Wolf Haas hat einen neuen Brenner-Roman geschrieben. Eigentlich galt die Serie um den kauzigen Privatdetektiv als abgeschlossen. Nun geht er auf Brautschau – was für ein Glück.

Kultur: Stefan Kister (kir)

Stuttgart - Letztes Jahr in einem Wiener Kaffeehaus. Wolf Haas hat eine Geschichte für die Stuttgarter Zeitung geschrieben, die vergangenen November erschienen ist. Man plaudert über Kaffee, Tankstellen und über die Erwartungshaltung von Lesergemeinden. Wolf Haas ist das geistige Oberhaupt zweier solcher Gemeinden. Die eine legt ihrem Kult um den Autor die erzählerische Eigenart seiner Romane über den knarzigen Ex-Kommissar und Privatdetektiv Simon Brenner zugrunde; die andere die experimentelle Erzählkunst jener beiden Werke, mit denen der ausgefuchste Sprachspieler Haas zu neuen Ufern aufzubrechen schien – den Interview-Roman „Das Wetter vor 15 Jahren“ und das listig als Roman getarnte linguistische Traktat „Die Verteidigung der Missionarsstellung“.

 

Zu Beginn seien die Brenner-Romane mit ihrer anstößigen Umgangssprache ein Wagnis gewesen, erzählte Wolf Haas damals in Wien. Dann aber sei daraus eine Marke geworden. Und weil es ein komisches Schreibgefühl sei, wenn man den Eindruck habe, Erwartungen bedienen zu müssen, habe er die Serie nach sieben Bänden irgendwann auch einmal beendet. Das Schlimmste übrigens, so Haas, das Schlimmste sei es, einen Autor danach zu fragen, woran er gerade arbeite – weshalb diese Frage auch unterblieb. Nun, knapp ein Jahr später, ist klar, was er hätte antworten müssen: an einem neuen Brenner-Roman.

Kein Kult ohne Auferstehung

Die Schriftgelehrten wissen, dass wie zu jeder guten Buchreligion auch zum Brenner-Kult die Auferstehung gehört beziehungsweise das „Ewige Leben“. In dem gleichnamigen sechsten Band der Reihe hat der Erzähler oder besser Evangelist der Detektivs-Passion schon einmal sein Leben ausgehaucht, in einer endlosen Sequenz seiner Lieblingsverlegenheitsvokabel „ding“. Und dann redete er doch weiter. Der siebte Band „Der Brenner und der liebe Gott“ beginnt mit den Worten: „Meine Großmutter hat immer gesagt, wenn du einmal stirbst, muss man das Maul extra erschlagen.“ Doch so hart es in diesen Geschichten auch zur Sache geht und so viel Prügel die Hauptfigur auch bisweilen bezieht, dem Erzähler verschlägt es die Stimme nicht, auch wenn sein Autor dabei ein noch so komisches Schreibgefühl hat.

Nun sind sie also wieder da: der Brenner, sein Erzähler und noch jemand, der dem jüngsten Band zum Titel „Brennerova“ verholfen hat, eine partnerschaftsvermittelte Russin, nein streng genommen zwei, wenn man die Herta mitzählt, drei. Aber da wird es schon kompliziert. Was dieser Erzähler leistet, ermisst man erst, wenn man versucht, nachzuerzählen, was hier eigentlich passiert.

Der Erzähler ordnet das Chaos der Welt

Also: da ist die Herta, Lehrerin, frühpensioniert, weil sie einem ihrer Schüler „eine betoniert hat“. Mit dem Brenner kommt sie zusammen, weil einem tätowierten Dachdecker sein Werkzeug aus der Hand fällt. Um zu verhindern, dass man gemeinsam in so einen Trott hineinkommt, unternehmen beide Reisen: Herta mit dem Internetangebot Weltweitwandern, Brenner über eine digitale Partnerschaftsvermittlung. Er landet in Nischni Nowgorod. Doch die, um die es ihm eigentlich geht, ist in Österreich verschollen, vermutlich Menschenhandel, weshalb er eine Scheinehe mit ihrer Schwester eingeht und weitere Tätowierte teils ihre Hände, teils ihr Leben verlieren. Ein ehemaliger Mönch wird zum Bordellkönig und Herta in der mongolischen Wüste auf der Suche nach ihrem Krafttier entführt.

Nein, wir schaffen es nicht, das zur Geschichte zu runden. Das vermag nur der Erzähler. Und wie er das tut, grenzt an ein Wunder. Mit den schönen Klauseln des Brenner-Stils wendet er sich an sein Gegenüber, den Leser, und ordnet nicht nur die verstreuten Glieder dieser absurden Aventüre, sondern das ganze fragwürdige Chaos der Welt. Dieser Erzähler weiß Bescheid, über Russinnen zum Beispiel: Früher hat man gesagt „die sind groß und muskulös wie Hammerwerfer, die arbeiten beim Straßenbau, und unter den Achseln haben sie so viele Haare, dass sich noch ein Toupet für ihren Mann ausgehen würde und ein zweites für den ersten Parteisekretär. (. . .) Dann hat es auf einmal geheißen, die Russinnen, das sind die dünnsten Fotomodelle, die teuersten Nutten, da musst du als Mann schon ein Hochhaus haben, damit sich so eine überhaupt von dir scheiden lässt, am besten mit einem Privatzoo, weil Beine wie eine Giraffe, Taille wie eine Wespe, Augen wie die Biene Maja.“

Der Weltgeist von nebenan

Natürlich sind solche Beobachtungen, mit denen für Brenner das ganze Schlamassel anfängt, nicht politisch korrekt. Und doch ist dieser Erzähler kein Schuft. Sein Bindemittel für die Risse und Spalten in der Wirklichkeit ist nicht die autoritäre Vernunft, sondern ein geschmeidiger Witz, der noch die schwierigsten Konflikte im Leben seines anfechtbaren Detektivs leichthin fasst: „Eine Freundin in der Wirklichkeit, eine im Computer. Doppelleben Hilfsausdruck.“

Die Widersprüche des modernen Lebens haben den allwissenden Erzähler aus der Literatur vertrieben. Durch den Hintereingang der österreichischen Halb- und Unterwelt bringt ihn Haas zurück. Dieser Erzähler spricht nicht von oben herab, sondern aus der Mitte des Lebens. Es ist der Weltgeist von nebenan. Mit seiner elliptisch entschlackten Kunstumgangssprache schwebt er über dem sozial Bedenklichen seiner Stoffe, ohne je die Fühlung zu der weltklugen Erfahrung zu verlieren, die sich in Brenners wechselhaftem Berufsleben angesammelt hat. In dem Kosmos aus Korrespondenzen und Assoziationen zeigen sich Menschen und Dinge als das, was sie sind: „Wenn die fiese Visage zusammenkommt mit dem speziellen Muskelaufbau, den du nur von den Klimmzügen an einer Zellentür kriegst, dann weißt du als erfahrener Kripomann, dass du nicht den Radwegebeauftragten der Stadt Wien vor dir hast.“

Das Schisma der Haas-Gemeinde ist überwunden

An solchen Begegnungen und hellsichtigen Deutungen ist der Roman reich. Wie immer bei Haas reichen sich Philologie und Kriminologie die Hände. Und wenn es einmal die Hände kostet, dann können in Zeiten grassierender Tätowierwut solide Griechischkenntnisse zumindest dazu beitragen, sie richtig wieder anzunähen.

Der Mensch ist ein offenes Buch, es kommt nur darauf an, es richtig zu lesen. Der triumphiert, der die Figuren richtig beschreibt – das gilt für die im Tattoo-Milieu angesiedelte Handlung ebenso wie für den Roman als ganzen. So geht es auch in diesem abgrundkomischen Brenner-Krimi um Exkursionen ins Reich der Zeichen wie in jenen beiden Werken, die die Serie durchbrochen haben. Damit dürfte das Schisma der beiden Haas-Gemeinden endgültig überwunden sein.

Wolf Haas: Brennerova – Roman. Hoffmann und Campe, 240 Seiten, 20 Euro.