Wolfgang Faißt verteidigt seine Kindergarten-Politik. Nicht nur Renningen, sondern alle Städte und Gemeinden suchen händeringend Fachkräfte, sagt er.

Renningen - Die Gemeinderatssitzung am Montag hatte in Renningen mächtig für Wirbel gesorgt. Zu Dutzenden bemängelten Eltern die Kita-Politik der Stadt und kritisierten den Bürgermeister Wolfgang Faißt. Schon lange leidet die Stadt unter dem Fachkräftemangel, neuerdings muss sie sogar Öffnungszeiten teilweise einschränken. Die Stadt tut, was sie kann, versichert Faißt im Gespräch.

 

Herr Faißt, Eltern haben Ihnen vorgeworfen, kein Konzept zur Kinderbetreuung zu haben. Stimmt das?

Selbstverständlich haben wir Konzepte, die jährlich fortgeschrieben werden. Für unsere Kinderkrippen, die Kindergärten und die Betreuung in den Grundschulen haben wir gute Konzepte längst erarbeitet. Diese haben wir mit den Elternvertretern nicht nur besprochen, sondern in Projektgruppen weiterentwickelt. Bei der gesellschaftlichen Dynamik ist es wichtig, das Betreuungsangebot regelmäßig an den Bedarf der Eltern anzupassen.

Wolfgang Faißt kämpft gegen den Erziehermangel. Foto: factum/Archiv
Wie reagieren Sie darauf?

2019 haben wir eine umfangreiche Elternbefragung durchgeführt, die speziell die Betreuungsvielfalt und die Durchgängigkeit von der Krippe in den Kindergarten zum Thema hatte. Die Ergebnisse stellen wir im Juni im Gemeinderat vor. Im gleichen Zuge werden wir geeignete Maßnahmen vorschlagen, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf weiter zu verbessern. Auch das Feedback zur Vergaberichtlinie wird von einer Kommission aus Vertretern des Gemeinderats, der Elternvertreter und Verwaltung ausgewertet und eine Version 2.0 erstellt. Mit unseren Elternvertretern pflegen wir einen engen, offenen Dialog.

Das scheint nicht alle Eltern zu erreichen. Es kam der Wunsch nach einer Eltern-Infoveranstaltung auf.

Der Wunsch wurde von einem Vater geäußert, der sich über zu wenig Information zur Kinderbetreuung beklagte. Tatsächlich informieren und diskutieren wir in vielfältiger Weise. Erst im November 2018 war die Kinderbetreuung ein Schwerpunktthema in unseren Bürgerversammlungen. In diesem Jahr ist die Kinderbetreuung in allen öffentlichen Gemeinderatssitzungen Thema gewesen und wird es weiter sein. Daraus haben sich öffentliche Informationstexte in den Stadtnachrichten, in der städtischen Homepage, in unserem WhatsApp-Informationsdienst und Informationen an die Elternbeiräte unserer Kitas ergeben.

Wer sind dabei Ihre Ansprechpartner?

Mit den Elternbeiräten sind wir oft und regelmäßig in den Projektgruppen in Kontakt. Wenn die Eltern die Informationen lesen, wenn sie die öffentlichen Gemeinderatssitzungen besuchen und die Elternbeiräte diese Informationen an die Eltern weitergeben, dann haben alle Eltern, die wirklich interessiert sind, auch alle Informationen. Die Anregung des Vaters am Montagabend nach einer Informationsveranstaltung für alle Eltern greife ich gerne auf, auch wenn die aktuellen Infos veröffentlicht sind. Allerdings müssen wir abwägen, welchen örtlichen Rahmen eine solche Veranstaltung benötigt. Immerhin haben wir in Renningen und Malmsheim mehr als 700 Kita-Plätze und damit mehr als 1000 Eltern. Gerade weil solche Veranstaltungen zu groß sind und deshalb wenig Diskussionsmöglichkeiten bieten, gibt es ja Elternvertreter. Das ist bei den Schulen genauso.

Sie sehen bei der Kommunikation ihrer Politik also keinen Nachholbedarf?

Wie gesagt, wir kommunizieren auf zahlreichen Wegen mit unseren Bürgerinnen und Bürgern. Analog, digital und auch mit persönlichen Gesprächen. Diese Informations- und Diskussionswege werden auch weiterentwickelt – auch im Dialog mit unseren Bürgerinnen und Bürgern. Vorschläge für neue Kommunikationswege sind herzlich willkommen. Wenn diese personell leistbar und zielführend sind, greifen wir diese gerne auf. Eines darf ich an dieser Stelle aber auch sagen: Informationen sind nicht nur eine Bringschuld durch die Stadtverwaltung. Sie sind auch eine Holschuld, etwa der Kita-Eltern. Es ist nicht zielführend, wenn man sich nicht selbst um diese Informationen kümmert und sich dann beklagt, dass die Stadt diese Informationen nicht veröffentlicht.

Öffnungszeiten werden zum Teil einschränkt

In den Kindertageseinrichtungen verschärft sich die Situation. Im März wurde bekannt, dass Sie Öffnungszeiten in den Kitas zum Teil einschränken müssen. Woran liegt das ?

Es stimmt, innerhalb eines Jahres hat sich das Problem verändert: Wir haben nicht mehr zu wenige Kindergartenplätze – daran haben wir mit neuen Einrichtungen in erheblichem Umfang gearbeitet und werden es weiter tun. Jetzt wird es zunehmend schwieriger, am Arbeitsmarkt ausreichend Fachkräfte für die Kinderbetreuung zu finden. Mir ist aber wichtig, zu betonen, dass das kein spezielles Renninger Problem ist, sondern im ganzen Land – speziell in den Ballungsräumen – zunehmend auftritt.

Auch als Landesvorsitzender der Freien Wähler haben Sie den Überblick?

Im Landkreis werden mit der Betreuung der Unter-Dreijährigen und der Ganztagesbetreuung der Kindergartenkinder zwei sehr personalintensive Bereiche ständig erweitert. Jede Kommune baut zurzeit meist an gleich mehreren Projekten. Dem stehen leider nicht mehr Erzieherinnen und Erzieher gegenüber. Wenn sich weniger Fachkräfte auf mehr Kitas verteilen, dann sind flächendeckende Betreuungslücken die logische Konsequenz.

Was tun Sie dagegen?

Mit allen unseren Kräften und Möglichkeiten arbeiten wir daran, Einschränkungen der Öffnungszeiten zu vermeiden. Wir wissen, dass viele Eltern insbesondere die Ganztagesbetreuungsangebote dringend brauchen, und deshalb setzen wir alles daran, dass wir diese Betreuungsangebote bieten können – auch wenn es dafür bis heute keinen Rechtsanspruch gibt.

Schließungen können Sie dennoch nicht vermeiden?

Wenn wir dennoch einzelne Gruppen in unseren Einrichtungen mangels Fachpersonal zeitweise schließen müssen, sprechen wir mit den Elternvertretern schnell und sachorientiert, damit die Eltern möglichst frühzeitig die Möglichkeit haben, zu reagieren. Wir haben also die gleichen Ziele wie die beteiligten Eltern und ziehen als Dienstleister mit den Eltern und auch mit dem Verein Kinderfreunde im Grundschulbereich an einem Strang. Dabei suchen und realisieren wir im Rahmen unserer Möglichkeiten seit Jahren Wege, unsere Arbeitgeberangebote attraktiv zu gestalten und so qualifiziertes Personal für unsere Einrichtungen zu gewinnen.

Stadt gibt Geld aus

Sie sprechen von Investitionen im sechsstelligen Bereich, die der Gemeinderat allein im Frühjahr getroffen hat. Welche sind das?

Unser erster Schritt war schon vor Jahren, dass die im Tarifvertrag bei einem Arbeitgeberwechsel vorgesehene Rückstufung in den Erfahrungsstufen der Gehaltstabelle bei uns nicht angewendet wird. Die Stadt Renningen gehörte zu den ersten Kommunen, die verstärkt die Pia-Ausbildung für Erzieherinnen anbietet. In dieser Ausbildungsform erhalten die Auszubildenden auch während der Schulzeit eine Vergütung und das macht die Ausbildung gegenüber der bisherigen klassischen Form viel attraktiver. Damit konnten wir schon in der Vergangenheit erreichen, Nachwuchskräfte schon in der Ausbildung an uns zu binden. Diesen Weg verstärken wir aktuell mit einer Ausbildungsplatzoffensive.

Müsste der Gesetzgeber die Form der Ausbildung ändern?

Es ist nicht nachvollziehbar, ständig davon zu sprechen, den Erzieherberuf attraktiver machen zu wollen und gleichzeitig Ausbildungswege ohne Vergütung anzubieten. Übrigens erhalten Pia-Auszubildende bei Übernahme nach ihrer Ausbildung in ein Beschäftigtenverhältnis bei uns gleich die Stufe 2 der Gehaltstabelle. Angebote für ein Freiwilliges Soziales Jahr oder Stellen im Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes prüfen wir derzeit. Inzwischen bieten wir Erzieherinnen, die zu uns wechseln wollen, bei Bedarf Kinderbetreuungsangebote für ihre Kinder an, auch wenn sie noch nicht hier wohnen. Damit können wir im Zweifel Gruppenschließungen vermeiden.

Der Gemeinderat hat die Kita-Leitungen gestärkt. Was wollen Sie damit bezwecken?

Ja, aktuell haben wir in den größeren Einrichtungen die Funktion von stellvertretenden Leitungen geschaffen. Damit eröffnen sich für unsere guten Kräfte eine weitere Entwicklungsmöglichkeit in unseren Einrichtungen. Darüber hinaus werden wir im Mai dem Gemeinderat eine Verbesserung der Vergütungen unserer Einrichtungsleitungen in den Kinderkrippen vorschlagen. Für den Bereich Personalgewinnung wird im Juni eine Ausbildungsbeauftragte für den pädagogischen Bereich eingesetzt, die eng mit unserem Abteilungsleiter für Bildung, Familie und Soziales zusammenarbeiten wird. Zuletzt haben wir uns auch für eine Verbesserung der Vergütungen unserer Tagesmütter in der Tagespflege eingesetzt, die inzwischen auch zum Tragen gekommen ist. Mit diesen Verbesserungen sind wir noch lange nicht fertig, und wir werden weiter an einer guten Attraktivität unserer Angebote arbeiten.

Ganztagsbetreuung wird zur Herausforderung

Thema am Montagabend war auch die Ganztagsbetreuung der Grundschüler in Malmsheim. Eltern hatten dort zunächst Absagen bekommen. Das ist jetzt in trockenen Tüchern?

Wir führen Bewerbergespräche für die Nachmittagsbetreuung der Grundschüler an der Friedrich-Silcher-Schule in Malmsheim. Es sieht gut aus, und wir können voraussichtlich alle Wunschbetreuungszeiten der Eltern in Malmsheim erfüllen. Es ist im Übrigen völlig abwegig und wenig sachgerecht, wenn die Leonberger Kreiszeitung diese Woche in der Überschrift die Frage gestellt hat, ob die Kinder in Malmsheim „auf der Straße“ landen.

Zuständig für die Betreuung in den Grundschulen ist ein Verein, nämlich die Kinderfreunde. Müsste die Stadtverwaltung diese schwieriger werdende Aufgabe nicht selbst übernehmen?

Bei der Ganztages- bzw. Nachmittagsbetreuung in den Grundschulen arbeiten wir seit über 20 Jahren eng und erfolgreich mit dem Verein der Kinderfreunde zusammen. Wir sind sehr dankbar dafür, dass die Kinderfreunde hier aktiv sind, unterstützen dies von Seiten der Stadt tatkräftig und sind auch hier in einem umfangreichen Dialog – auch was die zukünftigen Möglichkeiten angeht.

Was meinen Sie konkret?

Künftig werden sich die Kinderfreunde auf Grund der sprunghaft steigenden Kinderzahlen auf die Grundschule der Friedrich-Schiller-Schule im Kooperativen Bildungszentrum in Renningen konzentrieren. Die Stadt wird die Nachmittagsbetreuung in der Friedrich-Silcher-Grundschule in Malmsheim ab dem Schuljahr 2020/2021 übernehmen. Hierfür wurde schon seit über einem Jahr gemeinsam mit den Kinderfreunden ein Konzept entwickelt, das wir in dem Gemeinderat zur Beschlussfassung vorlegen werden.

Verträgt Renningen so viel Wachstum?

Mit dem Neubaugebiet Schnallenäcker III wollen Sie in den kommenden Jahren weitere 1000 neue Einwohner, zumeist junge Familien, gewinnen. Wie wollen Sie das angesichts der Personalproblematik bewältigen?

Wir können unseren jungen Bürgerinnen und Bürgern, die hier aufgewachsen sind, hier bleiben und ihre Zukunft aufbauen wollen, derzeit kein Wohnbauland anbieten. Gerade diesen jungen Renningern gegenüber stehen wir in einer besonderen Verpflichtung. Natürlich bringt ein Neubaugebiet auch Wohnraum für Menschen von außerhalb. Das sind Bürger, die hier bei uns arbeiten und damit wohnortnah ihrem Beruf nachgehen können. Dadurch verringert sich dann aber auch der Verkehr.

Nicht alle in der Stadt können sich mit diesem Expansionskurs anfreunden.

Wir wirken mit dieser Entwicklung – wie auch mit neuen Wegen der Innenentwicklung – der Demografie, also der Überalterung unserer Gesellschaft, entgegen. Denn ein Weiteres spielt eine zunehmend wichtige Rolle: In den nächsten zwölf Jahren gehen in der Region Stuttgart etwa 130 000 Menschen mehr in den Ruhestand als junge Menschen in die Arbeitsprozesse nachwachsen. Wir werden also zunehmend Probleme erhalten, unsere Arbeitsplätze zu besetzen. Das gilt im Besonderen auch für unsere Arbeitsplätze in den Kitas. Darüber diskutieren wir ja im Moment landauf, landab. Deshalb benötigen wir Zuzug und dies ist nur mit neuen Wohnraumangeboten möglich. Als Wohnungsbauschwerpunkt im Regionalplan der Region Stuttgart kommt die Stadt Renningen ihren Verpflichtungen auch mit der Ausweisung von Neubaugebieten nach.