Wohnraum schaffen für Menschen mit wenig Geld: Die Stadt Bietigheim-Bissingen sieht sich dabei in der Pflicht und baut mit Nachdruck – nicht nur mit ihrer Tochtergesellschaft Bietigheimer Wohnbau, sondern auch mit der Bürgerstiftung.

Ludwigsburg: Susanne Mathes (mat)

Bietigheim-Bissingen - Platz für Neubauten schaffen, maßgeschneiderte Bebauungspläne dafür aufstellen, den Rahm dann aber ausschließlich die private Hand abschöpfen lassen, so dass Einkommensschwächere in die Röhre gucken? Das soll es in Bietigheim-Bissingen nicht mehr geben. Mit einem Grundsatzbeschluss hat der Gemeinderat jüngst Richtlinien zur Mobilisierung von sozialem Mietwohnraum festgelegt. Sie sind eines von mehrerer Steuerungsinstrumenten der Stadt, Geringverdienern mehr Chancen auf eine Wohnung zu eröffnen.

 

Konkret bedeutet das: Sobald die Stadt einen Bebauungsplan aufstellt oder so ändert, dass dort höherwertig gebaut werden kann, werden 20 Prozent der entstehenden Wohnflächen automatisch zum bezahlbaren Mietwohnraum erklärt. Dort kommen nur Menschen mit Wohnberechtigungsschein zum Zuge, und es gelten Miethöhengrenzen. Außerdem behält sich die Stadt ein Belegungsrecht vor.

Das Ziel: 100 stiftungseigene Wohnungen

Was sie von privater Hand einfordert, lebt die rund 43 000 Einwohner zählende Stadt beim sozialen Wohnungsbau seit Jahren selbst vor. Die wirtschaftsstarke Stadt, in der seit rund zwei Jahren die Mietpreisbremse gilt, kann sich das allerdings auch leisten. Sie ist die größte schuldenfreie Stadt in Baden-Württemberg. Für ihre Wohnungsoffensive spannt sie nicht nur die – eigentlich vornehmlich im Bauträgergeschäft tätige – städtische Tochtergesellschaft Bietigheimer Wohnbau ein, sondern auch ihre Bürgerstiftung.

Das bot sich an: „Für ihre Geldanlagen hat die Stiftung ohnehin keine Zinsen mehr bekommen. Also haben wir die Satzung geändert und zum Stiftungszweck hinzugenommen, Wohnraum für Bedürftige zu schaffen“, berichtet Oberbürgermeister Jürgen Kessing. Von mittlerweile knapp 300 öffentlich geförderten Wohnungen in Bietigheim gehören der Stiftung 54. Um die 100 sollen es einmal sein. „Zwischen 1,5 und zwei Millionen Euro steckt die Stadt jährlich in die Stiftung“, sagt Kessing.

Konsequent nutzt die Stadt auch die Möglichkeit, auslaufende Sozialbindungen zu verlängern oder vorhandene Wohnungen neu in die Sozialbindung hineinzunehmen. Mehr als 80 Wohnungen nahm die Bietigheimer Wohnbau allein 2017 wieder in die öffentliche Förderung auf, die für 15 Jahre, teilweise auch für 25 Jahre mit einer Mietpreisbindung belegt sind. „Wir haben außerdem ein Umzugsmanagement geschaffen und helfen Mietern“, sagt Kessing, „etwa wenn sie verwitwet oder die Kinder ausgezogen sind und sie dadurch aus der Förderung für die Wohnung herausfallen.“

Aus blanker Verzweiflung die Wohnungen verkauft

„Wenn wir uns nicht schon vor sechs, sieben Jahren intensiv mit dem kommunalen Sozialwohnungsbau beschäftigt hätten, wären wir heute nicht auf diesem Stand“, stellt der Rathauschef klar, der mit dem Bietigheim-Bissinger Modell schon bei interessierten Nachahmer-Kommunen auf Vorstellungstour war. „Angesichts der gigantischen Nachfrage nach Wohnraum und des Verdrängungsprozesses von oben nach unten war uns relativ früh klar, dass da ein Problem auf uns zurollt, bei dem wir dringend gegensteuern müssen.“

Schließlich sei man sehenden Auges auf die Situation zugeschlingert: „Bund und Land haben sich kontinuierlich aus dem Wohnungsbau zurückgezogen, die Gemeinnützigkeit von Wohnungsbaugesellschaften ist weggefallen, Fördermittel wurden gestrichen, und jährlich fallen Wohnungen aus der Sozialbindung.“ Zudem hätten Bund und Land im großen Stil ihre Wohnungen verkauft – „und viele verschuldete Kommunen auch, aus blanker Verzweiflung“. Geld verdient die Stadt mit ihren Bemühungen um den kommunalen Sozialwohnungsbau nicht. „Aber wir kommen“, so Kessing, „mit Müh und Not auf einer schwarzen Null raus.“