Außerhalb der Ballungszentren stehen 1,5 Millionen Wohnungen leer, in den urbanen Zentren herrscht dagegen Wohnungsknappheit. Auf dem Stadtkongress der StZ werden Lösungen präsentiert.

Stuttgart - In Stuttgart ist seit einiger Zeit eine gewisse Empfindlichkeit unter den Bewohnern zu spüren, wenn die Landeshauptstadt zur Stauhauptstadt umgedichtet und auf den Verkehrskollaps reduziert wird. Scheinbar ist der Stillstand auf der Straße aber so eindrücklich, dass Gunther Adler (SPD), Staatssekretär im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, bei seiner Keynote zum Start in den zweiten Tag des Stadtentwicklungskongresses der Stuttgarter Zeitung gleich dreimal auf seine Stauerfahrung in Stuttgart zu sprechen kam.

 

Die StZ-Veranstaltung stand am Donnerstag im Zeichen von Städtebau und Wohnraum. Adler referierte zum Thema „Wohnungspolitik in Deutschland“ und stellte seine persönliche Stuttgarter Staumisere in den Kontext verfehlter Wohnungsbaupolitik der Kommunen. „In Stuttgart ist es nicht gelungen, Wohnen und Arbeiten zusammenzuführen“, sagte Adler, und lieferte die Begründung, weshalb alle in die Stadt drängen, gleich mit.

Vor 15 Jahren dachte die Politik, Deutschland sei fertig gebaut

Um Wohnraum auf dem Land gerade für junge Familien attraktiv zu gestalten, müssten laut Adler fünf Merkmale erfüllt sein. Es müssten Kitas, Schulen, Einzelhandel, Ärzte und ein funktionierender Nahverkehr vorhanden sein. „Jede fünfte Kommune erfüllt diese Merkmale aber nicht“, behauptet Adler. Also pilgern lieber alle in die Stadt. „Dabei haben wir im ländlichen Raum und in kleinen Städten 1,5 Millionen leerstehende Wohnungen. Man kann also nicht holzschnittartig von Wohnungsmangel sprechen.“

In seinem Vortrag betrieb Adler Ursachenforschung, wie es zum Ungleichgewicht zwischen Stadt und Land kommen konnte. Unter anderem sieht er eine Fehleinschätzung der Politik. „Als ich 1999 nach Berlin gezogen bin, war es normal, dass der Vermieter drei Monate Miete erlässt und noch dazu den Makler übernimmt.“ So habe die Situation in deutschen Großstädten bis 2002 ausgesehen, mit einigen Ausnahmen. „Also dachte die Politik, Deutschland ist fertiggebaut.“

Die Wohnungsbauoffensive von 2014 soll den überhitzten Markt beruhigen

Die Länder setzten deshalb die Wohnungsbaumittel des Bundes ab 2006, immerhin 518 Millionen pro Jahr, nicht mehr projektgebunden oder gar für den Sozialwohnungsbau ein. „Stattdessen wurden mit dem Zuschuss des Bundes Haushaltslöcher gestopft.“ Gleichzeitig sei die Attraktivität der Stadt gestiegen. In Kombination mit der Zuwanderung und der so schwierigen wie richtigen Aufgabe, Geflüchtete in den normalen Wohnungsmarkt zu integrieren, statt Gettos zu bauen, führte das zur Knappheit auf dem städtischen Wohnungsmarkt. „Dazu haben wir ein Luxusproblem: Die Menschen können sich mehr Wohnraum leisten. 1945 hatten wir pro Kopf 16 Quadratmeter, heute sind es 46“, sagt Adler.

Seine Lösungsansätze? Die Wohnungsbauoffensive von 2014, wobei die Bereitstellung von Bauland am wichtigsten sei. Adler nahm dabei auch den Bund in die Pflicht. „Der verfügt über Liegenschaften, die für Wohnen und Bauen in Frage kommen. Diese Flächen dürfen bis zu 80 Prozent verbilligt an Kommunen abgegeben werden. Doch bisher wurden erst neun Verträge abgeschlossen.“ Außerdem fordert Adler die Vereinheitlichung der 16 Landesbauordnungen und gleichzeitig eine Vereinfachung der in Deutschland besonders strengen Normen im Brandschutz und in anderen Bereichen. Dies sei nötig, um serielles und modulares Bauen zu ermöglichen – auch und gerade, um der Wohnungsknappheit im urbanen Raum zu begegnen.

Laut Adler müssten hierfür pro Jahr 350 000 Wohnungen neu gebaut werden. 2017 sollen bis Jahresende wenigstens 300 000 Wohnungen fertig sein. Adlers Fazit zum Abschluss seines Vortrags: „Wir haben viel erreicht, aber noch genauso viel zu tun.“ Ob sich der Staatssekretär nach seiner Rede im Stuttgarter Stau wiederfand, ist nicht bekannt.

In unserem Video sehen Sie ein Interview mit Dietmar Eberle von der ETH Zürich: