Bei der Zimmersuche von Studenten führt das Konzept „Wohnen mit Hilfen“ Vermieter und Mieter eng zusammen. Der Vermieter bekommt weniger Geld, aber dafür im Gegenzug mehr Hilfe.

Tübingen - Als Marvin Mesenbrock die Zusage für einen Studienplatz an der Universität Tübingen bekam, musste alles ganz schnell gehen. Weil er nachgerückt war, erhielt der junge Mann das Schreiben nämlich erst zum Semesterbeginn im Oktober vergangenen Jahres. Dringend musste eine Unterkunft her. Die kurzfristige Suche nach einer geeigneten und auch bezahlbaren Bleibe kann in einer Universitätsstadt wie Tübingen allerdings zu einem schwierigen Unterfangen werden.

 

Die Wohnungsnot unter Studenten bekam auch Marvin Mesenbrock zu spüren, als er sich nach einem Zimmer umsah. Doch dann stieß er auf das Projekt „Wohnen mit Hilfe“ – ein Konzept, bei dem Senioren oder Familien Studierenden eine Unterkunft zu reduzierter Miete anbieten. Im Gegenzug gehen die jungen Menschen den Vermietern im Haushalt zur Hand.

Seit gut einem Jahr wohnt Mesenbrock nun in einem Häuschen, das der Ärztin Charlotte Blessing und ihrem Mann Reinhard Schmid, einem Lehrer, gehört. Monatlich 200 Euro plus Nebenkosten bezahlt der 21-Jährige für seine Unterkunft – eine für Tübingen recht günstige Miete. Dafür kümmert sich der Student um den Garten oder spielt mit den sieben- und zehnjährigen Söhnen Kindern Johannes und Georg.

Die Freunde packt der Neid

„In Tübingen in so einer Wohnung zu leben, ist absoluter Luxus. Meine Freunde sind alle extrem neidisch“, sagt der Rhetorik-Student über das 150 Jahre alte, denkmalgeschützte Häuschen, das die Familie aufwendig renoviert ließ. Auf 25 Quadratmetern Wohnfläche findet sich auf zwei Etagen alles, was ein Student zum Leben braucht: Bett, Schreibtisch, Küchenzeile und sogar ein kleines Badezimmer. Eine Fußbodenheizung hält das „Gartenhäuschen“ – wie Marvins kleines Reich bei Familie Blessing-Schmid heißt – warm.

Bis auf das Wäschewaschen, das Mesenbrock im Haus seiner Vermieter erledigt, lebt er gänzlich autark. Das kleine Gebäude ist nämlich im Zuge der Renovierungsarbeiten an die Technik des Haupthauses angeschlossen worden. „Es ist das ideale Studentenhäuschen, man kann kommen, wann mal will und man ist sich nicht im Weg“, sagt Charlotte Blessing über ihr „Schmuckstück“.

Eine gewisse Toleranz ist wichtig

So stört Marvin seine Vermieter auch nicht, wenn er seinem Hobby frönt – dem E-Gitarre-Spielen. „Ich dreh’ den Verstärker manchmal so laut auf, dass der Schrank wackelt“, erzählt Mesenbrock und lacht. „Wir bekommen davon nichts mit“, sagt Charlotte Blessing achselzuckend. Auch, dass Marvin ab und zu mit Freunden auf der kleinen Terrasse vor dem Häuschen Partys feiert, ist für Familie Blessing-Schmid absolut in Ordnung. „Wenn einen was stört, muss man es halt sagen“, meint Charlotte Blessing. Und ihr Mann Reinhard Schmid fügt hinzu: „Es ist wichtig, dass die Werte zusammenpassen.“

Eine gewisse Toleranz sei wichtig, wenn man sich dafür entscheide, an dem Projekt „Wohnen mit Hilfe“ teilzunehmen, bestätigt auch Claudia Stöckl vom Roten Kreuz. Sie koordiniert in Tübingen die Wohnpartnerschaften und weiß deshalb aus Erfahrung: „Beide Parteien müssen flexibel sein und aufeinander Rücksicht nehmen.“ Prinzipiell würden sich aber auch nur solche Leute bewerben, die eine entsprechende Grundeinstellung mitbrächten.

Auch der Rentnerin Gabriele Höfler ist das Zusammenwohnen mit fremden Menschen alles andere als unangenehm. Schon früher ließen sie und ihr Ehemann Studenten aus China, Kambodscha oder Uruguay bei sich wohnen. „Das war eine richtig familiäre Sache“, berichtet die 86-Jährige. In der Zeitung habe sie von dem Projekt „Wohnen mit Hilfe“ gelesen und sofort Gefallen an der Idee gefunden. Seit letztem Wintersemester lebt nun Marie-Luise MacKenzie mit ihr im Haus.

„Ich will nicht ins Altersheim“

„Ich gehe für Frau Höfler einkaufen oder putze die Fenster – eben alles, was so anfällt“, erzählt die 24-jährige Medizinstudentin, die im Haus der Rentnerin ein möbliertes Zimmer bewohnt. Die Hilfe der jungen Frau kann die Seniorin gut gebrauchen. „Ich will nicht ins Altersheim, deshalb ist das Projekt ideal für mich“, sagt Gabriele Höfler, die bereits seit mehr als 50 Jahren in ihrem Haus lebt.

Auch der soziale Aspekt spielt bei der Wohnpartnerschaft von Höfler und MacKenzie eine wichtige Rolle. „So bin ich nicht alleine“, sagt die Rentnerin, deren Mann vor drei Jahren gestorben ist. Gabriele Höfler möchte ihre studentische Mitbewohnerin am liebsten gar nicht mehr gehen lassen, denn „es war einfach Liebe auf den ersten Blick“.