Das Stück „Eigenbedarf“ wird in echten Stuttgarter Wohnungen aufgeführt. Aus gutem Grund: Es handelt ja auch von der realen Wohnungsnot in der Stadt.

Stuttgart - Mehr als 4000 Haushalte stehen auf der Stuttgarter Warteliste für Sozialwohnungen – und es werden immer mehr. Die durchschnittliche Wartezeit: mehrere Jahre. In der vergangenen Woche hat die Stadt ein leerstehendes Mehrfamilienhaus in der Forststraße, das im Anschluss an eine Demonstration besetzt worden war, durch die Polizei wieder räumen lassen.

 

Der Protest galt der geplanten Sanierung des Hauses. In der Folge einer solchen sollten die Mieten in einem anderen Gebäude sogar um mehr als 100 Prozent steigen. Die Einschätzung der Stadt: Die Besetzung stelle eine Störung der öffentlichen Ruhe und Ordnung dar.

Womöglich stellt der Wohnungsmangel die größere Bedrohung von Stuttgarts Ruhe und Ordnung dar, aber sei’s drum. Dem eigentlichen Missstand widmet sich zumindest die Kunst: „Eigenbedarf“ heißt das neue Projekt des Stuttgarter Poetry-Slam-Organisators Nikita Gorbunov und der Theatermacherin Boglárka Pap.

Wem gehört die Stadt?

Gemeinsam mit ihren Spielerinnen und Spielern Kim Földing, Marja Rothenhöfer und Fionn Stacey bringen sie das Theater zur Wurzel des Problems: in die Wohnungen selbst. Am 5. April spielen sie im Heusteigviertel, am 6., 12. und 13. April in Stuttgart-Ost. Die genaue Adresse erfährt man nach der Reservierung unter „www.eigenbedarf.rentals“. Gorbunov: „Damit da nicht plötzlich 100 Personen vor der Tür stehen!“

Im Zentrum aller Überlegungen zur Wohnungsnot steht natürlich immer die Frage: Wem gehört die Stadt? Kann sie auf mäßig bezahlte Leute wie Künstler und Journalistinnen verzichten? Von wie weit außerhalb werden Polizistinnen und Krankenpfleger ins Zentrum fahren wollen, um sich dort um die Reicheren zu kümmern?

Wie eine besichtigende Horde fallen die Zuschauer in die Wohnungen ein. Es soll zugehen wie „bei diesen mittlerweile ziemlich würdelosen Besichtigungen, bei denen steile Ansagen von der besitzenden Seite gemacht werden“, erzählt Gorbunov: „Investoren und Eigentümer müssen ihren eigenen Bedarf gar nicht mehr erklären. Die stellen sich hin und sagen: ‚Wenn die Politik sich nicht rührt, dann machen wir eben nichts. So ist das halt, so ist der Markt.‘“

Kein Darth Vader

Bei „Eigenbedarf“ wird aber nicht einfach auf Politik und Wirtschaft eingedroschen. „Es gibt keinen bösen Darth-Wohnungs-Vader. Die Mechanismen des Wohnungsmarktes sind komplex, es gab viele bestimmt auch unabsichtliche Fehlkalkulationen. 2011 hörte man etwa noch, die Stadt hätte eigentlich zu viele Wohnungen“, so Gorbunov.

Man kann sich bei diesen Vorstellungen also wohl auch als Vermieter blicken lassen, ohne gelyncht zu werden. Und überhaupt: Kann man einem Wohnungseigentümer wirklich einen Vorwurf machen, wenn er durch Airbnb-Vermietung an gutbetuchte Touristen an einem Wochenende den Geldbetrag einer kompletten Monatsmiete einnehmen kann? So geht doch wirtschaftsliberaler Kapitalismus, oder nicht? Wir haben uns dieses System doch ausgesucht! Und bestätigen es ja von Wahl zu Wahl erneut.

Service: Die Aufführungen finden statt am 5., 6., 12. und 13. April 2019. Tickets und Adressen unter www.eigenbedarf.rentals