flächen für den sozialen Mietwohnungsbau zur Verfügung stellen, erklärt der Wohnungsamtsleiter.

Das Land hat sich auf die angespannte Lage eingestellt. Nachdem der soziale Wohnungsbau viele Jahre kaum mehr gefördert wurde, hat die grün-rote Landesregierung in diesem Jahr eine Wende vollzogen und die Mittel für die Wohnbauförderung von 48 auf 68 Millionen Euro erhöht. Allerdings wurden von den 18 Millionen Euro, die für den Neubau von Sozialwohnungen vorgesehen sind, bisher nur acht Millionen abgerufen. Das Programm sei für die Wohnungsbaugesellschaften zu wenig attraktiv, sagt Brändle. Die Zuschüsse und die Abschreibungsmöglichkeiten seien zu gering. Und die Auflage, dass eine Altimmobilie nach dem Kauf energetisch saniert werden muss, sei ein großes Hemmnis.

Ein Sprecher des Landeswirtschaftsministeriums räumt denn auch ein: die Nachfrage nach dem Programm sei „verhalten“, ähnlich wie in anderen Bundesländern, was vor allem am niedrigen Zinsniveau liege. Man plane aber „stärkere Förderanreize“. Die Wohnungsunternehmen bekommen derzeit so günstig Geld am Markt, dass sie gar nicht auf öffentliche Förderung zurückgreifen. Wenn es geht, vermeiden sie dies, weil der Umgang mit Sozialmietern mitunter auch schwierig sein kann. Und der freie Markt in Stuttgart verspricht angesichts der großen Nachfrage und steigender Mieten eine gute Rendite.

Günstige Alternative

Für Familien mit geringen Einkünften kommen aber durchaus auch andere als Sozialwohnungen im unteren Preissegment infrage. Eberhard Brändle setzt hier eine Kaltmiete pro Quadratmeter von bis zu sechs Euro an, die dieser Personenkreis bezahlen könne. Nach den Zahlen des statistischen Amtes der Stadt kosten gut 30 500 der insgesamt circa 182 000 auf dem freien Markt verfügbaren Wohnungen in Stuttgart nicht mehr als diese sechs Euro, das sind knapp 17 Prozent. Sie haben aber einen entsprechenden Standard und oft keine gute Lage.

Doch auch diese günstigen Wohnungen werden weniger: einerseits durch Anpassungen an den Mietspiegel, andererseits aber auch durch Modernisierung und energetische Sanierungen. In diesem Marktsegment, sagt der Leiter des Wohnungsamtes, habe man deshalb bei den Mieten „die stärksten Steigerungen“ zu verzeichnen.